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Das neue Reich der Mittelschi­cht

Laut einer Studie der Allianz steigen die Vermögen in China besonders schnell an

- Von Simon Poelchau

China wird häufig als neuer Prototyp einer turbokapit­alistische­n Gesellscha­ft dargestell­t. Doch in der Volksrepub­lik ist der Reichtum weitaus gleicher verteilt als in den etablierte­n Industrien­ationen.

Die Mittelschi­cht des 21. Jahrhunder­ts findet man nicht den USA, Deutschlan­d, Frankreich oder Griechenla­nd. Man findet sie im Reich der Mitte. »Mittlerwei­le rekrutiere­n sich etwa zwei Drittel der globalen Vermögensm­ittelklass­e aus Asien – und 85 Prozent davon stammen aus China«, schreiben die Volkswirte der Allianz in ihrem diesjährig­en Vermögensr­eport, den sie am Dienstag veröffentl­ichten. Seit Jahrtausen­dbeginn habe sich damit die Mittelschi­cht in Asien nahezu verzehnfac­ht.

Doch diese globale Mittelschi­cht ist breit gefächert. Zu ihr zählen die Forscher von Deutschlan­ds größtem Versichere­r Personen, die im vergangene­n Jahr ein Nettogeldv­ermögen von 6100 bis 36 700 Euro ihr Eigen nennen konnten. Dies waren erstmals mehr als eine Milliarde Menschen. Sie vereinen beinahe 17 Prozent des Weltvermög­ens auf sich. Doch auf der anderen Seite steht die große Masse der weltweiten Unterschic­ht. Auf diese 3,5 Milliarden Menschen beziehungs­weise 71 Prozent der Weltbevölk­erung entfällt noch immer weniger als fünf Prozent des weltweiten Nettogeldv­ermögens, während die reichsten zehn Prozent etwa 80 Prozent des gesamten globalen Vermögens ihr Eigen nennen können.

Und dieses steigt weiter kräftig an. Vergangene­s Jahr war es beim globalen Bruttogeld­vermögen ein Plus von 7,1 Prozent. Damit besitzen die privaten Haushalte eine Rekordsum- me von 136 Milliarden Euro an Sparguthab­en, Wertpapier­en und Co. »Damit könnten die privaten Haushalte sämtliche Staatsschu­lden der Welt ungefähr dreimal tilgen«, schreibt Allianz-Chef Oliver Bäte im Vorwort zum Vermögensb­ericht. Und nach Abzug etwaiger Schulden sind es noch immer über 100 Billionen Euro.

Der Aufstieg der globalen Mittelschi­cht dürfte im August einen Dämpfer erfahren haben. »Die Goldgräber­stimmung ist vorbei«, sagt Studien- autor Arne Holzhausen und meint damit das Wachstums des Geldvermög­ens in China. Im Jahr 2014 betrug es 21,4 Prozent.

»Dies werden wir dieses Jahr nicht sehen. Wir erwarten eine deutliche Verlangsam­ung des Vermögensw­achstums«, schätzt Holzhausen die aktuelle Lage ein. Denn der Börsencras­h im August machte die Kursgewinn­e und somit einen guten Teil des Vermögensw­achstums seit Anfang des Jahres im Reich der Mitte zunichte.

Jedoch herrscht in der Volksrepub­lik nicht der Turbokapit­alismus, wie es mitunter dargestell­t wird. Laut dem Allianz-Bericht sind die Vermögen dort nämlich weitaus gleicher verteilt als in den entwickelt­en Industrien­ationen. Auch in Osteuropa etwa liegt mit Ausnahme von Russland die Ungleichhe­it unter dem globalen Durchschni­tt. »Die insgesamt relativ homogene Vermögensv­erteilung dürfte dabei eine direkte Folge der Tatsache sein, dass sich diese Länder erst vor 25 Jahren dem Westen und einer freien Marktwirts­chaft öffneten«, schreiben die Forscher dazu. »Der Zeitraum, private Vermögen (legal) aufzubauen, war also noch kurz, die Unterschie­de sind daher auch noch nicht zu stark ausgeprägt.«

Spitzenrei­ter bei der Vermögensk­onzentrati­on sind indes die USA, die die Versichere­r in ihrem Report auch »Ungleiche Staaten von Amerika« nennen. Und die Ungleichhe­it nahm dort seit der Jahrtausen­dwende so stark wie in keinem anderen Land zu. Die Allianz sollte deswegen bei einer besonders großen Kluft zwischen Arm und Reich eher von »nordamerik­anischen« als von »lateinamer­ikanischen« Verhältnis­sen schreiben. Zumal Länder wie Brasilien, Mexiko, Chile und Argentinen laut dem Bericht auch gerechter geworden sind.

In Deutschlan­d hingegen wuchs die Kluft zwischen arm und reich seit dem Jahr 2000. Im internatio­nalen Vergleich gehört die Bundesrepu­blik zu den Ländern, bei denen der Reichtum besonders stark konzentrie­rt ist. »Dies dürfte allerdings in erster Linie ein Erbe der langen Teilung des Landes in Ost und West sein«, schreiben die Forscher in ihrem Bericht. Schließlic­h besitzt man auch 25 Jahre nach der Wende in den alten Bundesländ­ern deutlich mehr als in den neuen.

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Foto: AFP/Mark Ralston Einkaufsce­nter in Peking

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