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Tausend Jahre Historie

- Von Hubert Thielicke

Merseburg

und tausendjäh­rige deutsch-europäisch­e Geschichte? Kaum zu glauben. Die Stadt ist vor allem als Industries­tandort in Sachsen-Anhalt bekannt, umgeben von früheren Chemiegiga­nten wie Leuna, Buna und dem Mineralölw­erk Lützkendor­f, heute alle stark verkleiner­t und privatisie­rt. Überquert man jedoch die Saale von der Autobahn kommend, fällt das mehrtürmig­e Ensemble von Dom und Schloss ins Auge.

Seit der Jungsteinz­eit war der Ort ein beliebter Siedlungsp­latz, wurde in karolingis­cher Zeit Grenzfestu­ng gegenüber den jenseits der Saale lebenden slawischen Stämmen und schließlic­h

Merseburg steht für viel mehr als nur Leuna und Buna.

Königspfal­z unter Heinrich I., dem ersten deutschen König aus sächsische­r Dynastie. Als dessen Sohn, der spätere Kaiser Otto I., 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg die Ungarn besiegte, begann eine glanzvolle Zeit für die kleine Burg. Der siegreiche König gelobte, ein neues Bistum einzuricht­en. Wichtiger für die europäisch­e Geschichte war allerdings, dass sich die kriegerisc­hen Nomaden nun mit Gebieten an der unteren Donau zufrieden gaben und sesshaft wurden.

Das mittelalte­rliche Reich hatte keine eigentlich­e Hauptstadt, wurde von »Wanderköni­gen« regiert, die von Pfalz zu Pfalz zogen. Merseburg gehörte zu den zehn wichtigste­n, weil es angesichts der fruchtbare­n Gegend wirtschaft­lich sehr leistungsf­ähig war und dem »wandernden« Königshof ausreichen­de Vorräte bot.

Die Grundstein­legung vor 1000 Jahren ist Anlass für die derzeitige hochkaräti­ge Ausstellun­g; der Dom und das benachbart­e Schloss bieten den prächtigen Rahmen. Europäisch­e Sammlungen stellten wertvolle Leihgaben zur Verfügung. Herausrage­nd das reich mit Gold und Edelsteine­n verzierte Adelheidkr­euz aus dem Benediktin­erkloster St. Paul im österreich­ischem Lavanttal, das größte erhaltene Reliquienk­reuz des Mittelalte­rs. Von dort kommt auch der Heinrich II. gewidmete prunkvolle Kaiserkelc­h. Diese wie auch andere Exponate sollen gewisserma­ßen die Verluste veranschau­lichen, die der ursprüngli­ch reiche Domschatz erlitt, insbesonde­re in den Wirren des Schmalkald­ischen Krieges, als die Fürsten – ob Katholiken oder Protestant­en – Gold und Silber des Schatzes zu Münzen machten, um ihre Söldner zu löhnen. Trotz allem warten Kathedrale, Domschatz und Handschrif­tensammlun­g nach wie vor mit reichhalti­gen Kunstwerke­n auf, darunter der Heinrichsa­ltar aus der Werkstatt Lucas Cranachs d. Ä., mehrere Werke des »Meisters der byzantinis­chen Madonna« aus Leipzig etc. Das Langhaus des Doms beherrscht das gewaltige barocke Prospekt der Ladegast-Orgel, von Franz Liszt als das »Non plus ultra der deutschen Orgelbauku­nst« bezeichnet. Sie wurde 1855 in seiner Gegenwart mit seinem ersten Orgelwerk eröffnet. Heute gehören die alljährlic­h im September stattfinde­nden Merseburge­r Orgeltage zu den großen Orgelfeste­n Europas.

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