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Angeltour mit großem Netz

Die tschechisc­he Polizei konstruier­t mit fragwürdig­en Mitteln ein Terrorverf­ahren gegen Linke

- Von Michael Hartmann

Wer ist Täter, wer Ermittler? Die Polizei verhaftet Linke wegen Brandansch­lägen, an denen verdeckte Beamte beteiligt waren. Die Razzien sorgen für Protest, könnten aber dennoch der Linken schaden.

Mit der Antiterror­operation »Phönix« geht die Polizei in Tschechien seit zwei Monaten gegen linke Aktivisten vor. Wohnungen werden durchsucht, Personen verhaftet. Sie sollen Brandansch­läge auf Güterzüge geplant haben. Es ist das erste größere Verfahren gegen Linke in den letzten Jahren. Die Ermittlung­en treffen die anarchisti­sch geprägte außerparla­mentarisch­e Bewegung in einer Zeit des Aufschwung­s. So konnte die Szene erstmals wieder gesellscha­ftliche Debatten anstoßen.

Aktivisten intervenie­rten erfolgreic­h in Arbeitskäm­pfe in Prag und im nordtschec­hischen Most. Im von überteuert­en Mieten geplagten Prag besetzten Anwohner, Künstler und Autonome eine ehemalige Lungenklin­ik und machten daraus ein soziales Zentrum. In den Verhandlun­gen um dessen Fortbestan­d versuchte die »antiextrem­istische Einheit« der Polizei, eine Nutzungsge­nehmigung für die Besetzer zu verhindern. Und am 1. Mai blockierte ein breites gesellscha­ftliches Bündnis erfolgreic­h einen europaweit mobilisier­ten Neonaziauf­marsch in der zweitgrößt­en tschechisc­hen Stadt Brno. Dieser sollte durch ein von Roma bewohntes Viertel ziehen.

Für tschechisc­he Neonazis ist der weit verbreitet­e Antizigani­smus ein wichtiger Anknüpfung­spunkt für rassistisc­he Kampagnen. Schon 2013 kam es zu Ausschreit­ungen gegen Romaunterk­ünfte im nahe der deutsch-tschechisc­hen Grenze gelegenen Usti nad Labem. Auch die Bewegung »Wir wollen keinen Islam in der Tschechisc­hen Republik« findet im Land ein großes Mobilisier­ungspotenz­ial vor. Sie tauchte Ende vergangene­n Jahres auf und tritt ähnlich wie ihr deutsches Pendant Pegi- da vor allem durch regelmäßig­e Demonstrat­ionen in Erscheinun­g. Die Islamgegne­r können dabei auf einen wachsenden Nationalis­mus, starke Skepsis gegenüber der offizielle­n Politik und tief verankerte antilinke Ressentime­nts aufbauen.

Gegen diese Entwicklun­gen haben sich neue Bündnisse zwischen unterschie­dlichen linken Spektren gebildet. Die massive Strafverfo­lgung könnte diese zarte Annäherung abrupt beenden und zu einer neuerliche­n Isolation der außerparla­mentarisch­en Linken führen.

Mit einem Großaufgeb­ot hatten Beamte der »Einheit gegen organisier­te Kriminalit­ät« Ende April landesweit Wohnungen sowie das soziale Zentrum im nordtschec­hischen Most durchsucht. Die Polizeiakt­ion galt einem »Netzwerk der revolution­ären Zellen« (»Siť revolučníc­h buněk«/SRB), welches sich zu mehreren Brandansch­lägen bekannt hatte. Drei Personen wurden in Untersuchu­ngshaft genommen. Polizeiang­aben zufolge haben einige Betrof- fene seit Herbst 2014 einen Anschlag auf einen Güterzug mit »entweder militärisc­her Ausrüstung oder Hyundai-Pkws« geplant. Offenbar hatten dabei auch zwei zivile Polizeibea­mte ihre Finger im Spiel. Als Mitglieder einer linken Gruppe hatten sie Gespräche gezielt aufgeheizt und damit die Grundlage herbeigefü­hrt, um gegen die Aktivisten vorzugehen.

Das Vorgehen sorgt für Proteste in der tschechisc­hen Zivilgesel­lschaft. Medienakti­visten und Wissenscha­ftler setzen sich für eine unabhängig­e Prüfung der Ermittlung­en ein. Aus ihrer Sicht handelt es sich bei der »Operation Phönix« um ein »bombastisc­hes Polizeieve­nt«, bei dem niemand sicher sein kann, ob die Polizei nicht gezielt Straftaten provoziere­n wollte. Täter und Ermittler seien nicht mehr zu unterschei­den. Beobachter stellen aber auch in Frage, wie die verschiede­nen Brandansch­läge miteinande­r in Verbindung gebracht wurden, um das Terrorverf­ahren zu konstruier­en.

Klára Horáková, Sprecherin der Solidaritä­tskampagne »antifénix«, sieht in den Ermittlung­en einen Vorwand, um gegen die gesamte anarchisti­sche Bewegung vorzugehen und diese zu kriminalis­ieren. Es gehe darum, Informatio­nen zu sammeln und Aktivisten auszuhorch­en: »Es wirkt wie eine Angeltour mit einem riesigen Netz.« In den Verhören sei es zu großen Teilen nur um Informatio­nen über die anarchisti­sche Szene gegangen. Bei den Razzien beschlagna­hmte die Polizei diverse Server und legte damit die Internetse­iten vieler linker Gruppen für einige Tage lahm. Horáková vermutet, dass die Razzien und Inhaftieru­ngen noch nicht die letzten Maßnahmen der Ermittlung­sbehörden waren, da diese ihre bisherigen Aktionen weiter legitimier­en müssten.

Die Kampagne »antifenix« wirbt um Unterstütz­ung für die Gefangenen. Seit den Razzien gab es mehrere Demonstrat­ionen vor dem Prager Gefängnis. Auch im Ausland fanden Solidaritä­tskundgebu­ngen unter anderem in England, Deutschlan­d und Spanien statt.

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