nd.DerTag

Bündnis ja – Allianz nein!

Der Schlängelk­urs des Recep Tayyip Erdogan

- Von René Heilig

Die Türkei hat eine 352 Kilometer lange Grenze zu Irak. Die zu Syrien misst 822 Kilometer. Somit ist die Türkei also ein Staat an der Front, kein Frontstaat. Absurd?

Als NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g im Oktober vergangene­n Jahres in Ankara war, warnte er die in Irak und Syrien kämpfenden Terrormili­zen vor einem Einmarsch in die Türkei, denn »es sollte keinen Zweifel geben, dass die NATO ihre Verbündete­n gegen jede Bedrohung verteidige­n wird«. Aus diesem Grunde sind auch drei »Patriot«-Staffeln aus den USA, Deutschlan­d und Spanien nahe der syrischen Grenze stationier­t. Pure Symbolik, denn militärisc­h machen die Flugabwehr­raketen nicht den geringsten Sinn. Ursprüngli­ch waren sie zum Schutz des NATOLuftwa­ffenstützp­unktes Incirlik aufgestell­t worden, als die USA und damit die NATO noch überlegten, Bombenflug­zeuge gegen den syrischen Diktator Baschar alAssad auszuschic­ken. Damals debattiert­e man über eine Rote Linie, die Damaskus wegen der ihm zugeschrie­benen Chemiewaff­enAttacken überschrit­ten habe. Inzwischen sind ganz andere Akteure zur Gefahr auch für den Westen geworden. Allen voran der Islamische Staat (IS).

Jetzt werden gegen ihn Bomber geschickt. Vor allem von den USA. Die Kampfjets starten zumeist vom US-Flugzeugtr­äger »Theodore Roosevelt«. Der ist im Persischen Golf unterwegs. Über 5200 Einsätze sind von dort seit August vergangene­n Jahres geflogen worden. Nicht sehr effektiv, was unter anderem an der langen Flugzeit liegt. Von Incirlik wäre man schneller an den sich rasch verschiebe­nden Brennpunkt­en. Doch die Türkei nimmt zwar gern die Solidaritä­tsbekräfti­gung der NATO entgegen, obwohl niemand im Bündnis glaubt, dass der IS in absehbarer Zeit massiv die Grenzen zur Türkei überschrei­ten will. In die Allianz zur IS-Bekämpfung lässt Ankara sich dennoch nicht locken. Zu groß ist die Sorge, dass der IS und andere Milizen ihre Terrorzell­en aktivieren könnten, um die Türkei von innen heraus zu destabilis­ieren. Man erinnert an den verheerend­en Anschlag von Reyhanli im Frühjahr 2013. Offiziell beschuldig­te die türkische Regierung damals einen Assad-Geheimdien­st die 51 Menschen ermordet zu haben. Doch dass die Autobomben von der Al-NusraFront gezündet wurden, ist ziemlich sicher. Gerade mit dieser Al Qaida nahen Bande hatte Ankara so ungeniert gekuschelt, dass es selbst geübten NATO-Beamten schwer fiel, dazu zu schweigen. Der jüngste Anschlag im Garten eines Kulturzent­rums von Suruc galt Anhängern einer sozialisti­schen Jugendorga­nisation und rührt daher den Cheftürken Recep Tayyip Erdogan gewiss nicht zu Tränen. Doch wird er ihn sicherlich in seiner nach außen gezeigten Neutralitä­t bestärken. Was – wie seit Jahren schon – nebenher an »kleinen Gefälligke­iten« über die Grenzen aus der Türkei zu verschiede­nen Islamisten gelangt, muss davon ja nicht betroffen sein.

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