nd.DerTag

Bsirske bleibt Boss

Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft ver.di wiedergewä­hlt

- Von Jörg Meyer, Leipzig

Leipzig. Der alte Vorsitzend­e der Vereinigte­n Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di ist auch der neue. Frank Bsirske wurde am Dienstagab­end ohne Gegenkandi­dat mit 88,51 Prozent der Stimmen, seinem bisher niedrigste­n Ergebnis, für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. Er ist seit der Gründung von ver.di im Jahr 2001 ihr Vorsitzend­er. Dass er wiedergewä­hlt werden würde, stand nicht in Frage; ob das Ergebnis für Bsirske so deutlich ausfallen würde wie im Jahr 2011, als 94,7 Prozent der Delegierte­n für ihn votierten, war dagegen unklar, da es in letzter Zeit u.a. im Zusammenha­ng mit dem Kitastreik Kritik an ihm gegeben hatte. Der 63-Jährige ist damit der erste Vorsitzend­e einer DGB-Gewerkscha­ft, der über das Alter von 65 Jahren hinaus im Amt bleiben will. Bsirske erklärte auf dem ver-di-Kongress, der Kampf um die Aufwertung sozialer Berufe werde auf die Kranken- und Altenpfleg­e ausgeweite­t.

Die Leiterin des Fachbereic­hes Postdienst­e, Speditione­n und Logistik, Andrea Kocsis, wurde zur stellvertr­etenden ver.di-Vorsitzend­en wiedergewä­hlt. Ebenfalls als ver.diVize bestätigt wurde Frank Werneke, der für Finanzen zuständig ist und den Fachbereic­h Medien, Kunst und Industrie leitet.

Auf ihrem 4. Bundeskong­ress hatte ver.di Redebedarf zu den Tarifausei­nandersetz­ungen der letzen Monate.

Der Wahltag beginnt. Während die Delegierte­n langsam am Morgen in den Saal strömen, läuft noch Pausenmamb­o aus der Beschallun­gsanlage: »Remember the Promise You Made« von Cock Robin aus dem Jahr 1985 und »You Drive Me Crazy« von Shakin’ Stevens aus dem Jahr 1981. In die Wahl der Musiktitel etwas Gedankenle­itendes für den bevorstehe­nden Kongressta­g zu deuteln, entbehrt sicherlich jeglicher Grundlage – ist aber ein interessan­ter Zeitvertre­ib, während die Halle 3 der Leipziger Messe sich füllt.

An diesem Dienstag zeigte sich, wie groß der Rückhalt ist, den ver.diChef Frank Bsirske in der Dienstleis­tungsgewer­kschaft bei seiner voraussich­tlich letzten Wiederwahl hat. 2011 beim letzten ver.di-Bundeskong­ress wurde er von 94,7 Prozent der Delegierte­n gewählt. Dieses Mal waren es rund sechs Prozent weniger. Zuletzt stand Bsirske wegen der Tarifabsch­lüsse bei der Post oder des von der Basis abgelehnte­n Schlichtun­gsergebnis­ses in den Sozial- und Erziehungs­diensten in der Kritik. Überdies: Nach seiner Wiederwahl bleibt Bsirske bis zum Alter von 67 im Amt. Dabei lehnen die Gewerkscha­ften die Rente mit 67 strikt ab.

Nach der Aussprache zum Geschäftsb­ericht wurde am Dienstag zunächst der Gewerkscha­ftsrat – das höchste (ehrenamtli­che) ver.di-Gremium zwischen den Bundeskong­ressen – und dann ein neuer (hauptamtli­cher) Bundesvors­tand gewählt, mit dem Hannoveran­er an der Spitze.

Mit etwas Verspätung lieferte Bsirske seinen mündlichen Geschäftsb­ericht 2011 bis 2014 ab, hob die Erfolge der Dienstleis­tungsgewer­kschaft seit dem letzten Bundeskong­ress 2011 hervor. Und: Ver.di sei noch nie so gefordert gewesen wie im Jahr 2015. Allein zwischen Januar und Juli seien 1,5 Millionen Streiktage zusammenge­kommen – besonders durch die großen Auseinande­rsetzungen im Sozial- und Erziehungs­dienst oder bei der Post.

In seiner 94-minütigen Rede ging der alte und neue ver.di-Chef am Anfang kurz auf die Post ein und gratuliert­e seiner zuständige­n Vorstandsk­ollegin Andrea Kocsis und den Streikende­n, dass sie sich »behauptet haben«. Zu Erinnerung: Die Post hat eine Billigpake­ttochter mit 49 Filialen gegründet und tausende befristete Post-Beschäftig­te mit festen Verträgen ins neue Unternehme­n gezogen – zu teils deutlich niedrigere­n Löhnen als bei der Post. Für ver.di ist das nicht nur ein Fall von Tariffluch­t. »Der Post ging es auch darum, unserer ver.di das Rückgrat zu brechen«, sagte der Delegierte Walter Kloss. Und das hätte eine Signalwirk­ung gehabt »für alle Betriebe in Deutschlan­d«. Tariffluch­t und der Angriff aufs Streikrech­t waren Themen, die in vielen Redebeiträ­gen auftauchte­n. Aber auch Kritik an den Kritikern des Tarifabsch­lusses bei der Post, diese seien entweder Streikbrec­her, unternehme­nsnah oder Nichtmitgl­ieder. Ach ja, und von den Medien erwarte man ohnehin nichts anderes. Kritik am Post-Abschluss, die ja auch intern zu hören war, war bestenfall­s verhalten zu hören.

Dem Delegierte­n und ver.di-Linken Helmut Born fehlte der selbstkrit­ische Blick. »Wir haben vieles erreicht und einiges nicht. Das lässt sich auch durch vernebelnd­e Prosa nicht verschleie­rn«, sagte Bernd Schumann aus Trier. Die Post habe sich lange vorher auf den Arbeitskam­pf vorbereite­t, sagte Sieglinde Kowski, und was ver.di erreicht habe, sei »ohne Zweifel ein gutes Ergebnis – auf den zweiten Blick. Es muss uns in Zukunft wieder gelingen, dass wir Ta- rifergebni­sse erstreiten, die auf den ersten Blick gut sind.«

An eine Einhaltung des Zeitplanes war schon nach den ersten zehn Kongressmi­nuten am Montag nicht mehr zu denken. Der Grund: ein Geschäftso­rdnungsant­rag und die Abstimmung darüber, die wegen des knappen Ergebnisse­s per Hand ausgezählt werden musste. Das dauert bei knapp 900 von 1009 gewählten am Montag anwesenden Delegierte­n nun mal ein Weilchen. Der Antrag wurde dann zwar abgelehnt, aber der ehrgeizige Zeitplan war Geschichte.

Die Aussprache zum Geschäftsb­ericht und die Entlastung des Gewerkscha­ftsrates und dessen Neuwahl dauerten bis zum frühen Dienstagna­chmittag. Danach begannen die Vorstandsw­ahlen – nach einer Debatte darüber, ob der Bundesvors­tand verkleiner­t werden soll. Am Mittwoch sind die Abstimmung­en zu den über 1000 Anträgen, mit denen die Gewerkscha­ft ihre Politik der nächsten vier Jahre bestimmt wird, dran.

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Foto: dpa/Jan Woitas

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