Düstere Wolken hinten
»2. Stapellauf« im Volkstheater Rostock – mit »Nathan«, »Le Sacre du Printemps«, »Liebesliedern« und allen vier Sparten!
Die eigentliche Theaterarbeit dominierte wieder, nachdem Intendant Sewan Latchinian ob seines kompromisslosen Festhaltens an den vier Sparten des Volkstheaters geschasst worden war und Proteste der Stadtgesellschaft seine Wiedereinstellung erzwangen. Wiederum zum Saisonauftakt kam der »2. Stapellauf«, untertitelt mit »Toleranz«, ein kleine Tradition nun schon und neuerlicher Rekurs auf die erfolgreichen »GlückAufFeste«, die Latchinian während seiner Intendanz in Senftenberg entwickelt hatte. »Stapellauf«, wörtlich genommen, sagt: da stapelt sich etwas wie bei den Bremer Stadtmusikanten. Diesmal liefen unten Lessings »Nathan« mit Schauspielern, darüber Strawinskys »Le Sacre« mit Tänzern und droben internationale Liebeslieder, gesungen von vielerlei Personal zumeist im Militärrock, was eher verdrießlich stimmte, um es vorweg zu sagen.
Freilich ist es jetzt nötig, die Sparten zu bündeln und so fest zu verankern, dass sie wie die Schiffe an der Küste kein Sturm mehr losreißen kann. Die Kämpfe gehen unterdes weiter. Die Betriebs und andere -kosten steigen rundum. Auch das Volkstheater müsste insofern einen jährlichen Zuschuss zum amtlich bestätigten Etat erhalten. Den aber will die Stadt nicht zahlen. Alles Reden nützt nichts und wirksame öffentliche Einsprüche sind kaum zu erwarten. Jene Enthusiasten, die im April noch auf die Straße gegangen waren, dem Banausentum der Büros Paroli zu bieten, scheinen des Protests müde. Nun schlägt die Geschäftsführung des Volkstheaters kurioserweise von sich aus vor, künstlerische Stellen nicht mehr zu besetzen. Tänzerinnen und Tänzer soll es, wie zu hören ist, statt acht nur noch vier geben und keine jungen, blutvollen Instrumentalisten sollen für ausscheidende Orchestermusiker nachrücken. Ginge etwa der Soloklarinettist in Rente, hieße das, billigere Kräfte aus der Gegend einzusetzen. Derlei hat keinen Stil, das schlägt allen Erfahrungen sorgfältiger Tänzer- und Orchesterdurchbildung ins Gesicht. Derartige Maßnahmen entwickeln die Institution nicht, sie beschleunigen letztlich das Theatersterben. Das weiß Latchinian natürlich, aber ihm sind offenbar die Hände gebunden. Fluch den Rot- stiftlern! Denen, die wie die Füchse vor dem Hühnerhof auf der Lauer sind, Kultur zu beseitigen.
Mit »Nathan der Weise« legte Sewan Latchinian eine sehr vergnügliche und heutige Version des Stückes vor. Ganz klassisch siegt darin die Idealität der Gleichheit wider alles Ungemach, das die Bande Völker, der Religionsgruppen, der Familien zerreißt. Toleranz und das Wie, sie zu verwirklichen, steckt in jeder Zeile des Lessingschen Entwurfs. Auch ein Determinismus. Denn das ganze Verwirrspiel, in dem Identitäten auf dem Prüfstand stehen, steuert auf das Ziel einer »Natürlichen Religion« zu. Der pantheistische Gott gleich Natur.
Kriegsgeheul zu Beginn, wie es das Fernsehen täglich sendet, mit fernem Donner, MG-Geknatter, Autohupen etc.. Düstere Wolken hinten. Erkennbar Konturen einer Blechbude mit Drehtür. Eingang und Ausgang für Arme, Reiche, Junge, Alte. Nathan, der Jude mit Käppi, tritt heraus. Reicher Kaufmann, aber ein Geplagter, da ihm unheilige Christen die Familie genommen, Frau und sieben Söhne. Doch umso gütiger, je mehr er sich an Recha, seiner Tochter erfreuen kann. Recha, so enthüllt die Fabel, ist jedoch nicht seines Blutes, stattdessen christlicher Abkunft. Ein Jude hegt und hütet eine Christin? Das gibt böses Blut. Liebesbeziehungen (junger Tempelherr und Recha) und Fahndungen Nathans nach der Herkunft Rechas, die plötzlich alle betreffen, steigern das Verwirrspiel und enden in der Verkehrung der Identitäten. Die Nachkommen sollten sich hüten zu glauben, so die Weisheit de Stücks, sie seien unabänderlich einer Glaubensgesittung zugehörig. Durch rätselhafte Paa- rungen kann es immer auch die andere sein.
Statt Lehrhaftigkeit bietet die Bühne leichte, lockere, unverkrampfte Schauspielkunst mit teils deftigen Einlagen. Da geht es schon mal mit der Pistole an den Kopf des Nathan, bevor ihm aus Angst die Ringparabel einfällt, deren Erzählung den Sultan erweicht. Heiter, gewitzt, ulkig in seinen Gesten der Nathan des Bernd Färber. Wie er sich windet und wendet und noch an den Knotenpunkten seiner ingrimmigen Heiterkeit verschlagen Ausdruck gibt. Eine tolle Rolle. Recha, leichtfüßig, behänd ihr Spiel (Cornelia Wöß), glaubt, Engel hätten sie gerettet, als das Haus brannte. Dabei war es der ungestüme, sie verhimmelnde Tempelherr. Sabrina Frank, männlich gekleidet, gibt die Rolle witzigerweise als Templerin, als Frau, changierend zwischen Merkmalen beiderlei Geschlechts und in gewagter Weise zwischen Frau und Recha, die füreinander glühen. Das bringt zusätzlich Toleranz, die zu erwarten wäre, ins Spiel. Am Ende feiert die Idealität ih- ren Triumph. Launig-chorische Verabschiedung des Ensembles vom Publikum. Quintessenz: Einerlei, ob Jude, Christ oder Muslim, vor den Göttern sind sie alle gleich geschaffen. Die Leute waren begeistert.
Mehr noch nach der ganz starken Umsetzung von Strawinskys »Le Sacre du Printemps« durch das achtköpfige Tanzensemble des Volkstheaters, inszeniert und choreografiert von Katja Taranu. Dazu spielte im Hintergrund die Norddeutsche Philharmonie Rostock unter Manfred Hermann Lehner, verhüllt durch einen dunklen Vorhang mit unzähligen, verschiedenfarbig beleuchteten weißen Punkten drauf, eine Art Milchstraße. Der Blick fällt auf Säcke, die Leichen verhüllen. Die erwachen wie der Frühling in der Musik und geben sich als Leidende, Gemarterte, Geschlagene vital körperlich zu erkennen. Dazu der wiederkehrende gewaltige orchestrale Vitalismus der Musik des großen Russen. Fleischfarben die Anzüge der vier Paare, als wären sie eben aus dem Schlachthaus entlassen worden. Ausnahme: die weiße Frau, deren Brüder und Schwestern, deren ganze Familie umgebracht worden ist, so die tänzerisch erzählte Geschichte. Ein fast gewalttätiges, den Schmerz und Widerstand so sensibel wie in ungebärdiger Körpersprache vorführendes Tableau, dessen Bewegung nicht endet, bevor die Weiße von den anderen emporgehoben wird.
Nicht hinnehmbar der Liebesliederreigen zu später Stunde. Das reinste Mischmasch mit Leuten in Militärklamotten international. »Truppenbetreuung« hieß die Losung. Was kam und abgelehnt gehört, glich aufs Ohr dem »Wehrmachtswunschkonzert«, das zur Erbauung der Soldaten während des Hitlerkrieges vom Großdeutschen Rundfunk gesendet wurde, nur dass es nicht rauschte. Frau von der Leyen hätte sich die Finger gerieben, wäre es ihr vergönnt gewesen, dieser schäbigen Revue aus Folklore, Schlager, Mozart-Duett, venezianischer Heldenarie, Superschnulze, »Schneeflocken«-Demmlerlied, Wallahalla-Presley-Krach, Elton-John-Langweilerei zu lauschen. Die Leute klatschten stellenweise wie verrückt, johlten und trampelten mit den Füßen. Wie einst im Palast der Republik. Scheiße. Nach soviel Gutem.
Kriegsgeheul zu Beginn, wie es das Fernsehen täglich sendet, mit fernem Donner, MG-Geknatter, Autohupen ...
Nächste Vorstellung am 3. Oktober