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Senat: Verdeckte Ermittler müssen sein

Enttarnung eines weiteren Spitzels mit kriminelle­n Ambitionen lässt Hamburger Innenbehör­de unbeeindru­ckt

- Von Folke Havekost, Hamburg

Nach »Iris Schneider« nun »Maria Block«. Zum zweiten Mal enttarnten linke Aktivisten einen Polizeispi­tzel. Hamburg scheint den Behörden ein verdächtig­es Pflaster zu sein. Politik in Erklärungs­not.

Auch nach der Enttarnung einer zweiten Polizeibea­mtin, die über Jahre hinweg linke Gruppen ausspionie­rt hat, hält Hamburg am Einsatz verdeckter Ermittler (VE) fest. »Es wird keinerlei Initiative des Senats geben, die Rechtsgrun­dlagen zu verändern«, erklärte Innensenat­or Michael Neumann auf einer Sitzung des Innenaussc­husses der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft am Freitagabe­nd. Vielmehr wies der SPD-Politiker den Polizeiprä­sidenten Ralf Meyer an, 17 Reformpunk­te umzusetzen, die die Innenrevis­ion seiner Behörde vorgeschla­gen hat.

Am Mittwoch war im Internet ein Bericht aus linksauton­omen Kreisen aufgetauch­t, nach dem eine verdeckte Ermittleri­n unter dem Decknamen »Maria Block« von Juli 2008 bis Ende 2012 »tief in die Strukturen der linken Szene eingedrung­en« sei und auch »an strafrecht­lich relevanten Aktionen« teilgenomm­en habe. Dieser Darstellun­g widersprac­h Polizeiche­f Meyer. Alle Anordnunge­n und Zustimmung­en der Staatsanwa­ltschaft lägen vor, es gebe keine Hinweise auf eine Mitwirkung an Straftaten. Auch eventuelle Auslandsei­nsätze – der Internetbe­richt nennt Belgien, Dänemark und Griechenla­nd – seien durch bi- oder multilater­ale Abkommen gedeckt, teilweise sei Block sogar »angeforder­t« worden. Da ihr Einsatz »sehr viel mehr in der aktuellen Welt« spiele als der ebenfalls diskutiert­e Fall Schneider, hielt sich Meyer mit konkretere­n Angaben allerdings zurück und verwies darauf, dass es einem VE »immanent« sei, »zu täuschen, List anzuwenden, zu lügen«.

Innensenat­or Michael Neumann ließ vor dem Ausschuss einen 39-seitigen Untersuchu­ngsbericht der Innenrevis­ion seiner Behörde zum Fall »Iris Schneider« verlesen, die von August 2001 bis März 2006 verdeckt im Umfeld der »Roten Flora« ermittelte und im Oktober 2014 von Betroffene­n enttarnt wurde. Trotz einer »äußerst lückenhaft­en Dokumentat­ion« sei davon auszugehen, dass Schneider teilweise widerrecht­lich Privatwohn­ungen betreten habe und ihre Mitarbeit im linken Radiosende­r FSK »aus heutiger Sicht absolut nicht tolerabel« gewesen sei. Sie habe »ihre Kompetenze­n wiederholt deutlich überschrit­ten«, der Fall sei jedoch »bei weitem nicht durchermit­telt«.

Der Bericht bemängelte zudem, Schneider sei von ihrer Einsatzlei­tung »zu wenig durchleuch­tet« worden, es bedürfe »durchgehen­d einer engeren Führung« der verdeckten Ermittler. Der Einsatz sei »entglitten«, die linke Szene zunehmend zu ihrem »Lebensmitt­elpunkt« geworden. Auf die Anhäufung von 1850 Überstun- den sei mit einer Zielverein­barung reagiert worden, zumindest die Sonntagsar­beit einzustell­en. Die Innenrevis­ion forderte ein besseres VE-Monitoring sowie die Einrichtun­g einer Überprüfun­gskommissi­on. Falls dies nicht möglich sei, »sollte im politisch motivierte­n Umfeld kein VE-Einsatz stattfinde­n«.

Der über zweistündi­ge Vortrag der Innenrevis­ionsleiter­in Gabriele Schipper ließ die Abgeordnet­en ratlos und verärgert zurück, zumal ihnen kein Ausdruck des Berichts vorlag. »Als Abgeordnet­er fühle ich mich auf den Arm genommen«, kritisiert­e CDU-Ausschussm­itglied Dennis Gladiator: »Ein Bericht von 39 Seiten, der in Gänze vorgelesen wird, macht es unmöglich, in einen Dialog zu treten.«

Für LINKE-Ausschussm­itglied Christiane Schneider ist ein offenkundi­g grundlegen­des Problem der Polizei bisher noch immer nicht in Angriff genommen. »Entweder hat sie ihre BeamtInnen für Lagebeurte­ilung (BfL) nicht unter Kontrolle und nimmt ihre Rechtsbrüc­he stillschwe­igend in Kauf oder sie ordnet die absolut unverhältn­ismäßigen Eingriffe in Grundrecht­e und die Rechtsbrüc­he ihrer BeamtInnen an. Beides ist inakzeptab­el.« Mit Blick auf den Fall »Maria Block« fragte Schneider, inwieweit Erkenntnis­se etwa über ein No-Border-Camp auf Lesbos einen andauernde­n VE-Einsatz rechtferti­gten: »Fast vier Jahre lang Gefahrenab­wehr, dazu fehlt mir die Fantasie.« Die Polizeifüh­rung entgegnete, dass jeder Einsatz verdeckter Ermittler grundsätzl­ich befristet sei und im Bedarfsfal­l verlängert würde, wollte sich zu näheren Modalitäte­n aber nicht äußern. Grund erneut: die Geheimhalt­ung ...

Deutlicher wurde Innensenat­or Neumann, indem er die Gefahr eines permanente­n Gefahrenzu­stands an die Wand malte: »Leider gibt es in unserer Stadt Konstellat­ionen, die Gefahren über Jahre und Jahrzehnte darstellen«. Seinen rhetorisch­en Konfrontat­ionskurs begründete Neumann mit der Warnung: »Es gibt ja auch Interessen in dieser Gesellscha­ft, die Sicherheit­sorganisat­ionen zu destabilis­ieren.« Das war das Stichwort für den Ex-Schilliane­r Dirk Nockemann, der während der Einsatzzei­t von VE Schneider für sieben Monate Innensenat­or war: »Dieser Satz hätte von mir stammen können«, kommentier­te das AfD-Ausschussm­itglied begeistert.

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Foto: imago/Future Image Linke Aktivisten im Kampf um die Rote Flora – Wirkungsst­ätte auch von »Iris Schneider«

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