Run auf die Ostseebäder – Defizite im Westen
Auf Usedom oder Rügen sorgt die alte Bäderarchitektur für Flair, an der Nordsee sucht man nach Gegengewichten
Auf den deutschen Inseln lässt der Sommer die Kassen klingeln. Doch es gibt deutliche Unterschiede zwischen dem Osten und dem Westen. – vor allen in Sachen Infrastruktur.
Im Sommer ziehen die deutschen Inseln Rügen, Sylt, Borkum oder Usedom in puncto Attraktivität mit ihren Mittelmeer-Konkurrenten gleich. Die Strände an Nord- und Ostsee sind voll, die Hotels ausgelastet. An einen Urlauberstopp – wie derzeit kontrovers auf Mallorca diskutiert – denkt niemand, auch wenn der Ansturm Hunderttausender Sonnenhungriger zwischen Borkum und Rügen auch seine Kehrseiten hat.
Vor allem die Seebäder der Ostseeinseln Rügen und Usedom platzen im Sommer aus allen Nähten: An Regentagen sind die Straßen verstopft, bei Sonnenschein finden die Urlauber nur mit Mühe Parkplätze in Strandnähe. »Wir haben im Sommer das Ende der Fahnenstange erreicht«, sagt Karsten Schneider (parteilos), Bürgermeister des größten Rügener Ostseebades Binz.
Binz mit 5900 Einwohnern verfügt über 14 500 Urlauberbetten. Rund 400 000 Urlauber bringen jährlich 2,2 Millionen Übernachtungen in den Ort. In der ehemaligen Nazi-Immobilie im Ortsteil Prora entstehen derzeit bis zu 3000 weitere Betten. Wachstum, sagt Schneider, sei nur noch in der Nebensaison möglich.
Er und sein Amtskollege Lars Petersen (CDU), der als Bürgermeister den drei Kaiserbädern auf Usedom vorsteht, wünschen sich mehr kommunale Steuerungsmöglichkeiten. »Wir müssen vor allem das ungezügelte Wachstum von Ferienwohnungen begrenzen«, sagt Schneider. Eine Reglementierung der Urlauberströme – wie derzeit auf der Ba- leareninsel Mallorca diskutiert – hält er aber für nicht möglich und auch nicht gewollt.
Nach dem Mauerfall entstanden im Osten mit millionenschweren Investitionen neue Hotels. MecklenburgVorpommern mit rund 28,7 Millionen Übernachtungen lief den westdeutschen Nordländern den Rang als beliebteste Sommer-Urlaubsregion ab. Im Osten hatte alte Bäderarchitektur die Zeit – wenn oft auch baufällig – überstanden. Heute saniert, sorgen die Bauten für Flair und Zuspruch. Doch Petersen fordert angesichts weiterer Planungen jetzt eine Atempause für seine Seebäder. »Höher, weiter schneller – davon müssen wir uns verabschieden.«
Rügen und Usedom setzen inzwischen auf Nachhaltigkeit, mit Angeboten außerhalb des Sommers – wie den Wanderfrühling und -herbst oder auf kulturelle Highlights wie das Usedomer Musikfestival. Zudem soll das Augenmerk der Touristen auf bislang unentdeckte Regionen gelenkt werden – zum Beispiel Westrügen.
An der niedersächsischen Nordseeküste wird das Wort »Massentourismus« nicht so gern gehört. »Uns geht es schon lange um mehr Klasse statt Masse«, sagt Carolin Wulke von der Tourismusgesellschaft »Die Nordsee«. Die Dachorganisation ver- marktet 20 Urlaubsziele wie die sieben ostfriesischen Inseln und 13 Küstenorte an der Nordsee. 22 Millionen Übernachtungen zählt die Region pro Jahr.
Das touristische Zukunftskonzept »Masterplan Nordsee« hat vor einigen Jahren klare Defizite aufgezeigt – auch vor dem Hintergrund der Konkurrenz an der Ostsee. Danach erfüllt das An- gebot in den niedersächsischen Tourismusgebieten offensichtlich nicht mehr die gestiegenen Ansprüche der Gäste an Ausstattung und Qualität. Bei der Tourismusinfrastruktur müsse vielerorts modernisiert und umstrukturiert werden, monierten Kritiker.
Nun wird kräftig gegengesteuert: Nachhaltigkeit heißt auch hier die Devise. Touristiker auf Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge verweisen gern auf umweltfreundliche Anfahrtsmöglichkeiten per Bahn und wollen Elektro-Mobilität fördern.
Naturschützer sehen angesichts der Nähe zum sensiblen Wattenmeer dennoch Konflikte durch den Massentourismus programmiert. Konkrete Instrumente zur Begrenzung wie eine Tourismusabgabe sind jedoch an der Nordseeküste nicht in der Diskussion. »Die Saison ist kurz. Davon müssen alle leben, deshalb ist es schwierig, die Besucherzahlen einzuschränken«, sagt Wulke.
Der Sylter Tourismusdirektor Peter Douven findet den Vergleich von Sylt mit Mallorca nicht sinnvoll. Schon die Zahlen sprächen dagegen. Trotzdem: »Mehr Bettenkapazität braucht die Insel Sylt sicher nicht, da sie in Qualität und Menge gut ausgestattet ist.« Auf Sylt gehe es, anders als auf Mallorca, entspannt zu. Zwar sei in der Hochsaison schon mal ein Stau möglich, im Vergleich mit Städten sei das aber eine bescheidene »temporäre Randerscheinung«.
Auch Preisexplosionen gebe es nicht, unterschieden werde nur wie in allen Urlaubsorten nach Saison. Die Besucherlenkung ist Douven zufolge auf Sylt wegen des Naturschutzes schon lange ein Thema, allerdings »aus Gründen der Nachhaltigkeit, nicht wegen Besuchermengen wie in den Hochburgen Mallorcas«.
An der Nordsee müsste die Tourismusinfrastruktur vielerorts modernisiert werden, sagen Kritiker.