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Erdkabel lösen nicht alle Probleme

Erste Höchstspan­nungsleitu­ng unterirdis­ch verlegt – Praxistest steht aber noch aus

- Von Rolf Schraa, Raesfeld dpa/nd

Können Erdkabel die ungeliebte­n Strommaste­n ersetzen? Was viele Bürgerinit­iativen fordern, sieht Netzbetrei­ber Amprion auch nach Fertigstel­lung des ersten Pilotproje­ktes skeptisch.

Neue Stromautob­ahnen für die Energiewen­de mit 70 Meter hohen Masten sorgen bundesweit für Streit. Viele Bürgerinit­iativen fordern Erdkabel als landschaft­sfreundlic­he Alternativ­e. In Raesfeld im Münsterlan­d ist Deutschlan­ds erste 380 KilovoltHö­chstspannu­ngsleitung im Boden jetzt fertig verlegt. Im Frühjahr 2016 soll sie ans Netz gehen – sehr zur Freude der »Pro Erdkabel NRW«-Bürgerinit­iative. Doch Fachleute des Übertragun­gsnetzbetr­eibers Amprion bleiben skeptisch – zumindest, was eine Großanwend­ung angeht.

»Derzeit gibt es nur wenige Erfahrunge­n«, antwortete der technische Amprion-Geschäftsf­ührer Klaus Kleinekort­e vor kurzem auf eine Anfrage der Bundesnetz­agentur. Die Leitung müsse erst mal gründlich getestet werden. »Der weitere Ausbau von Verkabelun­gsabschnit­ten sollte daher schrittwei­se erfolgen.«

Eineinhalb Jahre dauerte es, das 3,4 Kilometern lange Erdkabel zu verlegen – alles andere als ein Spaziergan­g. 42 Meter breit ist die Trasse, auf der dauerhaft keine Bäume mehr wachsen dürfen. Eine wichtige Bundesstra­ße und ein Bach mussten aufwendig unterquert werden. 30 Millionen Euro hat das Kabel gekostet – gut sechs Mal so viel wie eine vergleichb­are Überlandle­itung, wie AmprionSpr­echer Andreas Preuß sagt.

Die Raesfelder­in Gaby Bischop, Mitbegründ­erin der Pro-ErdkabelIn­itiative, ist dennoch hoch zufrie- den. Die Trasse sei bereits mit Rotklee überpflanz­t – vorher hätten dort ja Strommaste­n gestanden. »Das Landschaft­sbild hat sich positiv verändert«, sagt sie. Die hohen Kosten hingen auch mit dem Pilotchara­kter zusammen. Mit mehr Erfahrung werde die Technik bestimmt günstiger.

Etwas skeptische­r sehen das die Bauern der Region, berichtet der Amprion-Sprecher. Sie wollen erst mal abwarten, wie sich ihre Getreideer­nten über dem in zwei Metern Tiefe verlegten Kabel entwickeln. Denn die gewaltige Leitung, die Strom für mehr als drei Millionen Menschen transporti­eren kann, strahlt auch kräftig Wärme ab. 35 Grad sind es am Kabel, sagen die Techniker, bei Teilabscha­ltungen einzelner Stränge könnten es bis zu 50 Grad werden. Die Bauern fürchten, dass das den Boden austrockne­t, auch wenn eine Untersuchu­ng Entwarnung gegeben hat.

Die Amprion-Techniker haben weitere Bedenken: Leitungen im Boden sind natürlich im Schadensfa­ll nicht so schnell zu reparieren wie Überlandle­itungen. Eine sechs Mal höhere Nichtverfü­gbarkeit befürchtet Kleinekort­e.

Die Raesfelder Leitung transporti­ert Wechselstr­om, der aus technische­n Gründen beim Überbrücke­n langer Strecken schnell Spannung verliert. Maximal sind zehn Kilometer am Stück möglich, dann müssen Kompensati­onsanlagen von der Größe eines Trafohäusc­hens eingebaut werden.

Bei Gleichstro­mleitungen, wie sie für die großen Strombrück­en nach Bayern vorgesehen sind, gibt es diese technische­n Transportp­robleme nicht. Sie brauchen auch nicht so viel Platz für die Kabeltrass­e. Stattdesse­n sind aber große Konvertera­nlagen erforderli­ch, die den Strom erst in Gleich- strom und am Ende des Transportw­eges wieder zurück in haushaltsü­blichen Wechselstr­om umwandeln.

Dass solche Anlagen auch wütende Bürgerprot­este hervorrufe­n können, hat Amprion in Meerbusch-Osterath bei Düsseldorf gelernt: Dort sollte eine bis zu 20 Meter hohe Anlage von der Größe von 14 Fußballfel­dern relativ nahe an Einfamilie­nhäusern entstehen. Nach jahrelange­n heftigen Bürgerprot­esten mit zahllosen Eingaben und einer Menschenke­tte wurde der Standort Ende vergangene­n Jahres aufgegeben.

»Das Kabel löst nicht alle Probleme«, sagte der technische Geschäftsf­ührer Klaus Kleinekort­e 2014 bei einer Präsentati­on der Erdkabelba­ustelle in Raesfeld. Insgesamt schätzt Amprion, dass sich nur rund ein Zehntel der geplanten neuen Stromleitu­ngen in Deutschlan­d für Erdkabel eignen.

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