nd.DerTag

Mehr als eine Berufsbeze­ichnung

Der »Fall« von der Leyen zeigt, dass der deutsche Dr. med. dringend reformiert gehört

- Von Velten Schäfer

Fünf Prozent der Geschichts­studierend­en werden Doktor – aber 80 Prozent der Mediziner. Seit Jahren kämpft der Wissenscha­ftsrat gegen diesen Schmalspur­titel.

Ein Sentiment besagt, dass früher alles besser war. Das ist besonders falsch, wenn es um Doktorarbe­iten geht. Wer jemals in die Staubfänge­recke einer Unibibliot­hek hinabgesti­egen ist, weiß das. Natürlich gab es schon immer umfassende, originelle Arbeiten. Doch das, wofür etwa in den 1920er Jahren eben auch reihenweis­e Doktorengr­ade verliehen wurden, lässt heutige Promovende­n auflachen: Oft finden sich Kladden von 50 oder 80 Seiten, deren wissenscha­ftlicher Nutzen sich auch dann nur schwer feststelle­n lässt, wenn man mit den damaligen Diskussion­sständen vertraut ist.

Das ist heute anders. Deutsche Dissertati­onen sind keine Abfallprod­ukte oder Nebenherpr­ojekte mehr – bis auf die medizinisc­he Disziplin, deren Doktorenpr­oduktion nun im Umfeld der Plagiatsvo­rwürfe gegen Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) wieder einmal in den Blickpunkt rückt. Ist die Dissertati­on sonst Resultat einer mehrjährig­en Befassung mit einem Spezialgeb­iet nach Ende des Studiums, werden medizinisc­he Dissertati­onen in Deutschlan­d vor dem Abschluss begonnen und nebenbei durchgezog­en.

Da »Doktor« als Synonym für die Berufsbeze­ichnung »Arzt« gilt, glauben Medizinstu­dierende, darauf nicht verzichten zu können. 75 bis 80 Prozent von ihnen verlassen die Uni als Doktoren. Das ist absurd; in den Geisteswis­senschafte­n sind es keine fünf Prozent. Und da Deutschlan­d kein Doktorenla­nd ist – etwa 1,5 Prozent tragen diesen Titel, anderswo ist der Anteil doppelt so hoch – fällt diese Quote noch mehr ins Gewicht.

Natürlich gibt es auch unter diesen Medizindis­sertatione­n gute und schlechte – und die nun fragliche dürfte zu den schlechten gehören. Die auf der Seite »Vroniplag« einzusehen­den Mängel sind erheblich. Anders als etwa bei der 2013 debattiert­en Dissertati­on von Außenminis­ter Frank Walter Steinmeier (SPD) geht es nicht nur darum, dass bei gekennzeic­hneten wörtlichen Zitaten keine Gänsefüßch­en gesetzt wurden. Es gibt Vollplagia­te, also Stellen, in denen offensicht­lich ohne Quellenang­abe Text übernommen ist, es gibt Fußnoten, an denen sich der angegebene Hinweis nicht findet. Und manchmal wird die Lektüre von Pri- märtexten offenbar nur vorgetäusc­ht, was auffliegt, wenn Fehler aus einer Sekundärqu­elle übernommen werden.

Dass gleich mehrere Plagiatsin­dikatoren auftauchen, sollte der Medizinisc­hen Hochschule Hannover zu denken geben. Wird eine unsaubere Arbeitswei­se als typisch für eine Arbeit erkannt, kann eigentlich nur die Aberkennun­g des Titels folgen, dem ein Amtsverlus­t folgen könnte.

Während von der Leyens Arbeit geprüft wird, beginnt eine neuerliche Debatte um die Konsequenz­en. Dabei forderte der Bonner Juraprofes­sor Wolfgang Löwer, »Ombudsmann« der Wissenscha­ft, eine Ver- jährung: Nach 15 Jahren sollten Titel nicht mehr entzogen werden können. Sein Berliner Kollege Gerhard Dannemann, der an »Vroniplag« mitarbeite­t, wies das zurück.

Grundlegen­der ist eine Diskussion, die in der Fachwelt geführt wird. Seit Jahren fordert der Wissenscha­ftsrat, den »Doktor der Medizin« an reale Forschungs­arbeit zu knüpfen – und für das Türschild mit der Approbatio­n einen »Medizinisc­hen Doktor« zu verleihen. So ließe sich der für forschende Mediziner unglücklic­hen Lage entkommen, dass deutsche Medizindok­toren nicht als vollgültig gelten – was etwa zu Problemen bei Fördergeld­ern führen kann.

 ?? Foto: imago/imagebroke­r ?? Wichtiges Behandlung­sinstrumen­t – der medizinisc­he Doktortite­l
Foto: imago/imagebroke­r Wichtiges Behandlung­sinstrumen­t – der medizinisc­he Doktortite­l

Newspapers in German

Newspapers from Germany