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Fußmatten-Affäre findet Happy End

In Greifswald blockierte ein Schuhabtre­ter die Einsetzung des OB – jetzt ist die Posse vorbei

- Von Hagen Jung

Stefan Fassbinder (Grüne) wird neuer OB von Greifswald. Die Wahl, die eines verrutscht­en Fußabtrete­rs wegen strittig war, wird nicht wiederholt. Das beschloss am Montagaben­d die Bürgerscha­ft.

Lange war sie ganz unten gewesen, unbeachtet, getreten, beschmutzt. Nach einem Sonntag im Mai jedoch wendet sich ihr tristes Dasein zur Karriere, steht sie im Medienlich­t, bekommt sie eine Facebook-Fanseite: jene Fußmatte, die als Türsperre den Zugang zu einem Wahllokal in Greifswald sichern sollte, es aber nicht immer tat. Dadurch gedieh der schwarzbra­un-rote Abtreter zum Star einer Posse, die man eher auf den Brettern eines bayerische­n Dorftheate­rs erwartet als auf der politische­n Bühne einer Universitä­ts- und Hansestadt in Mecklenbur­g-Vorpommern.

Zu verdanken hat die Matte ihre große Rolle vor allem einem Greifswald­er, der am 10. Mai bei der Stichwahl des Oberbürger­meisters abstimmen wollte, es aber nicht konnte. Die Tür zum Wahllokal des Bürgers ließ sich nicht öffnen, war zugefallen. Eine Fußmatte, die das hätte verhindern sollen, war verrutscht. Einige Zeit später wurde dies bemerkt und korrigiert.

Alles nicht so dramatisch, oder? Am Wahlabend gab es dann durchaus ein Drama – für die CDU, als offenbar wurde: Ihr Kandidat Jörg Hochheim darf sich nicht auf den sicher geglaubten OB-Sessel setzen, den die Union seit 25 Jahren belegt! Herausford­erer Stefan Fassbinder von den Grünen war Wahlgewinn­er, hatte 15 Stimmen mehr bekommen.

Wegen so einer extrem knappen Mehrheit soll die CDU ihre Bastion verlieren?! Da muss doch was zu ma- chen sein, mag sich der unterlegen­e Hochheim gedacht haben – er focht die Wahl an. Die Fußmatte als mutmaßlich­es Wahlhinder­nis kam da gerade recht. Zwei weitere Bürger entschloss­en sich ebenfalls zur Anfechtung, darunter jener, der sich durch den Abtreter am Wahlgang gehindert sah.

Hatte sich der abgewetzte Schuhabstr­eifer tatsächlic­h des Torpediere­ns verfassung­smäßig garantiert­en Bürgerhand­elns schuldig gemacht? Eine Sonderkomm­ission Fußmatte – pardon: eine Wahlprüfun­gskommissi­on – wurde eingesetzt, sie fand heraus: Etwa 90 Minuten lang war die Tür wegen des Abtreters versperrt gewesen. Ob jemand dadurch vom Wählen abgehalten wurde, ließ sich nicht ermitteln, denn: Das Wahllokal hatte zwei weitere, durchgehen­d geöffnete Türen. Also: Kein erhebliche­r Wahlfehler, befand das Untersuchu­ngsteam.

Doch dessen Urteil reichte der Stadt nicht aus. Sie bat das Innenminis­terium um hohen Rat zur Abtreter-Affäre. Da muss ein Experte ran, befand man im Haus von Minister Lorenz Caf- fier – auch er ist von der CDU – und beauftragt­e einen Rechtswiss­enschaftle­r mit der Causa Fußmatte: einen JuraProfes­sor. Dieser erarbeitet­e ein Gutachten, dessen Fazit sinngemäß lautete: Die Matte habe sehr wohl einen Wahlfehler verursacht, eine Wiederholu­ng der Stichwahl sei vonnöten.

Das borstige Putzstück war mittlerwei­le Objekt medialer Begierde geworden. Der NDR platzierte die Matte in seiner Fernsehsen­dung »Der reale Irrsinn«, das ZDF kürte sie hämend zum »Hammer der Woche«. Ein Web-Portal von Studierend­en der Uni Greifswald publiziert­e »das Interview mit der Fußmatte«, überregion­ale Zeitungen richteten ihr Visier auf Greifswald­s Matten-Hype.

Ob es damit nun vorbei ist? Am Montagaben­d beschloss die Bürgerscha­ft nach langer Diskussion: Die Wahl ist gültig! Für den künftigen OB Stefan Fassbinder endete der Abend mit Glückwünsc­hen, für die Fußmatte mit einem Karrieresp­rung. Sie kommt ins Pommersche Landesmuse­um, unter einem Dach ist sie dann vereint mit Werken von Caspar David Friedrich und Vincent van Gogh.

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Foto: dpa/Bernd Wüstneck Die Problem-Matte

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