Staatsdiener mucken auf
Anderswo undenkbar, in Hessen fast schon Routine: Lehrer streiken trotz Beamtenstatus
Rund 5000 hessische Lehrer demonstrierten in Wiesbaden dafür, dass der Tarifabschluss für angestellte Lehrer auch für Beamte gilt. Sie greifen damit auch das Streikverbot für Beamte an.
»Ihr seid klasse«, rief Andreas Grün, Chef der hessischen Polizeigewerkschaft GdP, den streikenden Lehrern zu. Schauplatz war eine DGB-Kundgebung des öffentlichen Dienstes in Wiesbaden in Sicht- und Hörweite des Hessischen Landtags. »Es ist beeindruckend, dass ihr trotz Beamtenstatus heute die Arbeit niedergelegt habt«, lobte Grün die GEW-Mitglieder, die an diesem Dienstag eine klare Mehrheit der rund 7000 Teilnehmer aus DGB-Gewerkschaften ausmachten.
Der Polizeigewerkschafter hatte schon im Winterhalbjahr Kundgebungen aufmüpfiger Landesbeamter vor der Staatskanzlei angeführt und gehört derzeit zu den schärfsten Kritikern der schwarz-grünen Landesregierung. Was Polizisten, Lehrer, Förster, Verwaltungsspezialisten und andere auf die Palme bringt, ist die sture Haltung der Koalition gegenüber ihren »eigenen« Beamten. So sollen sich die Staatsdiener unter Verweis auf die »Schuldenbremse« in Landesverfassung und Grundgesetz im laufenden Jahr mit einer Nullrunde zufrieden geben. Damit hebt sich Hessen deutlich von den anderen Bundesländern ab, die mehr oder weniger die im April vereinbarte Einkommenserhöhung für Angestellte und Arbeiter auch für die Beamten übernommen haben.
Für Unmut sorgen auch Einschnitte bei der Gesundheitsbeihilfe. Nicht zuletzt leiden die Beschäftigten unter dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Stellenabbau in den Behörden, der zu starker Leistungsverdichtung führt. Seit 2003 müssen in Hessen Landesbeamte 42 Stunden pro Woche arbeiten.
Die zunehmende Arbeitsverdichtung im Bereich staatlicher Forsten beschrieb bei der Kundgebung eine Revierförsterin. Vor 25 Jahren hatte sie die Verantwortung für 700 Hektar Wald übernommen. Inzwischen sei sie für 1700 Hektar, demnächst sogar für 2200 Hektar Fläche zuständig, was einer glatten Verdreifachung entspricht. »Wir sind es leid, nur als Personalkostenquote betrachtet zu werden«, so die Gewerkschafterin, die in der IG BAU organisiert ist.
Dass Beamte die Arbeit niederlegen, obwohl für sie formal ein Streik- verbot gilt, ist für die Hessen-GEW mittlerweile Routine. Sie hat den Ausstand gründlich vorbereitet und sich dabei auf die Erfahrungen in sieben Streikrunden an Schulen in den vergangenen Jahrzehnten gestützt. Die Zielvorgabe von mindestens 3000 Unterschriften unter eine Bereitschaftserklärung wurde in den Tagen vor dem Streik deutlich übertroffen. So wurden am Dienstag etliche Schulen durch den Arbeitskampf lahmgelegt und die Mehrheit der landesweit 5500 Streikenden fand sich in der hessischen Landeshauptstadt ein.
CDU und Grünen hatte die Pädagogen im Vorfeld vor dem Streik gewarnt. So belehrte der Abgeordnete Jürgen Frömmrich (Grüne) die GEWAktivisten, dass Beamte nicht streiken dürften, wie zuletzt das Bundesverwaltungsgericht klargestellt habe. Das sieht GEW-Landeschef Jochen Nagel anders. Er verweist darauf, dass das Gericht im Februar 2014 festgestellt habe, dass das Streikverbot für Beamte ohne hoheitliche Aufgaben mit den Grundsätzen der europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar sei. Die Richter hätten dem Gesetzgeber aufgetragen, die Vereinbarkeit des deutschen Beamtenrechts mit EU-Recht herzustellen. Bis zu einer entsprechenden Änderung der Gesetze seien die Tarifabschlüsse für den öffentlichen Dienst in den Blick zu nehmen. »Somit ist das Recht auf unserer Seite, wenn wir streiken«, ist sich Nagel sicher. Der beste Schutz vor Sanktionen sei jedoch »eine möglichst große Zahl von Streikenden«.
Der eintägige Ausstand bedeutet für die Beamten – wie für streikende Angestellten anderswo auch – eine anteilige Gehaltskürzung, die für GEW-Mitglieder zumindest teilweise aus dem gewerkschaftlichen Streikfonds ausgeglichen wird. Der Streik könnte zudem einen Vermerk in der Personalakte nach sich ziehen, der nach zwei Jahren jedoch wieder gelöscht werden muss. Eine mögliche schriftliche »Missbilligung« durch das Kultusministerium, die einem Eintrag ins Klassenbuch für unartige Schüler gleicht, dürften die aufmüpfigen Lehrer eher als »Ehrenurkunde« auffassen. Ob die Kultusverwaltung jetzt tatsächlich eine harte Linie einschlägt und aufwändige Bußgeldverfahren mit ungewissem Ausgang einleitet, bleibt abzuwarten. »Die bewegen sich auf dünnem Eis«, meint GEW-Chef Nagel. Der erneute Streik habe seinem Landesverband einen deutlichen Mitgliederzulauf beschert.
Eine schriftliche »Missbilligung« durch das Kultusministerium dürften die aufmüpfigen Lehrer als »Ehrenurkunde« auffassen.