Das Klima schreibt Geschichte
Wissenschaftler haben nach der Untersuchung einer schottischen Höhle 3000 Jahre Klimavariationen aufgezeichnet
Klimaveränderungen könnten historische Ereignisse beeinflusst haben. Das sagen australische Wissenschaftler. Etwa den Fall des Römischen Reichs, die Expansion der Wikinger und die Pest ab 1347.
Was beeinflusst die großen Ereignisse unserer Geschichte? Den Aufstieg und Fall eines Reiches, Migrationswellen, Hungersnöte oder den Ausbruch von Seuchen? Diese Fragen beschäftigen die Geschichtswissenschaft schon seit langem. Bereits im 18. Jahrhundert untersuchte der deutsche Dichter und Philosoph Johann Gottfried Herder den Zusammenhang von Klima- und Humangeschichte.
Eine Studie der Universität von New South Wales in Sydney untersuchte fünf Stalagmiten der Roaring Tropfsteinhöhle in Schottland, um Veränderungen des klimatischen Phänomens der Nordatlantischen Oszillation (NAO) festzuhalten. Die Nordatlantische Oszillation bezeichnet die Schwankung des Luftdrucks zwischen Island im Norden und den Azoren im Süden. Ist die NAO im Winter positiv, also die Differenz größer, dann ist es im Nordwesten Europas feuchter und im Südwesten trockener. Ist die NAO negativ, passiert genau das Gegenteil.
Im Rahmen der Studie, die im Fachjournal Scientific Reports veröffentlicht wurde, vermaßen Wissenschaftler die Dicke jedes einzelnen Jahresringes. Indem sie die Ergebnisse der fünf Stalagmiten überlappten, ließen sich die klimatischen Bedingungen über eine 3000 Jahre spannende Periode ablesen – von 1000 vor Christus bis in die heutige Zeit.
»Wenn die NAO positiv ist und es im Nordwesten Schottlands und damit auch bei unserer Höhle nässer war, konnte der Sumpf dort länger feucht bleiben«, sagt Andy Baker, der die Studie leitete. »Die Mikroben in der Erde hatten dann weniger Zeit, das Kohlendioxid auszustoßen, das nötig ist, um den Kalkstein aufzulösen und die Stalagmiten zu formen.« In diesen Fällen sei die Wachstumsrate dann relativ langsam gewesen.
Studien haben in der Vergangenheit bereits aufgezeigt, dass die NAO die Tierwelt beeinflusst, also wann Vögel Eier legen oder als Zugvögel weiterziehen. Doch inwiefern auch das menschliche Alltagsleben beeinflusst wird, lässt sich deutlich schwieriger nachweisen. »Unsere Ergebnisse belegen, dass eine anhaltende positive Phase zwischen 290 und 550 bestand, die wiederum mit dem Fall des Römischen Reiches und einer Periode intensiver menschlichen Migration im südlichen Europa übereinstimmt«, sagt Baker. Diese Phase sei zwischen 600 und 900 von einer negativen abgelöst worden, die wiederum warme und trockene Bedingun- gen im Nordwesten Europas geschaffen habe und damit unter Umständen die westliche Expansion der Wikinger möglich gemacht habe.
Vieles davon sei natürlich eine Spekulation der Wissenschaft, gibt Baker zu. »Die NAO könnte aber immerhin das Zünglein an der Waage für Gesellschaften gewesen sein, wann immer deren Leben durch Hungersnöte, Krieg und Krankheiten gefährdet war«, meint er. Der Schwarze Tod, die Pest, an der zwischen 1347 und 1352/53 etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung starb, fällt z. B. in eine sehr lang andauernde, positive Phase der NAO mit warmen und feuchten Wintern im Nordwesten Europas. Hier stelle sich die Frage, ob diese Bedingungen nicht zumindest dazu beigetragen haben, Krankheitserreger länger am Leben zu halten.
Für Baker macht diese Kausalität des Klimas Sinn. Doch letztendlich sei es an der Geschichtswissenschaft, zu entscheiden, ob die Relevanz dieser anhaltenden NAO-Phasen groß genug gewesen sei, im damaligen Europa Einfluss auf die menschliche Kultur und Zivilisation zu nehmen.