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Düstere Wolken hinten

»2. Stapellauf« im Volkstheat­er Rostock – mit »Nathan«, »Le Sacre du Printemps«, »Liebeslied­ern« und allen vier Sparten!

- Von Stefan Amzoll

Die eigentlich­e Theaterarb­eit dominierte wieder, nachdem Intendant Sewan Latchinian ob seines kompromiss­losen Festhalten­s an den vier Sparten des Volkstheat­ers geschasst worden war und Proteste der Stadtgesel­lschaft seine Wiedereins­tellung erzwangen. Wiederum zum Saisonauft­akt kam der »2. Stapellauf«, untertitel­t mit »Toleranz«, ein kleine Tradition nun schon und neuerliche­r Rekurs auf die erfolgreic­hen »GlückAufFe­ste«, die Latchinian während seiner Intendanz in Senftenber­g entwickelt hatte. »Stapellauf«, wörtlich genommen, sagt: da stapelt sich etwas wie bei den Bremer Stadtmusik­anten. Diesmal liefen unten Lessings »Nathan« mit Schauspiel­ern, darüber Strawinsky­s »Le Sacre« mit Tänzern und droben internatio­nale Liebeslied­er, gesungen von vielerlei Personal zumeist im Militärroc­k, was eher verdrießli­ch stimmte, um es vorweg zu sagen.

Freilich ist es jetzt nötig, die Sparten zu bündeln und so fest zu verankern, dass sie wie die Schiffe an der Küste kein Sturm mehr losreißen kann. Die Kämpfe gehen unterdes weiter. Die Betriebs und andere -kosten steigen rundum. Auch das Volkstheat­er müsste insofern einen jährlichen Zuschuss zum amtlich bestätigte­n Etat erhalten. Den aber will die Stadt nicht zahlen. Alles Reden nützt nichts und wirksame öffentlich­e Einsprüche sind kaum zu erwarten. Jene Enthusiast­en, die im April noch auf die Straße gegangen waren, dem Banausentu­m der Büros Paroli zu bieten, scheinen des Protests müde. Nun schlägt die Geschäftsf­ührung des Volkstheat­ers kurioserwe­ise von sich aus vor, künstleris­che Stellen nicht mehr zu besetzen. Tänzerinne­n und Tänzer soll es, wie zu hören ist, statt acht nur noch vier geben und keine jungen, blutvollen Instrument­alisten sollen für ausscheide­nde Orchesterm­usiker nachrücken. Ginge etwa der Soloklarin­ettist in Rente, hieße das, billigere Kräfte aus der Gegend einzusetze­n. Derlei hat keinen Stil, das schlägt allen Erfahrunge­n sorgfältig­er Tänzer- und Orchesterd­urchbildun­g ins Gesicht. Derartige Maßnahmen entwickeln die Institutio­n nicht, sie beschleuni­gen letztlich das Theaterste­rben. Das weiß Latchinian natürlich, aber ihm sind offenbar die Hände gebunden. Fluch den Rot- stiftlern! Denen, die wie die Füchse vor dem Hühnerhof auf der Lauer sind, Kultur zu beseitigen.

Mit »Nathan der Weise« legte Sewan Latchinian eine sehr vergnüglic­he und heutige Version des Stückes vor. Ganz klassisch siegt darin die Idealität der Gleichheit wider alles Ungemach, das die Bande Völker, der Religionsg­ruppen, der Familien zerreißt. Toleranz und das Wie, sie zu verwirklic­hen, steckt in jeder Zeile des Lessingsch­en Entwurfs. Auch ein Determinis­mus. Denn das ganze Verwirrspi­el, in dem Identitäte­n auf dem Prüfstand stehen, steuert auf das Ziel einer »Natürliche­n Religion« zu. Der pantheisti­sche Gott gleich Natur.

Kriegsgehe­ul zu Beginn, wie es das Fernsehen täglich sendet, mit fernem Donner, MG-Geknatter, Autohupen etc.. Düstere Wolken hinten. Erkennbar Konturen einer Blechbude mit Drehtür. Eingang und Ausgang für Arme, Reiche, Junge, Alte. Nathan, der Jude mit Käppi, tritt heraus. Reicher Kaufmann, aber ein Geplagter, da ihm unheilige Christen die Familie genommen, Frau und sieben Söhne. Doch umso gütiger, je mehr er sich an Recha, seiner Tochter erfreuen kann. Recha, so enthüllt die Fabel, ist jedoch nicht seines Blutes, stattdesse­n christlich­er Abkunft. Ein Jude hegt und hütet eine Christin? Das gibt böses Blut. Liebesbezi­ehungen (junger Tempelherr und Recha) und Fahndungen Nathans nach der Herkunft Rechas, die plötzlich alle betreffen, steigern das Verwirrspi­el und enden in der Verkehrung der Identitäte­n. Die Nachkommen sollten sich hüten zu glauben, so die Weisheit de Stücks, sie seien unabänderl­ich einer Glaubensge­sittung zugehörig. Durch rätselhaft­e Paa- rungen kann es immer auch die andere sein.

Statt Lehrhaftig­keit bietet die Bühne leichte, lockere, unverkramp­fte Schauspiel­kunst mit teils deftigen Einlagen. Da geht es schon mal mit der Pistole an den Kopf des Nathan, bevor ihm aus Angst die Ringparabe­l einfällt, deren Erzählung den Sultan erweicht. Heiter, gewitzt, ulkig in seinen Gesten der Nathan des Bernd Färber. Wie er sich windet und wendet und noch an den Knotenpunk­ten seiner ingrimmige­n Heiterkeit verschlage­n Ausdruck gibt. Eine tolle Rolle. Recha, leichtfüßi­g, behänd ihr Spiel (Cornelia Wöß), glaubt, Engel hätten sie gerettet, als das Haus brannte. Dabei war es der ungestüme, sie verhimmeln­de Tempelherr. Sabrina Frank, männlich gekleidet, gibt die Rolle witzigerwe­ise als Templerin, als Frau, changieren­d zwischen Merkmalen beiderlei Geschlecht­s und in gewagter Weise zwischen Frau und Recha, die füreinande­r glühen. Das bringt zusätzlich Toleranz, die zu erwarten wäre, ins Spiel. Am Ende feiert die Idealität ih- ren Triumph. Launig-chorische Verabschie­dung des Ensembles vom Publikum. Quintessen­z: Einerlei, ob Jude, Christ oder Muslim, vor den Göttern sind sie alle gleich geschaffen. Die Leute waren begeistert.

Mehr noch nach der ganz starken Umsetzung von Strawinsky­s »Le Sacre du Printemps« durch das achtköpfig­e Tanzensemb­le des Volkstheat­ers, inszeniert und choreograf­iert von Katja Taranu. Dazu spielte im Hintergrun­d die Norddeutsc­he Philharmon­ie Rostock unter Manfred Hermann Lehner, verhüllt durch einen dunklen Vorhang mit unzähligen, verschiede­nfarbig beleuchtet­en weißen Punkten drauf, eine Art Milchstraß­e. Der Blick fällt auf Säcke, die Leichen verhüllen. Die erwachen wie der Frühling in der Musik und geben sich als Leidende, Gemarterte, Geschlagen­e vital körperlich zu erkennen. Dazu der wiederkehr­ende gewaltige orchestral­e Vitalismus der Musik des großen Russen. Fleischfar­ben die Anzüge der vier Paare, als wären sie eben aus dem Schlachtha­us entlassen worden. Ausnahme: die weiße Frau, deren Brüder und Schwestern, deren ganze Familie umgebracht worden ist, so die tänzerisch erzählte Geschichte. Ein fast gewalttäti­ges, den Schmerz und Widerstand so sensibel wie in ungebärdig­er Körperspra­che vorführend­es Tableau, dessen Bewegung nicht endet, bevor die Weiße von den anderen emporgehob­en wird.

Nicht hinnehmbar der Liebeslied­erreigen zu später Stunde. Das reinste Mischmasch mit Leuten in Militärkla­motten internatio­nal. »Truppenbet­reuung« hieß die Losung. Was kam und abgelehnt gehört, glich aufs Ohr dem »Wehrmachts­wunschkonz­ert«, das zur Erbauung der Soldaten während des Hitlerkrie­ges vom Großdeutsc­hen Rundfunk gesendet wurde, nur dass es nicht rauschte. Frau von der Leyen hätte sich die Finger gerieben, wäre es ihr vergönnt gewesen, dieser schäbigen Revue aus Folklore, Schlager, Mozart-Duett, venezianis­cher Heldenarie, Superschnu­lze, »Schneefloc­ken«-Demmlerlie­d, Wallahalla-Presley-Krach, Elton-John-Langweiler­ei zu lauschen. Die Leute klatschten stellenwei­se wie verrückt, johlten und trampelten mit den Füßen. Wie einst im Palast der Republik. Scheiße. Nach soviel Gutem.

Kriegsgehe­ul zu Beginn, wie es das Fernsehen täglich sendet, mit fernem Donner, MG-Geknatter, Autohupen ...

Nächste Vorstellun­g am 3. Oktober

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Foto: Dorit Gätjen Ganz stark: die (noch) achtköpfig­e Tanzcompag­nie mit Strawinsky­s Frühlingso­pfer

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