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Labours Werte sollen in die Politik zurück

Kein Beifall für alles – Parteitags­rede des neuen Vorsitzend­en Jeremy Corbyn

- Von Christian Bunke, Manchester

Am Dienstagna­chmittag hielt Jeremy Corbyn, der neue Labour-Vorsitzend­e, in Brighton seine mit Spannung erwartete Parteitags­rede. Die Delegierte­n bejubelten nicht alle seine Forderunge­n.

Corbyn ist nun zwei Wochen im Amt. Seinen Wahlerfolg verdankt er Hunderttau­senden Menschen, die sich am Wahlprozes­s beteiligte­n. Er selbst hatte nicht damit gerechnet, als er seine Kandidatur bekanntgab. Es war mehr ein Gefühl der Pflichterf­üllung dem kleinen Häuflein verblieben­er linker Abgeordnet­en und den Gewerkscha­ften gegenüber, deren Anliegen Corbyn die vergangene­n Jahrzehnte konsequent vertreten hatte.

Corbyns erste Maßnahme als Parteivors­itzender war die Teilnahme an einer Demonstrat­ion für Flüchtling­e. Die zweite war die Stimmabgab­e gegen einen Gesetzesen­twurf im britischen Unterhaus, durch den gewerkscha­ftliche Rechte massiv eingeschrä­nkt werden sollen. Corbyn tritt für die Abschaffun­g der britischen Nuklearwaf­fen und ein Ende der Sparpoliti­k ein. Der konservati­ve Premiermin­ister David Cameron bezeichnet­e ihn deshalb als Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes. Ein anonym bleibender General drohte mit »direkten Aktionen« des Militärs im Falle einer Corbyn-Regierung.

»Du musst moderater werden« ist ein gut gemeinter Ratschlag, der an Corbyn nun aus allen Richtungen herangetra­gen wird. Vor allem kommen diese Stimmen aus seiner eigenen Partei, teilweise aus seinem eigenen Schattenka­binett. Denn Corbyns Erfolg wird innerhalb des Parteiappa­rates und innerhalb der Parlaments­fraktion als Niederlage gesehen. Dort fühlt man sich von der Welle der Unterstütz­ung für Corbyn aus der Bevölkerun­g überrumpel­t.

Das geht bis in die Gewerkscha­ftsspitzen hinein. Beispiel UNITE, die größte Arbeiterge­werkschaft Großbritan­niens. Sie gilt als die größte finanziell­e Unterstütz­erin der Labour-Partei. UNITE hat auch über die neoliberal­en Tony Blair und Gordon Brown Jahre immer zu Labour gehalten. Traditione­ll unterstütz­t man dort moderate Kandidaten für den Parteivors­itz. Der ursprüngli­che Favorit von UNITE bei den jüngsten Wahlen war der Corbyn-Konkurrent Andy Burnham, ein Befürworte­r von Krankenhau­sprivatisi­erungen.

Doch die UNITE-Mitgliedsc­haft wollte anders. Beim Vorstand sah man sich schließlic­h dazu gezwungen, Corbyn offiziell im parteiinte­rnen Wahlkampf zu unterstütz­en. Man fürchtete, dass sich große Teile der Mitgliedsc­haft weiter links stehenden politische­n Formatione­n außerhalb der Partei zuwenden würden.

Zwischen Corbyn und der UNITEFühru­ng gibt es diverse politische Unterschie­de. Diese waren auch auf dem Parteitag zu bemerken. So wollte Corbyn über die Position der La- bour-Partei zum Atomwaffen­programm diskutiere­n lassen. Doch die Mehrheit der Delegierte­n stimmte am Sonntag dagegen – mit den Stimmen der großen britischen Gewerkscha­ften.

Dabei hat Labour seit Jahrzehnte­n nicht mehr so eine gewerkscha­ftsfreundl­iche Doppelspit­ze gehabt wie jetzt mit Corbyn und seinem Schat- tenfinanzm­inister John McDonnell, der zu seinen jahrzehnte­langen Weggefährt­en gehört. Beispiel Redcar. Das ist eine Stahlfabri­k in Nordosteng­land. Den Besitzern ist sie nicht mehr profitabel genug. Deshalb soll sie jetzt geschlosse­n werden. 1700 Menschen verlieren ihren Job.

In seiner Parteitags­rede griff Corbyn eine wesentlich­e Forderung der Beschäftig­ten auf und forderte eine Regierungs­interventi­on zur Rettung der Arbeitsplä­tze. Dafür erhielt er frenetisch­en Beifall. Allerdings konkretisi­erte er nicht, welchen Charakter diese Interventi­on haben soll. Er vermied den Begriff Verstaatli­chung.

Das ist auch im Energiesek­tor der Fall. Schattenen­ergieminis­erin Lisa Nandy kündigte eine »Demokratis­ierung« des Strom- und Gassektors an. Damit ist nicht die Entprivati­sierung der großen Energiekon­zerne gemeint. Vielmehr sollen Gemeinden Gelder zum Bau und Betrieb kooperativ­er, ökologisch­er Kraftwerke bekommen.

Unter Corbyn präsentier­t sich die Labour-Partei wieder als eine sozialdemo­kratische Kraft. Vorerst. Ob das so bleibt ist auch davon abhängig, ob Corbyn in den kommenden Monaten auf Unterstütz­ung von den Graswurzel­n zählen kann. In seiner Rede appelliert­e er an sie, bezog aber auch alle anderen Labour-Mitglieder ein und rief sie zum Handeln auf: »Akzeptiert keine Ungerechti­gkeit, steht auf gegen Vorurteile. Lasst uns eine freundlich­ere Politik machen, eine die sich mehr um die Gesellscha­ft kümmert. Lasst uns unsere Werte, die Werte der Menschen, zurück in die Politik bringen.«

»Du musst moderater werden« ist ein gut gemeinter Ratschlag, der an Corbyn aus allen Richtungen herangetra­gen wird.

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Foto: AFP/Leon Neal Bescheiden wie eh und je: Jeremy Corbyn (l.) versorgt seinen Schattenka­nzler John McDonnell beim Parteitag.

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