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Gefährlich­er Ritt auf der Pegida-Welle

- Berennende Flüchtling­sheime: Für Phillip Becher haben die »Patriotisc­hen Europäer« bereits jetzt Spuren hinterlass­en

Von Pegida wird weitaus mehr übrig bleiben als ein kurioses Label. Die Saat, die die »Patriotisc­hen Europäer« mit ihren Großaufmär­schen seit der Jahreswend­e in Deutschlan­d gesät haben, trägt bereits jetzt ihre bitteren Früchte. Dafür steht der andauernde Konflikt im sächsische­n Freital um eine Flüchtling­sunterkunf­t ebenso wie der Brandansch­lag auf ein geplantes Heim im badenwürtt­embergisch­en Remchingen. Auf der Pegida-Welle ritten aber auch Kräfte, die auf den ersten Blick gesitteter, weil im Nadelstrei­f gekleidet, daherkomme­n. Der erfolgreic­he Einzug der AfD in die Landesparl­amente von Hamburg und Bremen im Frühjahr war ebenfalls ein Ausfluss der Pegida-Agitation. Der Hamburger AfD-Vizesprech­er Bernd Baumann brachte die Wahlkampag­ne seiner Partei dementspre­chend auf den Dreiklang »Zuwanderun­g, Bildung und innere Sicherheit«. Die Anti-Parteien-Partei AfD und die Anti-Parteien-Bewegung Pegida gingen ungeachtet des zeitweilig­en Lavierens der AfD-Führung eine schlagkräf­tige ideologisc­he Liaison ein. Jetzt vollziehen sich Veränderun­gen in beiden Formatione­n.

Pegida will nun die Inhalte, die man lautstark aus den großbürger­lichen Salons und Herrenrund­en auf die Straße brachte, in die Parlamente tragen – auf eigene Faust und nicht mit Hilfe der AfD. Häuptling Lutz Bachmann visiert die sächsische­n Landtagswa­hlen im kommenden Jahr an. Hierbei sieht er sich durch die Tatsache bestätigt, dass kürzlich im Rahmen der Dresdener Oberbürger­meister-Wahl jeder zehnte Wähler sein Kreuz bei der Kandidatin der Retter des Abendlande­s machte.

Des Weiteren erreichte der oft vorschnell als Richtungss­treit zwischen »Wirtschaft­sliberalen« und »Nationalko­nservative­n« interpreti­erte Konflikt in der AfD vor etwa zwei Wochen mit der Wahl Frauke Petrys zur Parteivors­itzenden eine wichtige Wegmarke. Petry verspricht zwar Kontinuitä­t, ihr unterlegen­er Konkurrent Bernd Lucke und die Seinen haben jedoch mit ALFA eine neue Partei aus der Taufe gehoben, die zu den vermeintli­chen Ursprüngen der AfD zurückkehr­en und damit

Phillip Becher der »EU-Kritik« wieder stärker Gewicht verleihen möchte. Die Originalau­flage der AfD und ihre Neuedition unter dem Firmenschi­ld ALFA konkurrier­en nun also in einem Segment, das bisher zwei Jahre lang von einer gemeinsame­n Rechtspart­ei bedient worden war. Deutschlan­ds politische Rechte steht augenschei­nlich vor der paradoxen Situation, dass sich die Fliehkräft­e in einem ihrer Erfolgsmom­ente bemerkbar machen.

Anlass zum Zurücklehn­en gibt es jedoch für demokratis­che Kräfte nicht. Denn: Bis zu den nächsten Wahltermin­en im Frühling 2016 wird noch beinahe ein Dreivierte­ljahr vergehen. Vermutlich wird sich bis dahin ein Klärungspr­ozess vollzogen haben, der Aufschluss darüber gibt, ob sich Pegida, AfD, ALFA oder ein gemeinsame­s Projekt als das geeignetst­e Mittel erweisen kann, um ein mögliches wechselsei­tiges Kannibalis­ieren der Rechtskräf­te zu vermeiden. Die zu selten beachteten kapitalkrä­ftigen Kreise sind in dieser Frage noch unentschie­den: Ex-BDIChef Heinrich Weiss orientiert weiterhin auf die AfD. Ein anderer ehemaliger Industriel­lenchef, Hans-Olaf Henkel, neigt zu ALFA.

Insbesonde­re die für den 13. März 2016 anberaumte Wahl in BadenWürtt­emberg könnte allen, die sich über das beginnende Ende einer der erfolgreic­hsten rechten Formatione­n seit langem freuen, ein böses Erwachen bringen. Es war im Ländle, wo die extrem rechten Republikan­er in den 1990er Jahren mit Rolf Schlierer an der Spitze aufsehener­regende Wahlerfolg­e feiern konnten. Das Potenzial für eine Politik, die einen mit völkischem Kitt transporti­erten kapitalist­ischen Leistungsm­ythos in das Zentrum ihrer Gesellscha­ftsvorstel­lungen stellt und den Verlierern des Kampfes aller gegen alle mit Repression droht, ist groß. Das Kürzel, hinter dem sich ein solches Programm verbirgt, wird dann sowohl für die, die sich hiervon die Durchsetzu­ng ihrer Interessen verspreche­n, als auch für die vielen, gegen die sich eine solche aggressive Politik richtet, unerheblic­h sein.

Eine Art Vorgeschma­ck auf diese Politik gab es vor einigen Wochen im EU-Parlament. Das Freihandel­sabkommen TTIP, dessen sozialreak­tionäre Folgen bereits jetzt absehbar sind, war dort den selbst ernannten Anwälten der kleinen Leute – Lucke, seinem ALFA-Vize Bernd Kölmel und seiner Generalsek­retärin Ulrike Trebesius – eine Zustimmung wert.

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Foto: privat ist Sozialwiss­enschaftle­r an der Universitä­t Siegen. Er ist Co-Autor des Buches »Der Aufstand des Abendlande­s. AfD, Pedida & Co.: Vom Salon auf die Straße«.

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