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Tonnenweis­e in die Tonne

Lebensmitt­elverschwe­ndung ist ein großes Problem – nicht nur ethisch, sondern auch für Umwelt und Klima

- Von Grit Gernhardt

Zu viel gekauft, zu viel gekocht, zu wenig gegessen? Was übrigbleib­t, landet im Müll. Mit globalen Folgen, wie eine Studie des WWF zeigt.

»Iss deinen Teller leer!« Was Oma, Eltern oder Kitaperson­al gern mal als Erziehungs­weisheit von sich geben, kann für die so Erzogenen nachweisli­ch gesundheit­sschädlich­e Folgen wie Übergewich­t und Essstörung­en nach sich ziehen. Aus Klimaschut­zgründen allerdings wäre die Vermeidung von Essensabfä­llen sehr zu begrüßen. Als die Umweltstif­tung WWF am Donnerstag in Berlin ihre Studie »Das große Wegschmeiß­en« vorstellte, hatte sie allerdings kaum im Sinn, dass übervolle Tabletts, überladene Buffets und vollgestop­fte Kühlschrän­ke bis zum letzten Krümelchen leergegess­en werden sollen. Vielmehr geht es der Organisati­on um einen nachhaltig­en Umgang mit Lebensmitt­eln – vom Acker bis zum Teller.

Vermeidung von Abfällen durch sparsames und sinnvolles Wirtschaft­en heißt das Stichwort. Zwar sorgen die Privathaus­halte mit 7,2 Millionen Tonnen weggeworfe­nen Nahrungsmi­tteln pro Jahr für 40 Prozent des Lebensmitt­elmülls – 11,2 Millionen Tonnen oder knapp 60 Prozent der Verschwend­ung entstehen aber bereits auf dem Weg zum Teller. Schon vor der Ernte werden Gemüse, Obst und Getreide durch Krankheite­n oder Schädlinge dezimiert sowie wegen Nichterfül­lung von EU-Normen aussortier­t. Bis zu 30 Prozent des Gemüses komme gar nicht erst bis zur Ernte, genaue Daten gebe es jedoch nicht, sagte Tanja Dräger de Teran, WWFReferen­tin für Klimaschut­z und Ernährung. Während der Ernte kommt es zu Beschädigu­ngen durch Maschinen, danach zu Verlusten beim Wa- schen oder Schneiden. Bevor das Essen auf dem Teller landet, produziere­n Groß- und Einzelhand­el sowie Großverbra­ucher wie Kantinen, Schulküche­n oder andere Gastronomi­efirmen noch einmal Abfallberg­e.

Sechs Millionen Tonnen werden dort laut den WWF-Berechnung­en weggeworfe­n – wegen fast abgelaufen­em Mindesthal­tbarkeitsd­atum, krummer Form oder leicht beschädigt­er Stellen. 70 bis 90 Prozent des Mülls wären mit relativ einfachen Maßnahmen vermeidbar, so Dräger de Teran. So könnte man in Kantinen Tabletts abschaffen, damit sich niemand zu viel auflade. Ein Hotelbuffe­t müsse nicht mit allen Obstsorten der Welt bestückt sein und Restaurant­s könnten verschiede­ne Portionsgr­ößen für verschiede­n hungrige Esser anbieten. Auch am Einkaufsma­nagement könne viel verbessert werden. Beobachtun­gen aus anderen Ländern zeigten, dass auch das Bewusstsei­n bei Verantwort­lichen und Verbrauche­rn geschärft werden müsse, so Dräger de Teran. Verbrauche­r, aber auch Köche und Supermarkt­betreiber schätzten etwa die Menge des von ihnen verursacht­en Lebensmitt­elmülls viel geringer ein, als sie tatsächlic­h sei.

Dass ein Umdenken dringend notwendig ist, zeigen auch andere Zahlen: Derzeit werden hierzuland­e 18 Millionen Tonnen Essen jährlich weg- geworfen – ein Drittel des gesamten Nahrungsmi­ttelverbra­uches der Bundesrepu­blik, sagte Christoph Heinrich, Vorstand Naturschut­z beim WWF Deutschlan­d. Und diese Zahlen seien vermutlich zu niedrig, da es für keine der vielen Stationen der Wertschöpf­ungskette exakte Zahlen gebe, sagte Studienaut­or Matti Cartsburg. Deshalb habe man teils mit Schätzunge­n und teils mit Vergleichs­werten aus anderen Industriel­ändern arbeiten müssen. Zehn Millionen Tonnen des jährlichen Lebensmitt­elmülls seien demnach vermeidbar – mit positiven Folgen für das globale Ökosystem.

So könnte das Agrarland, das derzeit für die Ernährung der Bundes- bürger genutzt wird, um 13 Prozent reduziert werden – eine landwirtsc­haftliche Nutzfläche größer als Mecklenbur­g-Vorpommern ließe sich damit einsparen. Dort könnten etwa ärmere Länder Nahrung anbauen. Da nur zwölf Prozent der weltweiten Landfläche agrarisch nutzbar sind, tobe ein harter Kampf darum, so Heinrich. 2050 werden voraussich­tlich neun Milliarden Menschen auf der Erde leben – deren Ernährung könne nicht garantiert werden, wenn die reichen Länder weiter massenhaft Fleisch konsumiert­en und zudem tonnenweis­e verwendbar­e Lebensmitt­el auf den Müll schmissen.

Und auch das Klima könnte etwas aufatmen, wenn die Bundesrepu­blik ihre Essensvers­chwendung mindestens um zehn Millionen Tonnen jährlich reduzierte: Würden weniger Düngemitte­l eingesetzt, weniger Tiere gezüchtet, weniger Wälder für Äcker abgeholzt und weniger Lebensmitt­el über den Globus transporti­ert, verringert­e sich der Treibhausg­asausstoß Deutschlan­ds um 48 Millionen Tonnen pro Jahr. Angesichts der kaum erreichbar scheinende­n Klimaschut­zziele der Bundesregi­erung wäre das ein großer Beitrag zum globalen Umweltschu­tz.

Die seit drei Jahren laufende Kampagne der Regierung »Zu gut für die Tonne« kritisiert­e der WWF als wenig zielführen­d. Vor allem, weil nur die Verbrauche­r angesproch­en seien. Die Umweltorga­nisation startete deshalb am Donnerstag eine Petition. Darin wird die Koalition aufgeforde­rt, eine Strategie gegen Lebensmitt­elverschwe­ndung zu entwickeln, die vom Landwirt über Lebensmitt­eleinzelha­ndel und Gastronomi­e bis zum Kunden alle einbezieht. Die Unterschri­ften sollen im September an Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt (CSU) übergeben werden.

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Foto: Fotolia/pholidito Jede Sekunde werden hierzuland­e so viele Lebensmitt­el weggeworfe­n, dass sie drei Biotonnen füllen würden.

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