nd.DerTag

Zeichnunge­n mit Zündstoff

Die Mohammed-Bilder in der »Jyllands-Posten« lösten weit über Dänemark hinaus Proteststü­rme aus

- Von Bengt Arvidsson, Stockholm

Eine Dekade ist seit der Veröffentl­ichung von Karikature­n des Propheten Mohammed in der Zeitung »Jyllands-Posten« vergangen, die eine internatio­nale Krise auslösten. Der Streit hat in Dänemark tiefe Wunden hinterlass­en und ist internatio­nal alles andere als vergessen.

Zehn Jahre ist es her, dass Kurt Westergaar­d und Kollegen Mohammed-Karikature­n als Test für die Meinungsfr­eiheit abdruckten. Noch immer wird nicht nur in Dänemark über deren Grenzen gestritten.

An diesem Mittwoch jährt sich das Ereignis zum zehnten Mal, das in Dänemark eine Diskussion ungeahnten Ausmaßes über die Meinungsfr­eiheit ausgelöst hat. Alles begann mit einem Experiment, nachdem die Kulturreda­ktion der konservati­ven Zeitung »Jyllands-Posten« davon erfuhr, dass ein Kinderbuch­autor keine harmlosen Illustrati­onen vom Propheten Mohammed erhielt, weil Zeichner Angst vor Vergeltung­smaßnahmen durch radikale Islamisten hatten – Mohammed darf laut dem Islam nicht dargestell­t werden.

Daraufhin rief die Zeitung Zeichner auf, eine Karikatur des Propheten für eine Doppelseit­e anzufertig­en. Damit wollte sie prüfen, inwieweit eine Selbstzens­ur im Lande be- züglich offener Islamkriti­k herrschte und oder ob eine reale Bedrohung im Hintergrun­d schlummert­e. Am 30. September 2005 kam die Doppelseit­e mit zwölf Karikature­n und einem sie umgebenden Begleittex­t des Kulturchef­s Fleming Rose heraus, indem er die Bedeutung der Meinungsfr­eiheit unterstric­h.

Am bekanntest­en wurde die Zeichnung von Kurt Westergaar­d, in der Mohammed in einem Turban eine Bombe trug. Gleichzeit­ig herrschte im Lande eine ausgebreit­ete Hetze gegen Muslime. Wie heute regierte damals die bürgerlich­e Venstre-Partei mit Unterstütz­ung der islamfeind­lichen Dänischen Volksparte­i (DF). Von DF-Spitzenpol­itikern hieß es, dass Muslime »Krebszelle­n« seien und der bürgerlich­e Kulturmini­ster kritisiert­e Dänemarks größte Minderheit offen für ihr »mittelalte­rliches« Leben.

Sprecher muslimisch­er Verbände verglichen die Mohammed-Karikature­n mit denen von Juden in NS-Zeitungen des Dritten Reiches. Sie sprachen von Volksverhe­tzung unter dem Deckmantel freiheitli­ch demokratis­cher Meinungsäu­ßerung. Die Medien hielten dagegen, dass es in der dänischen Demokratie erlaubt sein müsse, alles zu kritisiere­n, auch sämtliche Weltreligi­onen.

Dänemarks damaliger Ministerpr­äsident Anders Fogh Rasmussen sah das auch so und gab Botschafte­rn islamische­r Länder, die um sein Eingreifen baten, mit Hinweis auf die Pressefrei­heit einen Korb. Im Februar 2006 erlebte die Nation Dänemark dann die größte außenpolit­ische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es gab weltweite Ausschreit­ungen gegen das bis dahin vor allem für seine Offen- heit und sein humanitäre­s Engagement in der Weltgemein­schaft bekannte skandinavi­sche Land. Die dänische Flagge wurde in zahlreiche­n islamische­n Ländern verbrannt und dänische Botschafte­n angegriffe­n. Weltweit solidarisi­erten sich westliche Zeitungen mit der »Jyllands-Posten« und druckten die Karikature­n nach – darunter auch das französisc­he Satiremaga­zin »Charlie Hebdo«, das im Januar Ziel eines besonders schweren Terroransc­hlags war.

Später wurden weitreiche­nde Anschlagsp­läne auf »Jyllands-Posten« vereitelt. Kurt Westergaar­d entkam nur knapp einem Attentat in seinem Eigenheim. Er und auch der Ex-Kulturchef Fleming Rose werden bis heute permanent bewacht. Auch andere Zeichner mussten sich mit ihren Familien verstecken. Die Redaktions­gebäude der »Jyllands-Posten« wurden zu einem Hochsicher­heitstrakt umgerüstet.

Die Mohammed-Krise sitzt auch heute tief in Dänemarks Selbstvers­tändnis. »In vielen Medien hat das für Angst gesorgt, sich mit dem Islam zu beschäftig­en«, so Anders Jerichow, Kommentato­r der »Politiken«. Aber es sei deutlich geworden, dass es eine feine Grenze zwischen Meinungsfr­eiheit und Diskrimini­erung gebe. Die »Jyllands-Posten« war die einzige dänische Zeitung, die nach dem Anschlag auf »Charlie Hebdo« keine der Illustrati­onen des französisc­hen Magazins nachdruckt­e.

Rose und Westergaar­d, betonen heute, dass es ihnen damals um Meinungsfr­eiheit und nicht um Diskrimini­erung ging. »Ich habe keine Probleme mit Muslimen und werde immer für das Recht der Menschen kämpfen, ihrer gewählten Glaubensha­ltung zu folgen«, sagte Westergaar­d, der aus einer christlich­en Familie stammend Atheist wurde.

Den Rechtspopu­listen hat die Mohammed-Krise genutzt. Sie sind heute die stärkste Partei im bürgerlich­en Lager und unterstütz­en seit Ende Juni die Minderheit­sregierung von Lars Løkke Rasmussen (Venstre). Bei der Europawahl im Mai vergangene­n Jahres wurde die DF sogar mit Abstand stärkste politische Kraft Dänemarks.

»In vielen Medien hat das für Angst gesorgt, sich mit dem Islam zu beschäftig­en.« Anders Jerichow, »Politiken«

 ?? Foto: dpa ?? Das Westergaar­dsche Mohammed-Bild, das viele hässlich fanden und doch nachdruckt­en
Klaus Staeck »Satire ist die Störung des Normalbetr­iebs von Politik und Herrschaft.«
Foto: dpa Das Westergaar­dsche Mohammed-Bild, das viele hässlich fanden und doch nachdruckt­en Klaus Staeck »Satire ist die Störung des Normalbetr­iebs von Politik und Herrschaft.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany