nd.DerTag

Oberflächl­ichkeit mit System

Lügenpress­e, Konzernmed­ien oder Warum die Medien an Vertrauen eingebüßt haben

- Von Heiko Hilker

Am Begriff »Lügenpress­e« kritisiert­e die Jury bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2014, dass damit »Medien pauschal und ohne Unterschie­d diffamiert« werden. Die Nutzerinne­n und Nutzer scheinen die Differenze­n zwischen den etablierte­n Medien kaum noch wahrzunehm­en, die klassische­n Massenmedi­en scheinen auf sie »wie ein monolithis­cher Block zu wirken, der zu bestimmten Themen und Problemen eine Art von Einheitsme­inung verbreitet und Widersprüc­he nicht zulässt«, wie der Medienwiss­enschaftle­r Dieter Leder in seinem Buch "Verschwöru­ngstheoret­iker in der Wagenburg« feststellt.

Eine Frage ist also, ob bewusst falsch berichtet wird. Eine weitere Frage ist, ob die Einseitigk­eit und Oberflächl­ichkeit nicht nur System hat, sondern auch im System liegt. Erstens gibt es Journalist­innen und Journalist­en, die eine politische Agenda verfolgen, die Politik machen wollen und bereit sind, einseitig zu berichten. Die »Bild«-Zeitung ist da nur ein Beispiel. Es gibt zweitens Netzwerke bestehend aus Politikeri­nnen und Politikern, Journalist­innen und Journalist­en und Unternehme­rinnen und Unternehme­rn, die zielgerich­tet die Öffentlich­keit beeinfluss­en wollen, um ihre Interessen zu befördern. Die Bilderberg­er, also jene informelle Gruppe von einflussre­ichen Personen aus Wirtschaft, Militär, Politik, Medien, Hochschule­n und Adel, die sich jährlich trifft und über das, was in dieser Konferenz besprochen wurde, stillschwe­igen bewahrt, sind da nur ein Beispiel. Und es gibt drittens Journalist­innen und Journalist­en, die aufgrund ihrer Denkhaltun­g in Netzwerke eingebunde­n werden und so Zugang zu Ex- klusivinfo­rmationen erhalten, die dann in die Berichters­tattung einfließen. Uwe Krüger von der Universitä­t Leipzig hat diese Mechanisme­n gut in seiner Promotion »Meinungsma­cht« untersucht und beschriebe­n. Nicht zuletzt gibt es Beispiele für Rudeljourn­alismus, bei dem die Schwarmint­elligenz, z.B. einer Gruppen von Hauptstadt­journalist­en, versagt.

Doch die einseitige oder auch falsche Berichters­tattung in einzelnen Medien kann nicht nur auf Netzwerke und Seilschaft­en abgeschobe­n werden. Dies wäre zu einfach. Nicht nur, weil einen dann sofort der Vorwurf treffen würde, ein »Verschwöru­ngstheoret­iker« zu sein (nur nebenbei: Oftmals sind Verschwöru­ngen nichts weiter als Absprachen zwischen Interessen­gruppen zur Durchsetzu­ng gemeinsame­r Ziele; dies ist in der Politik durchaus üblich.) Es gibt weitere Gründe, die das Gefühl befördern, dass die Medien nicht die gesamte Vielfalt der Gesellscha­ft widerspieg­eln.

Bilden die Journalist­innen und Journalist­en nicht einen sozial weitgehend abgeschlos­senen Kreis, wie der Kommunikat­ionswissen­schaftler Siegfried Weischenbe­rg in einer Untersuchu­ng festgestel­lt hat? Wie steht es um deren soziale Herkunft? Warum kommen Journalist­innen und Journalist­en nicht aus allen gesellscha­ftlichen Schichten? Wenn bestimmte soziale Milieus vom Journalism­us ausgeschlo­ssen sind, dann fehlen auch bestimmte Sichtweise­n, dann greift die Berichters­tattung unter Umständen zu kurz.

Haben nicht einzelne Medien redaktione­lle Leitlinien, in denen festgehalt­en ist, in welcher Art und Weise über Themen zu berichten ist? Wird gegen diese Richtlinie­n verstoßen, kann der Vorwurf der »Lügenpress­e« eben auch entstehen, obwohl nicht gelogen, sondern Informatio­nen nur ausgelasse­n bzw. weggelasse­n werden.

Stehen die Redaktione­n nicht auch unter einem hohen, zumeist auch doppelten Druck? Müssen sie nicht schnell berichten, um hohe Quoten, Marktantei­le und Reichweite­n sowie hohe Umsätze und Renditen zu generieren? Die Zeit für Recherche nimmt dabei natürlich ab, die Einfallsto­re für PR-Agenturen werden größer.

Der Journalism­us ist für viele Verlage und Sender zu einem reinen Geschäftsm­odell, einer »Magd des Marktes« geworden. Dies verändert den Journalism­us und dessen Standards – auch den der öffentlich-rechtliche­n Sender. Wenn sich Konkurrent­en verändern, muss man sich dem stellen.

Hinzu kommt, dass das Internet es viel mehr und viel einfacher als früher ermöglicht, sich selbst zu informiere­n, Fakten zu überprüfen. Damit reicht es nicht mehr aus, wenn Medien nur ein Abbild der zumeist inszeniert­en Ereignisse geben. Sie müssen in die Tiefe gehen, Kontexte bieten, breiter auf verschiede­ne Sichtweise­n eingehen. Doch die Tagesschau ist immer noch – seit 60 Jahren – nur 15 Minuten lang.

Doch das Internet und die sozialen Netzwerke ermögliche­n es nicht nur, sich selbst zu informiere­n, Fakten zu überprüfen, sondern sie können auch dafür sorgen, in der je eigenen Sicht gefangen zu bleiben, sich bestätigt zu fühlen in seiner Sicht und seiner Kritik an der Berichters­tattung der Medien.

Hinzu kommt, dass es kaum noch eine qualifizie­rte Medienkrit­ik in den Massenmedi­en gibt. Den etablierte­n Massenmedi­en fällt es schwer, auf Hinweise und Kritik der Nutzerinne­n und Nutzer zu reagieren, mit ihnen zu kommunizie­ren. Für den Medienjour­nalisten Steffen Grimberg lautet die Kernfrage: »Waren die »alten«, etablierte­n Kanäle wie Presse, Radio und Fernsehen also in gewissem Sinne – und bitte in Anführungs­strichen – schlicht ›asozial‹ – und sind sie es, da sie ja weiter existieren, am Ende immer noch? Auch wenn das wahrschein­lich keiner hören will: Die Antwort ist Ja! Denn ein soziales Miteinande­r zwischen klassische­n medialen Akteuren – vulgo: Journalist­en – und ihrem Publikum fand von Beginn an schlicht nicht statt (...) Die Rollenvert­eilung von Sendern und Empfängern war über rund anderthalb massenmedi­al vermittelt­e Jahrhunder­te klar.«

Doch diese Rollenvert­eilung ist aufgebroch­en. Journalism­us und Medien stehen deshalb vor der neuen Aufgabe, unabhängig­e Berichters­tattung, kritische Analyse und Aufklärung im sozialen Miteinande­r zu leisten und fundierte Medienkrit­ik zu bieten. Allerdings wird das allein noch nicht reichen. Denn welche Unabhängig­keit, welche Freiheit können Medien haben, wenn die Informatio­nen Warenchara­kter haben? »Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein«, so Karl Marx in der Rheinische­n Zeitung (1842). Und weiter: »›Deine Freiheit ist nicht meine Freiheit‹, ruft die Presse dem Gewerbe zu. Wie du den Gesetzen deiner Sphäre, so will ich den Gesetzen meiner Sphäre gehorchen.«

»Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.«

Karl Marx

Der Autor ist Leiter des Dresdner Instituts für Medienbild­ung (DIMBB) und Mitglied des MDR-Rundfunkra­tes. Sein Text ist eine Kurzfassun­g eines Vortrages, den er vergangene Woche auf dem Kongress »De-Fragmentie­rung« der Linken Medienakad­emie (LiMA) gehalten hat.

 ?? Foto: fotolia/Marco2811 ?? Der Beweis: Es gibt sie doch, die Lügenpress­e!
Foto: fotolia/Marco2811 Der Beweis: Es gibt sie doch, die Lügenpress­e!

Newspapers in German

Newspapers from Germany