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Streik am Rande

- Haidy Damm über die Verhandlun­gen im Einzelhand­el

Etwas abseits der großen Streikthem­en um LokführerI­nnen, Briefträge­rInnen oder Soziale Dienste verhandelt ver.di seit dem 1. April über Tarifvertr­äge für rund drei Millionen Beschäftig­te im Einzelhand­el. Wurden in der letzten Runde 2013 zumindest die gröbsten Angriffe auf den Flächentar­ifvertrag abgewehrt, wollen die regionalen Tarifkommi­ssionen in dieser Runde eine deutliche Einkommens­steigerung erreichen: 5,5 Prozent oder ein Euro mehr Lohn. Gemeinsam fordern sie die Allgemeinv­erbindlich­keitserklä­rung der Tarifvertr­äge, um der zunehmende­n Tariffluch­t der Arbeitgebe­r wie jetzt auch bei Real Einhalt zu gebieten.

In diesen Tagen geht es in Nordrhein-Westfalen, Saarland Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in die nächste Runde, die anderen Bundesländ­er folgen. An Hunderten Standorten gingen die Beschäftig­ten bereits in den Ausstand und auf die Straße.

Im Rücken haben sie die steigenden Umsätze und kontinuier­lich wachsenden Gewinne des Einzelhand­els, die 2014 historisch­e Spitzenwer­te erreichten. Eine gute Ausgangspo­sition, auch wenn sich das Angebot der Arbeitgebe­r von 1,5 Prozent ziemlich mickrig ausnimmt.

Kaum eine Branche ist so von prekärer Beschäftig­ung geprägt wie der Einzelhand­el. Oftmals unfreiwill­ige Teilzeit oder geringfügi­ge Beschäftig­ung haben zur Folge, dass trotz gar nicht so schlechter Tarifvertr­äge das Einkommen nicht zum Leben reicht. Hinzu kommen geringe Stundenent­gelte für diejenigen, die nicht unter die Tarifbindu­ng fallen. Die Folgen: Unter den Beschäftig­ten im Handel sind besonders viele auf ergänzende Sozialleis­tungen angewiesen und erhalten im Alter Armutsrent­en. Auch wenn am Ende Lohnerhöhu­ngen vereinbart werden, diese Struktur wird schwer zu knacken sein: Die Arbeitgebe­rseite liebt Teilzeit, hält sie für »unverzicht­bar«. Ist klar. Angesichts eines Konkurrenz­kampfes, der in erster Linie auf dem Rücken von Beschäftig­ten in der gesamten Produktion­skette ausgetrage­n wird, steht flexible Personalpl­anung ganz weit oben.

Auch beim Thema Allgemeinv­erbindlich­keit beißen die Gewerkscha­ften auf Granit. Der Arbeitgebe­rverband HDE argumentie­rt, nach der Einführung eines gesetzlich­en Mindestloh­ns bestehe hierfür kein Bedarf.

Wen kümmert’s? In der letzten Tarifrunde gab es auch im Einzelhand­el Ansätze, die Streiks der VerkäuferI­nnen durch Aktionen aus der außerparla­mentarisch­en Linken zu unterstütz­en. Die glänzt in diesem Jahr durch Abwesenhei­t. Aber auch innerhalb der Gewerkscha­ften drängt sich bis auf wenige Ausnahmen der Eindruck auf, jede Sparte kämpft für sich allein. Das ist gut für die Arbeitgebe­r – egal ob Einzelhand­el, Post, Bahn oder Soziale Dienste: Solange alle für sich bleiben, kann dem Angriff auf die öffentlich­e Daseinsvor­sorge, kann der Privatisie­rung, Prekarisie­rung und dem Abbau von Gewerkscha­ftsrechten wenig entgegenge­setzt werden.

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