»Mit voller Kriegsbeladung«
Der Pazifist und Grünen-Politiker Roland Vogt über Protest am Luftwaffenstandort Kalkar
Sie demonstrieren nicht zum ersten mal in Kalkar. Vor fast 38 Jahren waren Sie Mitorganisator einer Großdemonstration gegen den Schnellen Brüter. Der Polizeieinsatz dagegen war der bis dahin größte in der Geschichte der Bundesrepublik. Dennoch ließen sich 40 000 bis 60 000 Menschen nicht abschrecken. Das Atomkraftwerk ging nie ans Netz. Heute ist dort ein Freizeitpark. So gut läuft es nicht immer, oder?
Insgesamt haben wir den Widerstand an verschiedenen Atom-Standorten so gut durchgehalten, dass letztlich der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen werden konnte. Ohne solche intensiven regionalen Aktivitäten wie in Kalkar, oder auch in Wyhl, wo massive Proteste den Weiterbau eines AKW stoppten, oder im Wendland wären die Grundlagen für den Atomausstieg nicht geschaffen worden.
Warum demonstrieren Sie nun wieder in Kalkar und warum gerade am 3. Oktober?
Wir wollen am Tag der Deutschen Einheit auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag hinweisen, der nach Meinung weiter Teile der Friedensbewegung auch in Kalkar verletzt wird. Denn die Versprechungen, die damals gemacht worden sind, werden von bundesrepublikanischer und von NATO-Seite nicht erfüllt. Diese hießen: weitgehende Rüstungskontrolle, Abrüstung, Vertrauensbildung, einvernehmliche Konfliktlösung im Rahmen der OSZE.
Von Kalkar aus werden die Luftoperationen der Bundeswehr und der NATO nördlich der Alpen geplant. Dort stehen auch eine Denkfabrik, die den Luftkrieg der Zukunft plant, und das Weltraumla- gezentrum der Bundeswehr. Was bedeutet das konkret?
Derzeit sind am östlichen Rand der baltischen Staaten deutsche Eurofighter unterwegs, die mit voller Kriegsbeladung bestückt sind, also mit Kurz- und Mittelstreckenraketen. Die Militärs sprechen von »Wartime Load«.
Ladung wie in Kriegszeiten.
Genau. Offiziell dient das der Beruhigung von Estland, Lettland und Litauen. Aber wenn ich mal Karl Müllner, den Inspekteur der deutschen Luftwaffe, zitieren darf: Der sieht darin einen willkommenen Anlass, dass die Truppe mit Waffen üben kann, deren Einsatz über deutschem Territorium nicht gestattet ist. Die Flugzeugbesatzungen hätten zum ersten Mal Gelegenheit, mit scharfen Waffen umzugehen. Das, sagt Müllner, diene der Motivation der Soldaten.
Der Generalleutnant spricht von einem Signal an Russland und die eigenen Soldaten.
Wie zur Legitimation wird darauf verwiesen, dass auch die russischen Flugzeuge solche Waffen tragen. Man kann sich durchaus vorstellen, dass es da zu Kollisionen kommen kann. Die Folge wären Verwicklungen, die zu kriegsähnlichen Aktivitäten führen würden. Das ist ein Vabanquespiel!
Wie gehen Bundes- und Landesregierung mit Kalkar um? In Nordrhein-Westfalen regiert ja Ihre Grüne-Partei mit.
Ich finde es wichtig, wenn Proteste wie jene in Kalkar die Politik zu neuen Stellungnahmen und Haltungen herausfordern.
Stoppen kann die Friedensbewegung diese Politik derzeit nicht. Wie
kommt sie wieder in die Offensive?
Wir müssen auf Aufklärung und zivilen Widerstand setzen und vor allem Alternativen der zivilen Konfliktlösung aufzeigen. Die gibt es zahlreich. Da wäre nicht nur die Konversion, sondern auch Soziale Verteidigung, also Methoden des nicht-militärischen Widerstands gegen Angreifer. Es gibt den zivilen Friedensdienst, bei dem Friedensfachkräfte weltweit verhindern, dass Konflikte eskalieren. Ganz wichtig ist das Verbot des Waffenexports.
Was könnte aus den militärischen Einrichtungen in Kalkar Sinnvolles entstehen? Viele Arbeitsplätze hängen daran.
Es gibt gute Erfahrungen mit dem Abzug der britischen Rheinarmee, auch in Nordrhein-Westfalen. Überall, wo aktive Konversionsmaßnahmen stattfanden, stand die Kommune hinterher besser da, auch wirtschaftlich. Sie profitierte also von der zivilen Umwandlung.
Was wird besser durch den Abzug?
Das Militär nimmt wertvolles Gelände in Anspruch, das für die Ansiedlung von Unternehmen sehr nützlich wäre. Die massive Stationierung von Soldaten kann die wirtschaftliche Entwicklung bremsen, das ist insbesondere in der Westpfalz der Fall. Eine geräumte Kaserne wäre auch eine willkommene kurzfristige Unterkunft für Flüchtlinge. Man muss ihnen natürlich das Gefühl vermitteln, nicht kaserniert zu sein.