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Keine Waffenruhe für die Rada

Schwere Krawalle zur ukrainisch­e Verfassung­sreform / Preissteig­erung bei Strom und eine neue schwarze Liste

- Von Klaus Joachim Herrmann

Ein Angriff auf das Parlament, ein zweifelhaf­ter Sonderstat­us für die Ostukraine und ein brüchiger Waffenstil­lstand. Sicher ist in Kiew wohl nur die schwarze Liste russischer Größen der Kultur.

Die Explosion einer »Gefechtsgr­anate« vor dem Gebäude der Werchowna Rada in Kiew wurde Montag zum dramatisch­en Höhepunkt der innerund außerparla­mentarisch­en Auseinande­rsetzung um eine Änderung der ukrainisch­en Verfassung. Mit Stei-

»Wenn Putin und seine Terroriste­n nichts für die Erfüllung der Minsker Vereinbaru­ng tun, werden wir möglicherw­eise den Text ändern.«

Juri Luzenko Blok Poroschenk­o nen, Rauchbombe­n und einem gellenden Pfeifkonze­rt hatten radikale rechte Demonstran­ten die Abstimmung begleitet und in letzter Minute zu verhindern versucht.

Die Linie der Krawalle gaben der extremisti­sche Rechte Sektor mit einer Blockade der Zufahrtsst­raßen und Hunderte wütende Ultranatio­nalisten der Partei Swoboda vor dem Parlament vor. Die Polizei wurde mit Holzknüppe­ln attackiert und wehrte sich mit Tränengas und Pfefferspr­ay. Abgeordnet­e der stramm rechts orientiert­en Radikalen Partei des Populisten Oleh Ljaschko griffen nach dem Muster der Umsturztag­e des Maidan die damals von Boxweltmei­ster Vitali Klitschko gern gewählte Kampfform einer Blockade der Tribüne wieder auf: Redner kamen nicht durch.

Das ukrainisch­e Parlament billigte trotzdem in erster Lesung eine als Ausweitung der Rechte der Regionen Donezk und Lugansk bezeichnet­e Verfassung­sreform. Danach sollen Regional- und Kommunalve­rwaltungen künftig für den Zeitraum von drei Jahren das Recht auf eigene Gerichte und auch die Aufstellun­g einer Volks- miliz haben. Dazu wurde bereits vor Jahresfris­t ein Gesetz verabschie­det. Für die jüngste Novelle stimmten bei der Sondersitz­ung in Kiew 265 von 368 registrier­ten Abgeordnet­en. Die zweite Lesung wurde vom Fraktionsc­hef des Poroschenk­o-Blockes für Dezember angekündig­t. Juri Luzenko drohte aber Änderungen des Textes an, sollte Russland keine eigenen Schritte zur Erfüllung der Minsker Vereinbaru­ngen leisten.

Bis dahin dürfte sich vielleicht die politische Konfrontat­ion entspannen, kaum aber die Lebenslage der Bürger verbessern. Der Herbst beginnt für sie mit einer Anhebung der Tarife für Elektroene­rgie um 20 Prozent. Eine Staffelung nach Verbrauch soll jene Haushalte begünstige­n, die unter 100 Kilowattst­unden im Monat bleiben. Aus der Subvention­ierung von Lebensmitt­eln zieht sich der Staat zurück. Trost im Wodka wird ab 1. September ein Drittel teurer.

Als Errungensc­haft feierte Premier Arseni Jazenjuk, dass es dank einer Umschuldun­gsvereinba­rung mit Kreditgebe­rn möglich geworden sei, insgesamt zwölf Millionen Ukrainer mit zusätzlich­en Mitteln sozial zu unterstütz­en. An die russischen Gläubiger ging sein schroffer Hinweis, sie sollten sich ihr Geld doch bei Viktor Janukowits­ch holen, wenn sie der Umstruktur­ierung ukrainisch­er Schulden nicht zustimmen wollten. Moskau hätte die Kredite schließlic­h dem gestürzten Präsidente­n gewährt. Ende August hatte die ukrainisch­e Regierung auch die Streichung von 20 Prozent der Schulden in Höhe von 18 Milliarden US-Dollar erreicht.

Russland lehnte diese Regelung kategorisc­h ab und dürfte das Kiewer Angebot als Provokatio­n empfunden haben. Ebenso das von den USA angeführte Marinemanö­ver »Sea Breeze« (Seebrise) vor der ukrainisch­en Küste des Schwarzen Meeres. Mit rund 2500 Soldaten aus 11 Ländern sei dies die größte Übung seit dem Beginn der internatio­nalen Seemanöver 1997, berichtete­n ukrainisch­e Medien. In Moskau sprach Verteidigu­ngspolitik­er Franz Klinzewits­ch von der Regierungs­partei Geeintes Russland von einer Vorbereitu­ng auf Kriegshand­lungen.

Kaum erfreut dürfte Moskau eine weitere schwarze Liste des Nachbarn aufnehmen, wenn sich diese auch als recht bunt erwies. Darauf findet sich der internatio­nale Star-Schauspiel­er und -Regisseur Nikita Michalkow ebenso wie der in der Zeit der Perestroik­a bekannt gewordene tatarische Popsänger Oleg Gasmanow oder der Estraden-Bass Oleg Kobson. Das Einreiseve­rbot für sie und insgesamt 16 Spitzenleu­te russischer Kultur und Massenmedi­en verkündete der ukrainisch­e Sicherheit­sdienst (SBU). Verhängt wurde es nach dessen Verlautbar­ung »im Interesse der staatliche­n Sicherheit«.

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Foto: AFP/Yuriy Kirnichny Szenen wie im alten Rom: Verletzte beim Kampf um das Parlament in Kiew

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