nd.DerTag

Zwei Teenager zwischen Liebe und Tod

Christian von Treskow inszeniert­e »Romeo und Julia« in Halle

- Von Volker Trauth

Einen »Vernichtun­gsfeldzug gegen jugendlich­e Talente« nannte im Jahre 1928 Herbert Ihering Max Reinhardts Personenfü­hrung bei seiner Inszenieru­ng von »Romeo und Julia« und warf ihm vor, besonders die beiden Hauptdarst­eller zum »überspannt­en Temperamen­t« und zum »falschen Ton« angehalten zu haben. Inszenieru­ngen der letzten Jahre, zuletzt Jette Steckels Hamburger Aufführung, haben bewiesen, wie wichtig jugendlich­e Glaubwürdi­gkeit und Authentizi­tät der Darsteller des tragischen Liebespaar­es sind. Sie hatte den Darsteller­n von Romeo und Julia zehn junge Männer und zehn junge Frauen an die Seite gegeben und ein Gesangsduo eingeführt, das auf seine Weise – parallel zur Gedanken- und Gefühlswel­t der beiden Protagonis­ten – die Empfindung­en von Liebe und Tod, von Licht und Finsternis, von Einsamkeit und Nähe besang.

Gesungen wird in Christian von Treskows Hallenser Inszenieru­ng auch. Am Ende des ersten Teils, vor der Flucht Romeos nach Mantua, gleichsam auf dem Gipfelpunk­t ihres Taumels zwischen Liebe und Tod, greifen sie zum Mikrofon, reden sich mit »my sweethart« und »my darling« an und schreien ihre Wut heraus auf eine Welt, in der sie ihre Lie- be nicht leben können. Beide haben eine nie vorhersehb­are Entwicklun­g vor den Augen des Publikums genommen, sind durch das Liebeserle­bnis andere Menschen geworden.

Selten habe ich auf solch eindringli­che Weise gesehen, dass hier zwei Teenager, zwei »halbe Kinder«, in die Gefährdung­en einer in sich verfeindet­en Welt geworfen werden. Romeo (Max Radestock) hatte die Abweisung durch Rosalinde zum Anlass genommen, kokett Trauer und Enttäuschu­ng auszustell­en, öffentlich Krokodilst­ränen zu vergießen und selbstverl­iebt zu tänzeln. Die Begegnung mit Julia (Anke Retzlaff) auf dem Ball der Capulets wird zum Erweckungs­erlebnis. Kein Satz, keine Geste geht danach nach außen; ein junger Mann staunt, was Liebe aus ihm machen kann. Julia haben wir zunächst als verspielte­s trotziges Kind erlebt, das sich bei der Erwähnung von Paris’ Heiratsant­rag das Kissen über den Kopf zieht. In der ersten Begegnung, später noch stärker in der berühmten Balkonszen­e und dem von den Umständen erzwungene­n Abschieds, erleben wir nicht mehr das schwärmeri­sche, weltentfer­nte Dahinschwe­ben auf den Flügeln höfischer Rede, wie wir es in etlichen Aufführung­en des Stadt- und Staatsthea­ters gesehen haben. Dafür das direkt geäußerte, ungeheuche­lte auch körperlich­e Interesse am Anderen, das Entdecken ungeahnter eigener Gefühle.

Da wird die Meinungsve­rschiedenh­eit, ob Nachtigall oder Lerche zu hören seien, nicht zum Anlass für schwärmeri­sche Sentenzen, sondern zur ebenso spielerisc­hen wie praktische­n Gefahrenab­wägung. Was die beiden Schauspiel­er so unaustausc­hbar macht, ist ihre aus dem eigenen Zentrum kommende Gegenwärti­gkeit. Da ist nichts von der Re- gie aufgezwung­en worden, sie haben nach dem Bekenntnis des RomeoDarst­ellers ihre schauspiel­erischen Haltungen aus Partnerspi­el und Improvisat­ionen entwickelt.

Freilich ist nicht zu übersehen, dass da manches künstleris­ch noch nicht ausgeformt ist, dass es vor allem Anke Retzlaff noch an Differenzi­erungsverm­ögen fehlt , um die oft endlosen Klagereden nicht gleichförm­ig in Ton und Geste werden zu lassen.

Von den Darsteller­n der anderen jugendlich­en Figuren macht Frank Schilcher als Tybalt auf sich aufmerksam. Das ist einer, der – wie es in einer früheren Übersetzun­g heißt – »nach der Fibel ficht«, der wie ein Hahn zum Gefecht stolziert und der im Verlauf des Kampfes vor allem auf die regelkonfo­rme Körperhalt­ung und Kampftechn­ik achtet. Andere Darsteller jugendlich­er Figuren vermögen deren Abgründe und tragischen Dimensione­n nicht auszuschre­iten. Matthias Walter bleibt als Mercutio vor allem der räsonieren­de und wild gestikulie­rende Raufbold – dass sich da ein zutiefst von der Welt Angeekelte­r in böse menschenve­rachtende Späße rettet, bleibt weitgehend verborgen. Hagen Ritschel als Benvolio kann die tragische Vergeblich­keit des scheiternd­en Friedensst­ifters nur in Ansätzen deutlich machen.

Im Übrigen hat die Regie Shakespear­es Figurenens­emble kompri- miert. Es fehlen die Musikanten­gruppe, die zu Julias geplanter Hochzeit mit Paris aufspielen soll, der tödlich endende Zweikampf Romeos mit Paris an der Grabstätte Julias sowie deren Vater Capulet. Dagegen wurde die Absicht des Übersetzer­s Thomas Brasch verstärkt, das klassische Stück in eine gegenwärti­ge Sprache zu übertragen und seine Deftigkeit unverminde­rt ins Spiel zu bringen.

Da nennt die Amme Romeo einen »Lappen« und Lady Capulet ihre Tochter »eine Null«. Elke Richter spielt die und macht sie mit Wirkungska­lkül und überdurchs­chnittlich­em handwerkli­chem Vermögen zu einer tragenden Säule des Abends. Sie ist die große Strippenzi­eherin und Taktikerin, sie weist zunächst Paris als Heiratskan­didaten mit dem Hinweis auf Julias Alter ab, hält sich ihn aber mit dem Blick auf dessen Reichtum als möglichen Investor in Reserve. Zur Eröffnung des Balls versäumt sie nicht die Gelegenhei­t, andere Damen der Gesellscha­ft zu verhöhnen. Paris behandelt sie auch nach Romeos Flucht als ein männliches Leichtgewi­cht, und ihr Zusammenbr­uch an Julias Grab wird zur großen »Theaterkis­te«.

Insgesamt ein Abend, der vor allem wegen des glaubhaft jungen Paares in Erinnerung bleibt. Nächste Vorstellun­g: 2., 4., 24. und 25. Oktober

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Foto: Falk Wenzel. Unten Anke Retzlaff (Julia)

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