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Staatsdien­er mucken auf

Anderswo undenkbar, in Hessen fast schon Routine: Lehrer streiken trotz Beamtensta­tus

- Von Richard Färber, Wiesbaden

Rund 5000 hessische Lehrer demonstrie­rten in Wiesbaden dafür, dass der Tarifabsch­luss für angestellt­e Lehrer auch für Beamte gilt. Sie greifen damit auch das Streikverb­ot für Beamte an.

»Ihr seid klasse«, rief Andreas Grün, Chef der hessischen Polizeigew­erkschaft GdP, den streikende­n Lehrern zu. Schauplatz war eine DGB-Kundgebung des öffentlich­en Dienstes in Wiesbaden in Sicht- und Hörweite des Hessischen Landtags. »Es ist beeindruck­end, dass ihr trotz Beamtensta­tus heute die Arbeit niedergele­gt habt«, lobte Grün die GEW-Mitglieder, die an diesem Dienstag eine klare Mehrheit der rund 7000 Teilnehmer aus DGB-Gewerkscha­ften ausmachten.

Der Polizeigew­erkschafte­r hatte schon im Winterhalb­jahr Kundgebung­en aufmüpfige­r Landesbeam­ter vor der Staatskanz­lei angeführt und gehört derzeit zu den schärfsten Kritikern der schwarz-grünen Landesregi­erung. Was Polizisten, Lehrer, Förster, Verwaltung­sspezialis­ten und andere auf die Palme bringt, ist die sture Haltung der Koalition gegenüber ihren »eigenen« Beamten. So sollen sich die Staatsdien­er unter Verweis auf die »Schuldenbr­emse« in Landesverf­assung und Grundgeset­z im laufenden Jahr mit einer Nullrunde zufrieden geben. Damit hebt sich Hessen deutlich von den anderen Bundesländ­ern ab, die mehr oder weniger die im April vereinbart­e Einkommens­erhöhung für Angestellt­e und Arbeiter auch für die Beamten übernommen haben.

Für Unmut sorgen auch Einschnitt­e bei der Gesundheit­sbeihilfe. Nicht zuletzt leiden die Beschäftig­ten unter dem im Koalitions­vertrag vereinbart­en Stellenabb­au in den Behörden, der zu starker Leistungsv­erdichtung führt. Seit 2003 müssen in Hessen Landesbeam­te 42 Stunden pro Woche arbeiten.

Die zunehmende Arbeitsver­dichtung im Bereich staatliche­r Forsten beschrieb bei der Kundgebung eine Revierförs­terin. Vor 25 Jahren hatte sie die Verantwort­ung für 700 Hektar Wald übernommen. Inzwischen sei sie für 1700 Hektar, demnächst sogar für 2200 Hektar Fläche zuständig, was einer glatten Verdreifac­hung entspricht. »Wir sind es leid, nur als Personalko­stenquote betrachtet zu werden«, so die Gewerkscha­fterin, die in der IG BAU organisier­t ist.

Dass Beamte die Arbeit niederlege­n, obwohl für sie formal ein Streik- verbot gilt, ist für die Hessen-GEW mittlerwei­le Routine. Sie hat den Ausstand gründlich vorbereite­t und sich dabei auf die Erfahrunge­n in sieben Streikrund­en an Schulen in den vergangene­n Jahrzehnte­n gestützt. Die Zielvorgab­e von mindestens 3000 Unterschri­ften unter eine Bereitscha­ftserkläru­ng wurde in den Tagen vor dem Streik deutlich übertroffe­n. So wurden am Dienstag etliche Schulen durch den Arbeitskam­pf lahmgelegt und die Mehrheit der landesweit 5500 Streikende­n fand sich in der hessischen Landeshaup­tstadt ein.

CDU und Grünen hatte die Pädagogen im Vorfeld vor dem Streik gewarnt. So belehrte der Abgeordnet­e Jürgen Frömmrich (Grüne) die GEWAktivis­ten, dass Beamte nicht streiken dürften, wie zuletzt das Bundesverw­altungsger­icht klargestel­lt habe. Das sieht GEW-Landeschef Jochen Nagel anders. Er verweist darauf, dass das Gericht im Februar 2014 festgestel­lt habe, dass das Streikverb­ot für Beamte ohne hoheitlich­e Aufgaben mit den Grundsätze­n der europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion nicht vereinbar sei. Die Richter hätten dem Gesetzgebe­r aufgetrage­n, die Vereinbark­eit des deutschen Beamtenrec­hts mit EU-Recht herzustell­en. Bis zu einer entspreche­nden Änderung der Gesetze seien die Tarifabsch­lüsse für den öffentlich­en Dienst in den Blick zu nehmen. »Somit ist das Recht auf unserer Seite, wenn wir streiken«, ist sich Nagel sicher. Der beste Schutz vor Sanktionen sei jedoch »eine möglichst große Zahl von Streikende­n«.

Der eintägige Ausstand bedeutet für die Beamten – wie für streikende Angestellt­en anderswo auch – eine anteilige Gehaltskür­zung, die für GEW-Mitglieder zumindest teilweise aus dem gewerkscha­ftlichen Streikfond­s ausgeglich­en wird. Der Streik könnte zudem einen Vermerk in der Personalak­te nach sich ziehen, der nach zwei Jahren jedoch wieder gelöscht werden muss. Eine mögliche schriftlic­he »Missbillig­ung« durch das Kultusmini­sterium, die einem Eintrag ins Klassenbuc­h für unartige Schüler gleicht, dürften die aufmüpfige­n Lehrer eher als »Ehrenurkun­de« auffassen. Ob die Kultusverw­altung jetzt tatsächlic­h eine harte Linie einschlägt und aufwändige Bußgeldver­fahren mit ungewissem Ausgang einleitet, bleibt abzuwarten. »Die bewegen sich auf dünnem Eis«, meint GEW-Chef Nagel. Der erneute Streik habe seinem Landesverb­and einen deutlichen Mitglieder­zulauf beschert.

Eine schriftlic­he »Missbillig­ung« durch das Kultusmini­sterium dürften die aufmüpfige­n Lehrer als »Ehrenurkun­de« auffassen.

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