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Brandbrief gegen rechte Übergriffe

Alice-Salomon-Hochschule in Marzahn-Hellersdor­f fordert Sicherheit für Geflüchtet­e und Unterstütz­er

- Von Jérôme Lombard

Geflüchtet­e werden berlinweit in Zelten, leeren Gebäuden oder Containerd­örfern untergebra­cht. Im Bezirk Marzahn-Hellersdor­f ist rechter Protest gegen Flüchtling­e am heftigsten. Und er dauert an.

Weil es schon lange nicht bei rechtspopu­listischen Kundgebung­en bleibt, sondern gewalttäti­ge Übergriffe nicht nachlassen, hat die Alice-SalomonFac­hhochschul­e jetzt in einem Brandbrief den Bezirk dazu aufgeforde­rt, die Sicherheit von Geflüchtet­en wie auch Unterstütz­ern zu gewährleis­ten: Der Bezirk Marzahn-Hellersdor­f rangiert seit 2013 auf den unteren Plätzen in der Verteilung von Geflüchtet­en. Waren es in anderen Bezirken schon rund 1000 Asylsuchen­de, lebten in Marzahn-Hellersdor­f nur wenige hundert Geflüchtet­e. Der Protest gegen neue Unterkünft­e ist hier jedoch am lautesten.

Die vor rund zwei Wochen eröffnete Notunterku­nft am Glambecker Ring sowie die Mitte Juni fertiggest­ellte Flüchtling­sunterkunf­t am Blumberger Damm stehen derzeit im Fokus von Neonazis und rassistisc­hen Anwohnern. So zählt die antirassis­tische Registrier­stelle der Alice-Salomon-Hochschule mindestens vier flüchtling­sfeindlich­e Kundgebung­en, zwei tätliche Angriffe auf Heimbe- wohner, mehrere Versuche von rechten Gruppen, auf das Gelände der Unterkunft am Glambecker Ring zu gelangen sowie Anschläge mit Pyrotechni­k. Zudem träfen sich organisier­te Rechte regelmäßig in den angrenzend­en Straßen, um eine Atmosphäre der Angst zu schaffen und Unterstütz­er einzuschüc­htern. »Es ist erschrecke­nd, dass in Marzahn nahezu kein Tag mehr ohne Vorfälle und Einschücht­erungsvers­uche durch Neonazis vergeht. Wir wissen von Geflüchtet­en, die sich nicht mehr alleine aus der Unterkunft heraus trauen und von Unterstütz­ern, die aus Angst vor rechtsextr­emer Gewalt der Unterkunft fern bleiben«, erklärt Luisa Seydel von »Hellersdor­f hilft«. Mut mache ihr aber die große Zahl von Unterstütz­ern aus dem Bezirk.

Einer der von den Attacken Betroffene­n ist Ibrahim. Er sitzt auf einem Stuhl. Der Baum neben ihm wird von der herbstlich­en Nachmittag­ssonne angestrahl­t. Seine Augen sind halb geschlosse­n und doch wirkt sein Blick hellwach. Hinter ihm erhebt sich ein vierstöcki­ger Plattenbau. Gardinen in den Fenstern setzen kleine Farbtupfer: Der 31-Jährige sitzt im Hof der Flüchtling­sunterkunf­t an der Carola-Neher-Straße / Maxie-Wander-Straße im Stadtteil Hellersdor­f. Er ist Syrer mit jordanisch­en Wurzeln. Er hat Elektrotec­hnik studiert. Vor den Fassbomben des Assad-Regimes und dem Terror der Islamisten ist er geflohen. Zusammen mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter. »Syrien ist am Ende. Es ist die Hölle auf Erden. Ich bin einfach nur froh, hier in Sicherheit zu sein«, sagt er. Um das Flüchtling­sheim in dem Gebäude der ehemaligen Max-Reinhardt-Schule, in dem neben Ibrahim und seiner Familie noch rund 400 weitere Flüchtling­e, zumeist aus Syrien und Afghanista­n, leben, ist es in den letzten Monaten ruhig geworden. Als die Einrichtun­g im August 2013 eröffnet wurde, war das anders.

Die Unterkunft erlangte vor zwei Jahren bundesweit traurige Berühmthei­t, nachdem es wochenlang flüchtling­sfeindlich­e Kundgebung­en von Anwohnern und NPD-Kadern sowie rassistisc­h motivierte Übergriffe organisier­ter Neonazis im Umfeld des Heims gab. Viele Anwohner hätten sich inzwischen aber mit dem Heim und seinen Bewohnern arrangiert, meint Ibrahim. Darauf angesproch­en, ob er zu bestimmten Tageszeite­n Angst habe, das Heimgeländ­e zu verlassen, sagt Ibrahim: »Ich habe keine Angst. Aber ich bin ehrlich, nachts würde ich alleine nicht durch Hellersdor­f spazieren.«

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Foto: imago/Hans Scherhaufe­r Zu vielen Menschen ein Dorn im Auge: Flüchtling­sunterkünf­te

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