Fernab der alten Spähtrupp-Pfade entsteht ein neuer Geheimdienst
Das Militärische Nachrichtenwesen agiert unkontrolliert und damit jenseits des Grundgesetzes
Die Bundeswehr baut ihre militärischen Geheimdienste aus, ohne eine parlamentarische Kontrolle fürchten zu müssen.
Die Ablenkung funktioniert perfekt: Wenn in Deutschland von militärischen Geheimdiensten die Rede ist, wird der Militärische Abschirmdienst (MAD) genannt. In der Tat sollte man darüber reden, warum der Dienst, der womöglich im Kalten Krieg noch wichtig war, nicht längst kostensparend in den Verfassungsschutz eingegliedert wurde. Man sollte darüber reden, warum der MAD alle zwölf Standorte behält und nur elf Prozent Dienstposten verliert, während die Bundeswehr um 30 Prozent reduziert wird. Doch das alles lenkt davon ab, das sogenannte Militärische Nachrichtenwesen und damit vor allem die Tätigkeit des Kommandos Strategische Aufklärung in der Boeselager-Kaserne in Gelsdorf bei Bonn in den Blick zu nehmen. Zumal das, wie Insider munkeln, nicht nur durch die geplante Umbenennung in Kommando Militärisches Nachrichtenwesen aufgewertet wird.
Mehrfach wurde in geheimen Regierungspapieren auf Doppelarbeiten und Doppelstrukturen zwischen Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärspionen hingewiesen. Seit einer Vereinbarung aus dem Jahre 2005 ist der BND sozusagen der nachrichtendienstliche Vormund für das Mili- tär bei allen Auslandseinsätzen. Dafür hat das Verteidigungsministerium fast 300 Planstellen an den BND abgetreten und finanziert. Inzwischen ist man irgendwo bei gut 800 BND-Soldatenplanstellen angelangt. Doch insgesamt ist jeder fünfte der rund 6400 hauptamtlichen BND-Mitarbeiter irgendwie für die Bundeswehr tätig. Auch der personelle Austausch zwischen beiden Einrichtungen war stets hoch, schon damit alle im Militär mit strategischer Aufklärung Befassten auf diesem Gebiet geschult werden konnten. Inzwischen hat das militärische Nachrichtenwesen an Qualität gewonnen und ist – auch zum Ärger für den BND – weitgehend autonom. Nun wird nach neuen Koordinationsmöglichkeiten via Kanzleramt gerufen.
Obwohl sich eine Verschiebung in der Aufgabenstellung zwischen dem BND und dem militärischen Nachrichtenwesen andeutet, versucht man mit einigem Erfolg, weiter den Eindruck zu erwecken, es handle sich bei den Bundeswehrspionen um die normalen Aufklärungstruppen, die nachschauen, wo mögliche Gegner Panzer abgestellt haben. Ein Irrtum, die alten Spähtrupp-Pfade hat man längst gegen Erdumlaufbahnen eingetauscht.
Doch das Militär kann noch mehr. Wie der BND setzt man auf SIGINT, also technische Nachrichtengewinnung und auf menschliche Quellen, HUMINT genannt. Kein Zweifel also: Es gibt also im Bereich des Ministeriums der Verteidigung einen eigenen Allround-Nachrichtendienst.
Nun unterliegen die deutschen Dienste und all ihre Schnittstellen laut Grundgesetz der Kontrolle des Bundestages, insbesondere der des Parlamentarischen Kontrollgremium, der G10-Kommission und des Vertrauensgremiums des Haushaltsausschusses. Doch nach den überkommenen Gesetzestexten betrifft die Aufsicht der Parlamentsgremien nur den BND, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den MAD.
Gerade jetzt, da der BND ob seiner übergroßen Kooperation mit der USamerikanischen NSA besonders den Argwohn der hinters Licht geführten G-10-Kommission geweckt hat, die alle Abhöraktionen gegen deutsche Staatsbürger genehmigen muss, scheint es so, als wolle die Bundesre- gierung geheime Militäreinheiten jenseits aller Kontrolle halten. Sie sieht, so legen interne Dokumente nahe, keine Notwendigkeit, rechtlich nicht genehmigte Entwicklungen zu stoppen.
Klare Regelungen wären aber auch notwendig angesichts der asymmetrischen und hybriden Kriege, die den Unterschied zwischen militärischen und zivilen Gegnern verwischen. Das Militär macht sich immer öfter an Zivilisten heran. Wie leicht gerät da beim Abzapfen von Kommunikation ein sogenannter deutscher Hoheitsträger »dazwischen«. Dass ein Ausfiltern solcher widerrechtlichen Überwachung unmöglich ist, hat sich mehrfach im NSA-Untersuchungsausschuss gezeigt und bringt dem BND viel Ärger ein.