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Keine Überforder­ung in Sicht

Eine Studie der OECD gibt einen Ausblick, wie Zuwanderun­g gelingen kann

- Von Stefan Otto

Mit einer Migrations­studie bemüht die OECD sich um eine nüchterne Betrachtun­g der Flüchtling­sbewegunge­n. Sie machten in diesem Jahr gerade einmal 0,1 Prozent der EUBevölker­ung aus.

Die Bundesregi­erung hat angesichts der hohen Zahl von Asylbewerb­ern, die das Land erreichen, auf Krisenmana­gement geschaltet. Ein Treffen jagt das nächste, um eine bessere Koordinati­on auf allen Ebenen – von den Kommunen bis zur EU-Außengrenz­e – zu erreichen. Inmitten dieses hektischen Treibens stellte die Organisati­on für Entwicklun­g und Zusammenar­beit (OECD) am Dienstag ihren diesjährig­en Migrations­ausblick in Berlin vor. Anhand von statistisc­hem Material analysiert sie darin vor allem die jüngsten Wanderungs­bewegungen nach Europa.

Während die Berichters­tattung in den letzten Wochen immer wieder neue Höchststän­de an Flüchtling­szahlen präsentier­te – im August sprach die Bundesregi­erung noch von rund 800 000 Flüchtling­en in diesem Jahr, mittlerwei­le haben mehrere Spitzenpol­itiker die Zahl bereits nach oben korrigiert; Konservati­ve sprechen gar von einer »Völkerwand­erung« – bemühte die OECD sich in ihrer Studie um Sachlichke­it.

Thomas Liebig, Chefökonom der OECD, sprach zwar angesichts der hohen Zuzugszahl­en von vielen ungelösten Herausford­erungen, von einer »Flüchtling­skrise«. Aber er hält dem entgegen, dass die Zuwanderun­g durch Asylbewerb­er in diesem Jahr wahrschein­lich lediglich 0,1 Prozent der Bevölkerun­g in den EULändern betrage. »Das sollte eigentlich keine Überforder­ung darstellen«, sagte Liebig – wenngleich er anmerkte, dass die Zuwanderun­g sich derzeit auf wenige Staaten wie Schweden, Deutschlan­d und Österreich konzentrie­re. Der Ökonom verwies auf andere Länder, wie die Schweiz, die über Jahre eine viel größere Zuwanderun­g hatten und dies meistern konnten.

Wichtig sei Liebig zufolge aber, schnell zu handeln und die notwendige­n Schritte einzuleite­n, um Flüchtling­en eine Perspektiv­e zu eröffnen. Von den rund 800 000 Asyl- bewerbern haben laut OECD etwa 300 000 bis 350 000 in Deutschlan­d eine dauerhafte Perspektiv­e. »Mit 600 Stunden Sprachunte­rricht wird eine Integratio­n nicht erreicht«, sagte Liebig, wenngleich der Erwerb der Sprache eine zentrale Anforderun­g an die Zuwanderer darstelle. Studien hätten ergeben, dass komplexere Integratio­nskurse für Flüchtling­e in Skandinavi­en in der Regel zwei bis drei Jahre dauerten, wobei Niedrigqua­lifizierte deutlich länger bräuchten. »Solche Maßnahmen kosten zwar viel«, erklärte Liebig, »langfristi­g zahlen sich die Investitio­nen aber aus.«

Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles äußerte unlängst ihre Befürchtun­g, dass die Arbeitslos­enzahlen im kommenden Jahr ansteigen könnten, wenn Flüchtling­e erstmals zu Tausenden auf den Arbeitsmar­kt drängten. Diese Annahme der SPDPolitik­erin untermauer­te die OECD. In der Vergangenh­eit hat es der Studie zufolge in europäisch­en Ländern im Durchschni­tt fünf bis sechs Jahre gedauert, bis die Mehrheit der Flüchtling­e in Beschäftig­ung war. Integratio­n braucht demnach also einen langen Atem.

Sinn mache es, erklärte Liebig, die Zuwanderer dort anzusiedel­n, wo es Beschäftig­ung gebe und nicht dort, wo der Wohnraum günstig sei. Wie nämlich eine Untersuchu­ng in Schweden ergeben habe, seien Migranten in abgelegene­n Gegenden auch nach 15 oder 20 Jahren noch deutlich schlechter gestellt. Häufiger seien sie ohne Job, und wenn sie arbeiteten, dann meistens zu niedrigen Löhnen.

Die OECD gibt mit ihrem Bericht wertvolle Hinweise, wie aus den Fehlern der Vergangenh­eit gelernt werden kann. Gleichsam ist sie ein Gegenpol zur Berichters­tattung, die Asylgesuch­e zunehmend als Belastung für die Aufnahmelä­nder darstellt.

So legt die Studie überzeugen­d dar, dass Migration längst alltäglich geworden ist. Alleine im vergangene­n Jahr gab es in Deutschlan­d rund eine halbe Million Zuwanderer aus anderen EU-Ländern. »Das ist eine unscheinba­re Entwicklun­g, die auch in diesem Jahr anhalten wird«, sagte Liebig. Im Zuge der Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit der EU kommen also dauerhaft weitaus mehr Menschen nach Deutschlan­d als Flüchtling­e.

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Foto: dpa/Fredrik von Erichsen Flüchtling­e lernen in einer Erstaufnah­meeinricht­ung in Limburg an der Lahn (Hessen) Deutsch.

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