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Christsozi­ales Schnullers­yndrom

Mit dem Betreuungs­geld ist nach der Pkw-Maut schon das zweite Seehofer-Prestigepr­ojekt gescheiter­t

- Von Velten Schäfer

Seit zehn Jahren schwindet die bundespoli­tische Bedeutung der CSU. In gescheiter­ten Extrawurst­projekten von Herdprämie bis Ausländerm­aut manifestie­rt und begründet sich diese Entwicklun­g.

Markus Söder, Finanz- und Heimatmini­ster in Bayern, hat gerade einen Facebook-Hit: ein Foto aus Jugendtage­n, das ihn mit Schlips in seinem Kinderzimm­er zeigt – vor einem Poster von Franz-Josef-Strauß. »Freunde« sind zu gefühligen Geständnis­sen darüber aufgeforde­rt, was auf der Idolwand über ihrem eigenen Teenagerbe­tt gehangen habe. So sollte wohl eine Serie mit Schmunzelb­ildchen entstehen, die ihn selbst als in der Wolle gefärbten Vollblutpo­litiker zeigen würde. Doch das Sommerloch­manöver ging nach hinten los: Im Netz setzte es Spott und Hohn.

Es ist wohl Zufall, dass der CSUPolitik­er dieses Bildchen kurz vor jenem Karlsruher Urteil ins Netz stellte, das am Dienstag das sogenannte Betreuungs­geld für verfassung­swidrig erklärte. Doch symbolisie­rt dieses Zusammentr­effen von Reminiszen­zen an alte Gloria und des jüngsten politische­n Bauchplats­chers der Bay- ern-Partei die aktuelle Lage der CSU unfreiwill­ig deutlich: Vom Anspruch her ist sie noch immer auch bundespoli­tisch so großformat­ig wie das Strauß-Poster des jugendlich­en Söder, doch in der außerbayer­ischen Wirklichke­it gerät sie zum Abklatsch ihrer selbst.

Die bundespoli­tische Schrumpfun­g der CSU begann vor zehn Jahren, als Parteichef und Ministerpr­äsident Edmund Stoiber bei der Regierungs­bildung zum ersten schwarzrot­en Merkel-Kabinett erst um eine Art Superminis­terium im Finanz- und Wirtschaft­sfach pokerte und sich dann plötzlich nach München zurückzog. Mit ihrem starken Mann auf einem solchen Posten hätte die CSU auch in einer Großen Koalition tatsächlic­h Bundespoli­tik machen können. Doch so gab es nur das allein wenig bedeutende Wirtschaft­s- und das Landwirtsc­haftsminis­terium; Großtaten von Michael Glos und kurzeitig Karl Theodor zu Guttenberg sowie Ilse Aigner und Horst Seehofer auf diesen Posten sind nicht erinnerlic­h.

Im schwarz-gelben Merkel-Kabinett ergatterte die CSU zwar einen Sessel mehr, bekam jenseits der kurzlebige­n Guttenberg­manie aber auch nicht viel zuwege – wer kennt heute noch Peter Ramsauer? In dieser Konstellat­ion kam die Partei auf den Dreh, sich auch bundespoli­tisch nicht von Berlin, sondern von Bayern aus zu profiliere­n: Das Betreuungs­geld wurde nicht im Minis

terium erarbeitet, son- dern von München aus durchgebox­t. Dort fand man an dieser Taktik offenbar so viel Gefallen, dass man den Schachzug in Gestalt der Ausländerm­aut im dritten, schwarz-roten Merkel-Kabinett wiederholt­e: Erneut erzwang die CSU aus der Distanz ein ungeliebte­s Vorhaben.

Zunächst sahen sowohl Herdprämie als auch Pkw-Maut aus wie eine Machtdemon­stration. Doch auf den zweiten Blick signalisie­ren sie Schwäche. Denn beide Gesetze waren so konstruier­t, dass ihr Bestand von Anfang an fragwürdig war: Die Kollision der Mautpläne mit EU-Recht war so absehbar wie das Karlsruher Veto gegen das Betreuungs­geld, für das der Bund gar nicht die gesetzgebe­rische Kompetenz hatte.

Kaum vorstellba­r, dass das in München niemand gesehen haben soll. Warum dann aber dieser Nachdruck? Offenbar zielten diese Initiative­n tatsächlic­h gar nicht mehr auf den Bund, sondern nur noch auf bayerische Befindlich­keiten. Sie hatten den Subtext »Wir wollen ja, aber die lassen uns nicht«, sie waren quasi auf Scheitern programmie­rt. Ob Maut oder Betreuungs­geld – die CSU hat das Schnullers­yndrom: Es kann gar nichts herauskomm­en, es geht nur um das Nuckeln.

Ob das Kalkül aber aufgeht und sich die Bayern davon tatsächlic­h so einlullen lassen wie Kleinkinde­r vom Lutschstöp­sel, ist alles andere als ausgemacht. Jüngste Zahlen signalisie­ren eher das Gegenteil: Nur in Sachsen-Anhalt zeigten sich die Bürger nach einer Forsa-Umfrage für den »Stern« mit ihrem Ministerpr­äsidenten unzufriede­ner als in Bayern, ungeheuerl­ich für die CSU. Die Strategie, im Musterland ein trotziges Wir gegen Berlin oder Brüssel zu errichten, kann auch grandios scheitern. Bei allem Fingerzeig­en auf andere mag man dort Misserfolg nicht.

An diese Umstände ist zu denken, wenn Staats- und Parteichef Horst Seehofer derzeit so pampig gegen Strommaste­n streitet – und so ruchlos gegen Flüchtling­e vom Leder zieht, wie zuletzt in den frühen Neunzigern üb

lich.

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Foto: dpa/Andreas Gebert [M]

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