Gefährlicher Ritt auf der Pegida-Welle
Von Pegida wird weitaus mehr übrig bleiben als ein kurioses Label. Die Saat, die die »Patriotischen Europäer« mit ihren Großaufmärschen seit der Jahreswende in Deutschland gesät haben, trägt bereits jetzt ihre bitteren Früchte. Dafür steht der andauernde Konflikt im sächsischen Freital um eine Flüchtlingsunterkunft ebenso wie der Brandanschlag auf ein geplantes Heim im badenwürttembergischen Remchingen. Auf der Pegida-Welle ritten aber auch Kräfte, die auf den ersten Blick gesitteter, weil im Nadelstreif gekleidet, daherkommen. Der erfolgreiche Einzug der AfD in die Landesparlamente von Hamburg und Bremen im Frühjahr war ebenfalls ein Ausfluss der Pegida-Agitation. Der Hamburger AfD-Vizesprecher Bernd Baumann brachte die Wahlkampagne seiner Partei dementsprechend auf den Dreiklang »Zuwanderung, Bildung und innere Sicherheit«. Die Anti-Parteien-Partei AfD und die Anti-Parteien-Bewegung Pegida gingen ungeachtet des zeitweiligen Lavierens der AfD-Führung eine schlagkräftige ideologische Liaison ein. Jetzt vollziehen sich Veränderungen in beiden Formationen.
Pegida will nun die Inhalte, die man lautstark aus den großbürgerlichen Salons und Herrenrunden auf die Straße brachte, in die Parlamente tragen – auf eigene Faust und nicht mit Hilfe der AfD. Häuptling Lutz Bachmann visiert die sächsischen Landtagswahlen im kommenden Jahr an. Hierbei sieht er sich durch die Tatsache bestätigt, dass kürzlich im Rahmen der Dresdener Oberbürgermeister-Wahl jeder zehnte Wähler sein Kreuz bei der Kandidatin der Retter des Abendlandes machte.
Des Weiteren erreichte der oft vorschnell als Richtungsstreit zwischen »Wirtschaftsliberalen« und »Nationalkonservativen« interpretierte Konflikt in der AfD vor etwa zwei Wochen mit der Wahl Frauke Petrys zur Parteivorsitzenden eine wichtige Wegmarke. Petry verspricht zwar Kontinuität, ihr unterlegener Konkurrent Bernd Lucke und die Seinen haben jedoch mit ALFA eine neue Partei aus der Taufe gehoben, die zu den vermeintlichen Ursprüngen der AfD zurückkehren und damit
Phillip Becher der »EU-Kritik« wieder stärker Gewicht verleihen möchte. Die Originalauflage der AfD und ihre Neuedition unter dem Firmenschild ALFA konkurrieren nun also in einem Segment, das bisher zwei Jahre lang von einer gemeinsamen Rechtspartei bedient worden war. Deutschlands politische Rechte steht augenscheinlich vor der paradoxen Situation, dass sich die Fliehkräfte in einem ihrer Erfolgsmomente bemerkbar machen.
Anlass zum Zurücklehnen gibt es jedoch für demokratische Kräfte nicht. Denn: Bis zu den nächsten Wahlterminen im Frühling 2016 wird noch beinahe ein Dreivierteljahr vergehen. Vermutlich wird sich bis dahin ein Klärungsprozess vollzogen haben, der Aufschluss darüber gibt, ob sich Pegida, AfD, ALFA oder ein gemeinsames Projekt als das geeignetste Mittel erweisen kann, um ein mögliches wechselseitiges Kannibalisieren der Rechtskräfte zu vermeiden. Die zu selten beachteten kapitalkräftigen Kreise sind in dieser Frage noch unentschieden: Ex-BDIChef Heinrich Weiss orientiert weiterhin auf die AfD. Ein anderer ehemaliger Industriellenchef, Hans-Olaf Henkel, neigt zu ALFA.
Insbesondere die für den 13. März 2016 anberaumte Wahl in BadenWürttemberg könnte allen, die sich über das beginnende Ende einer der erfolgreichsten rechten Formationen seit langem freuen, ein böses Erwachen bringen. Es war im Ländle, wo die extrem rechten Republikaner in den 1990er Jahren mit Rolf Schlierer an der Spitze aufsehenerregende Wahlerfolge feiern konnten. Das Potenzial für eine Politik, die einen mit völkischem Kitt transportierten kapitalistischen Leistungsmythos in das Zentrum ihrer Gesellschaftsvorstellungen stellt und den Verlierern des Kampfes aller gegen alle mit Repression droht, ist groß. Das Kürzel, hinter dem sich ein solches Programm verbirgt, wird dann sowohl für die, die sich hiervon die Durchsetzung ihrer Interessen versprechen, als auch für die vielen, gegen die sich eine solche aggressive Politik richtet, unerheblich sein.
Eine Art Vorgeschmack auf diese Politik gab es vor einigen Wochen im EU-Parlament. Das Freihandelsabkommen TTIP, dessen sozialreaktionäre Folgen bereits jetzt absehbar sind, war dort den selbst ernannten Anwälten der kleinen Leute – Lucke, seinem ALFA-Vize Bernd Kölmel und seiner Generalsekretärin Ulrike Trebesius – eine Zustimmung wert.