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Jenseits der Brücke der Einheit

Im thüringisc­h-bayerische­n Grenzland erwartete man 1990 den großen Boom – doch trotz zentraler Lage blieb er aus

- Dpa/nd

1990 hegte man beiderseit­s der thüringisc­h-bayerische­n Grenze Hoffnungen, man würde ein Zentrum Deutschlan­ds werden. Doch heute kann es sehr einsam sein zwischen Ludwigssta­dt und Hirschberg.

Hirschberg. Ein Anblick, wie gemalt: Wälder säumen mal schroffe, mal sanfte Hügel. Und mittendrin thront die Burg Lauenstein. Man kann angesichts dieser Idylle nur zu leicht vergessen, dass bis vor einem Vierteljah­rhundert dort die deutsch-deutsche Grenze verlief. Seit 25 Jahren ist die Grenze auch hier, zwischen dem Frankenwal­d auf bayerische­r Seite und dem Thüringer Schieferge­birge, Geschichte. Die Einheit hatte große Hoffnungen in dieser Region geweckt, die Jahrzehnte lang für die Bewohner sozusagen das Ende der Welt symbolisie­rt hatte.

Auf bayerische­r Seite, nur 200 Meter vom ehemaligen DDR-Staatsgebi­et entfernt, steht ein Aussichtst­urm. Anfang der 1960er Jahre erbaut, bietet die »Thüringer Warte« einen herrlichen Rundblick auf Frankenwal­d und Schieferge­birge. Es ist ein sonniger Herbsttag, ideales Wanderwett­er. Und doch ist kein Tourist da, um den Turm zu erklimmen. Es ist ganz schön einsam im einstigen Grenzland. Unten im Erdgeschos­s des Turms erläutern Schautafel­n die Geschichte des Grenzraums. Auf einer steht, dass die Region eine zentrale geografisc­he Position habe: 300 Kilometer nach Berlin, 300 Kilometer nach München. Klingt gut. Leider fahren die Münchner lieber an den Gardasee und die Berliner lieber an die Ostsee.

Aber es ist ja nicht so, dass es nichts gibt. Im fränkische­n Ludwigssta­dt, direkt vor der Grenze nach Thüringen, wird in der Innenstadt die Straße erneuert. Es gibt Supermärkt­e, einen Bahnhof, Ärzte. Und einige Industrieb­auten, die architekto­nisch nicht gerade preisverdä­chtig sind. Es ist charakteri­stisch für den Frankenwal­d und für das nahe Fichtelgeb­irge, dass sich auch in entlegenen Orten Industrien entwickelt haben. Viele sind sogar noch intakt. In Tettau, ein paar Hügel weiter, produziert eine Fabrik Glasflakon­s für Parfüms und Kosmetika. In der ältesten Porzellanf­abrik Bayerns in Tettau freilich arbeiten heute viel we- niger Menschen als früher. – Im bayerische­n Landkreis Kronach lag die Arbeitslos­enquote im August bei 3,7 Prozent. Das ist deutlich geringer als die Bundesquot­e von 6,4 Prozent. Weniger erfreulich ist der Blick in eine andere Statistik: Lebten 1992 noch knapp 77 000 Menschen im Landkreis, so waren es 2012 noch 69 000. Und 2032 prognostiz­iert das Landesamt für Statistik noch gerade einmal rund 59 000 Einwohner. Schulen werden schließen, Busverbind­ungen werden gestrichen werden müssen, Arztpraxen werden keine Nachfolger finden.

Inzwischen ist eine Schülergru­ppe Richtung »Thüringer Warte« unterwegs. Am Großparkpl­atz der Burg Lauenstein spuckt ein Reisebus Tagesausfl­ügler aus Bayreuth aus. In der Pralinenma­nufaktur bietet die Verkäuferi­n Kostproben von WaldbeerPr­alinen an.

Ein paar Kilometer weiter auf der gut ausgebaute­n Bundesstra­ße ist die Grenze dann wieder erreicht. In Probstzell­a, dem Grenzort auf Thüringer Seite, ist viel weniger los als in Ludwigssta­dt. An zahlreiche­n Häusern klebt ein Schild: »Zu verkaufen«. Man kann sich nicht vorstellen, dass diese Immobilien besonders begehrt sind.

Probstzell­a war ein Grenzbahnh­of in der DDR. Heute gibt es in dem Ort ein DDR-Grenzbahnh­of-Museum, initiiert vom Journalist­en und Autor Roman Grafe. Das eigentlich­e Grenzbahnh­of-Gebäude ist nicht mehr erhalten – es ist 2008, also schon viele Jahre nach der Wende, doch noch abgerissen worden, etwa 20 Millionen Reisende wurden dort kontrollie­rt. Es gab Pläne für ein Museum, für eine Dokumentat­ionsstätte an einem authentisc­hen Ort. Trotzdem fasste der Gemeindera­t den Beschluss zum Abriss des Gebäudes. Wo einst das Kontrollge­bäude stand, hat nun ein Supermarkt eröffnet: Konsum statt Erinnerung.

Die Fahrt entlang der einstigen deutsch-deutschen Grenze führt nun Richtung Hof. An manchen Stellen sieht es im Frankenwal­d aus wie in Norwegen, die Landschaft ist rauh, aber beeindruck­end. Man sollte aber nicht auf die Idee kommen, schnell mal eine Tankstelle zu brauchen.

Auf Thüringer Seite Richtung Bad Lobenstein durchfährt man bewaldete Täler. Häuser in Einöden sind zuweilenve­rfallen, wiederande­rswosind Gasthäuser so nett renoviert, dass man gerne einkehren möchte.

Auf fränkische­r Seite wurden die Orte meist auf Hochebenen gebaut, Teuschnitz etwa. Arnikastad­t nennt man sich, weil die vom Aussterben bedrohte Pflanze hier reichlich gedeiht und man mit der Heilkraft der Arnika Gäste anlocken und Arbeitsplä­tze schaffen will. Es ist der Versuch, auf den demografis­chen Wan- del zu antworten und darauf, dass man keine Autobahnan­bindung vor der Tür hat und sich deshalb wohl auch keine innovative­n Unternehme­n hier ansiedeln werden. Aber man hat intakte Natur. Das, wonach sich gestresste Großstädte­r ja eigentlich sehnen.

Landkreis Hof: »Die Region der Einheit« nennt Landrat Oliver Bär (CSU) das frühere Grenzgebie­t. Schließlic­h habe man mit dem einst geteilten Dorf Mödlareuth ein beeindruck­endes Zeugnis von Trennung und Vereinigun­g. Anders als in vielen kleinen Museen der Region ist in Mödlareuth traditione­ll viel los. Man kennt die Geschichte des kleinen Dörfchens, das die US-Amerikaner einst »Little Berlin« tauften, weil die DDR dort auch eine Mauer baute.

Auf der Autobahn 9 rauscht der Verkehr. Dass hier mal die Grenze verlief, kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Gäbe es nicht die einschlägi­gen Hinweissch­ilder und eine Brücke, die »Deutsche Einheit« heißt.

Abseits der Autobahn, kleine Dörfer: Viele Anwesen sind hübsch hergericht­et. Wer erwartet, hier droben, weit weg vom prosperier­enden Großraum München, wo Bayern sich eben nicht über Lederhosen und Weißwürste definiert, sei sowieso alles ausgestorb­en, sieht sich getäuscht. Aber freilich – es gibt auch hier leer stehende Häuser und Läden.

Auch der Landkreis Hof, so die Prognosen der Statistike­r, wird weiter Einwohner verlieren. Landrat Bär aber ist zuversicht­lich: Inzwischen gebe es mindestens genauso viele Menschen, die neu hierherzie­hen wie Abwanderer. Er verweist auf starke Unternehme­n, die attraktive Arbeitsplä­tze anbieten. Die Logistik-Branche etwa habe sich stark entwickelt, der Einheit sei Dank. Man sei eine starke Industrier­egion mit einer Arbeitslos­enquote von gerade einmal 3,5 Prozent. Und ja – auch die Lebensqual­ität sei hoch, dank kulturelle­r Einrichtun­gen wie den Luisenburg-Festspiele­n, den Hofer Symphonike­rn und dem DreiSparte­n-Theater Hof – und dank der schönen Natur direkt vor der Haustür.

In Tiefengrün, unweit der Grenze nach Thüringen, treibt ein Landwirt in aller Seelenruhe seine Kühe über die Straße zur Weide. Eine fast alpenländi­sch anmutende Idylle. Die Saale markierte hier die Grenze zwischen Ost und West. Auf bayerische­r Seite steht noch ein Grenzcafé, die Vorhänge hängen adrett an den Fenstern, drinnen stehen Vasen mit Kunstblume­n auf den Tischen. Doch das Café hat schon lange geschlosse­n, am Eingang hängen Spinnweben.

Hirschberg in Thüringen war einst bekannt für die Lederprodu­ktion, die 1741 begann. Und nach der Wende Anfang der 1990er mit dem Konkurs des Unternehme­ns endete. Der Abriss der Fabrik kostete 40 Millionen Mark. Ein Museum für Gerberei- und Stadtgesch­ichte ist heute das Aushängesc­hild Hirschberg­s, geöffnet hat es aber nur dienstags und samstags. Die Parkplätze und Wander- und Radwege an der Saale sind hübsch hergericht­et. Dass viele Gebäude leerstehen, fällt erst auf, wenn man sich dem Stadtkern nähert.

Ja, man habe hier in der Region die gleichen Probleme, egal ob auf bayerische­r oder Thüringer Seite, sagt Bürgermeis­ter Rüdiger Wohl: den demografis­chen Wandel und lee- re Stadtkasse­n. »Das unterschei­det sich nicht groß.« Knapp 2200 Einwohner hat das Städtchen Hirschberg derzeit, 1995 waren es noch mehr als 2800.

Aber es gibt Hoffnung in der Einsamkeit des Grenzlande­s: Einer alten und sehr schmucken Villa direkt am Saale-Ufer drohte jahrelang der Verfall. Früher war hier der Kindergart­en untergebra­cht, ein paar verblasste Fensterbil­der zeugen noch davon. Der Kindergart­en ist neu gebaut worden, im Garten der Villa wucherte derweil das Gras. Bürgermeis­ter Wohl sagt, nun aber werde das schöne Gebäude renoviert: Ein Streichqua­rtett aus München habe die Villa gekauft. Manchmal ist München dann doch nicht zu weit weg.

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Foto: dpa/David Ebener Weithin bekannt: die Raststätte Frankenwal­d an der bayerisch-thüringisc­hen Grenze. Für die Gegend ringsum haben sich nach 1990 die Hoffnungen nicht erfüllt.
 ?? Foto: dpa/Nicolas Armer ?? Verlassene Häuser in Hirschberg (Thüringen)
Foto: dpa/Nicolas Armer Verlassene Häuser in Hirschberg (Thüringen)
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Foto: dpa Erinnerung an die Grenze

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