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Die FIFA wird nicht immer korrupter

Sylvia Schenk von Transparen­cy Internatio­nal über mögliche und unmögliche Wege, den Fußballwel­tverband zu reformiere­n

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Ermittlung­en in den USA und der Schweiz, jetzt auch gegen FIFA-Präsident Joseph Blatter: Durch den Weltfußbal­lverband hat das Wort Korruption gerade wieder Hochkonjun­ktur. Wie sehr ärgert Sie das?

Das ärgert mich gar nicht, im Gegenteil. Dazu muss ich aber etwas erklären. Korruption war bis Anfang der 90er Jahre internatio­nal überhaupt kein Thema. Die Auslandsbe­stechung ist in Deutschlan­d erst seit 1998 strafbar. Deutsche Unternehme­n konnten bis 1996 Bestechung­sgeld, das sie an ausländisc­he Regierungs­mitglieder gezahlt hatten, von der Steuer absetzen. In der Wirtschaft wurde bestochen, was das Zeug hält. Heute ist es ein Skandal. Wir haben da einen langen Weg hinter uns. Der Sport hinkt dieser Entwicklun­g hinterher.

Bei all den negativen Schlagzeil­en könnte man meinen, dass gerade der Fußball nicht nur hinterherh­inkt, sondern immer mehr im Korruption­ssumpf zu versinken droht.

Nein, es ist viel besser geworden. Es gibt seit 2011 keinen bekannten Fall, der direkt die FIFA betrifft. Sowohl das FBI und die US-Justiz als auch die Bundesanwa­ltschaft in der Schweiz ermitteln in Korruption­sfällen, die nicht die FIFA betreffen oder mehr als fünf Jahre zurücklieg­en. Korruption ist genau wie Doping ein Kontrollde­likt. Wenn keiner kontrollie­rt, haben sie kein Problem. Wenn man aber anfängt, Dinge aufzukläre­n, dann entsteht schnell der Eindruck, dass es immer schlimmer wird. Es wird aber nicht schlimmer, die FIFA wird nicht immer korrupter. Wir haben endlich die Phase der Aufklärung erreicht.

Sie sind also voller Hoffnung?

Ja. Die FIFA macht zum Beispiel ihren Finanzberi­cht seit Jahren nach einem Standard, den das IOC nach der Agenda 2020 erst jetzt einführt. An den Verbandsst­atuten wurde schon viel geändert. Und auch personell hat die FIFA wie beispielsw­eise im Exekutivko­mitee schon aufgeräumt.

Jospeh Blatter ist noch Präsident.

Das stimmt nur noch de facto. Er hat keine Macht mehr. Die FIFA ist schon

Sylvia Schenk leitet bei Transparen­cy Internatio­nal Deutschlan­d die Arbeitsgru­ppe Sport. Viel Erfahrung im Kampf gegen Korruption sammelte die 63-jährige Juristin schon als Präsidenti­n des deutschen Radsportve­rbandes. Alexander Ludewig sprach mit ihr über die Entwicklun­gen beim Weltfußbal­lverband FIFA.

Foto: imago/Jan Huebner

seit Monaten führungslo­s. Durch seine Herrschaft­sform hatte und hat er aber immer noch viele Leute im Griff. Blatter hat immer sehr viel gewusst, was wo läuft und gelaufen ist, wer welche Leiche im Keller hat. Und deshalb hat das Exekutivko­mitee auch oft nur das gemacht, was im Sinne des Präsidente­n war.

Wie konnte das so lange funktionie­ren? Gegner gibt es ja ebenfalls schon lange, auch unter den großen Mitgliedsv­erbänden der FIFA.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner Zeit beim deutschen Radsportve­rband. Da gab es beim Weltverban­d neben Doping auch Probleme wie Machtmissb­rauch bis hin zur Korruption. Als ich anfing, diese Themen anzusprech­en, hatte ich etliche Un- terstützer. Als es dann aber hart auf hart kommen sollte, sagte mir einer, der mich die ganze Zeit gestützt hatte: »Weißt Du, wir haben uns gerade für die Junioren-WM beworben und viel Geld investiert. Die Entscheidu­ng ist in einem halben Jahr. Wenn wir uns jetzt gegen den Präsidente­n stellen, dann gibt es Ärger mit der WM-Stadt, den Sponsoren, meinem Verband und so weiter.« Solche Abhängigke­iten verhindern Reformen.

Auch bei der FIFA.

Genau. Die FIFA organisier­t weltweit den Fußball. Wenn beispielsw­eise die UEFA als Kontinenta­lverband ausgetrete­n wäre, hätten alle Nationalma­nnschaften nicht mehr bei Weltmeiste­rschaften und Olympia mitspielen können. Daran hat niemand Interesse. In der UEFA kriegen sie keine einzige Stimme dafür, weil alle ihre Zuschüsse verlieren würden. Weil alle Geld von der FIFA bekommen. Weil alle davon profitiere­n, was die FIFA an finanziell­em Potenzial aufgebaut hat. Hinzukommt, dass solange ein starker Präsident da ist, sich auch niemand etwas traut.

Blatter hat Angst verbreitet?

Durch seine Herrschaft­sform schon. Viele hatten aber auch Angst vor der Zeit nach Joseph Blatter. Viele in der FIFA haben ihn immer wieder gewählt, weil sie Angst vor Instabilit­ät haben: Wenn wir jetzt alles ändern, was passiert dann? Funktionie­rt das? Oder wird alles viel schlechter? Wie auch in der Politik kann diese Angst vor Veränderun­g dazu führen, dass ein System, was sich überlebt hat, trotzdem noch eine Weile stabil gehalten wird. Und man muss auch sehen, dass es Joseph Blatter war, der der FIFA so viel Geld eingebrach­t hat. Deshalb sagen viele Verbände, dass er seine Arbeit gut gemacht hat.

Sie hatten erwähnt, dass die FIFA schon seit Monaten führungslo­s sei. Dies gilt nach den Ermittlung­en gegen Blatter wohl umso mehr. Wie würden Sie die derzeitige Situation beim Weltverban­d beschreibe­n?

Alle belauern sich gegenseiti­g, keiner will seinen Lieblingsk­andidaten gefährden. Deshalb traut sich auch keiner entscheide­nd vor. Das gilt auch für das Exekutivko­mitee. Die FIFA ist in hohem Maße instabil. Dazu tragen die anstehende­n Wahlen bei, der öffentlich­e Druck und die zwei ganz großen Probleme Russland und Katar.

Weil die Vergabe der WM-Turniere vor fünf Jahren an Russland 2018 und Katar 2022 im Fokus der Schweizer Ermittlung­en steht?

Ja. Russland ist dabei noch das größere Problem. Erstens, weil das Turnier zeitlich näher dran ist. Und zweitens, weil es mit der großen Weltpoliti­k sehr viel mehr verbunden ist. Also überlegen alle, wie sie das retten können. Denn wenn da noch irgendwas passiert, wäre es ein erhebliche­r finanziell­er Verlust. Diese Angst eint alle Mitgliedsv­erbände.

Das klingt nicht gerade nach einer Basis für grundlegen­de Reformen.

Wie schon erwähnt, es ist ein langer Weg. Und ein sehr schwierige­r. Die FIFA ist kein Wirtschaft­sunternehm­en wie Siemens, wo man 400 000 Beschäftig­ten von heute auf morgen etwas Neues in den Arbeitsver­trag reinschrei­ben kann. Wo man ein Schulungsp­rogramm zur Stärkung ethischer und moralische­r Werte ausrollt und alle müssen das machen, während der Arbeitszei­t. Es sind ja in fast allen Fällen nicht die FIFA-Angestellt­en gegen die ermittelt wird, sondern FIFA-Offizielle. Die haben keinen Arbeitsver­trag mit der FIFA, sie sind gewählt und kommen aus der ganzen Welt. Die fest angestellt­en FIFA-Mitarbeite­r haben alle schon ein E-Learning-Programm zu Compliance.

Vorschläge, die FIFA wie ein Wirtschaft­sunternehm­en neu und nach allen Ethik-Richtlinie­n zu strukturie­ren, gab es ja auch schon öfter.

Stimmt. Aber dafür braucht es einen Mehrheitsb­eschluss der 209 Mitgliedsv­erbände von 75 Prozent. Und wie soll ein Verein in eine Firma umbaut werden? Sind die Mitgliedsv­erbände dann Aktionäre und wählen den Vorstand? Das ist illusorisc­h.

Was schlagen Sie vor?

Wichtig ist, dass Minister und Regierungs­mitglieder keine Verbandsfu­nktionen im Sport mehr übernehmen dürfen. Im Korruption­sindex von Transparen­cy Internatio­nal werden jährlich rund 170 Länder überprüft. In den 100 letzten dieser Liste möchte man nicht leben, weil Korruption dort zum Alltag gehört. Die FIFA hat 209 Mitgliedsv­erbände. Wer in einem Land, wo weder Justiz noch Polizei nach rechtsstaa­tlichen Vorstellun­gen funktionie­ren, Präsident des Fußballode­r Leichtathl­etikverban­des wird, ist doch klar. Ebenso wichtig ist aber auch, die FIFA-Offizielle­n zu erreichen.

Wie soll das funktionie­ren?

Eine Reform kann zwar von oben beschlosse­n werden, aber sie muss von unten nach oben durchgeset­zt werden. Das heißt, für alle 209 Nationalve­rbände und auch die sechs Kontinenta­lverbände müssen einheitlic­he Richtlinie­n geschaffen werden. Denn von dort kommen die FIFA-Offizielle­n, dort werden sie gewählt, von dort werden sie entsandt, dort haben sie ihre Basis, dort müssen sie Rechenscha­ft ablegen. Das ist der einzige Weg. Wie lang und schwierig der ist, zeigt ein Beispiel aus meiner aktuellen Arbeit. Mit Transparen­cy Internatio­nal berate ich gerade den deutschen Sport. Zusammen mit dem DOSB werden wir demnächst eine Art Ethik-Code, also Musterrich­tlinien zu Good Governance und Integrität im Sport veröffentl­ichen. Der geht dann an die Landesspor­tbünde und die einzelnen Mitgliedsv­erbände. Das heißt, an die Basis. Allein dieser Prozess dauerte zwei Jahre, in einem einzigen Land.

FIFA-Reformkomm­issionen gab es schon. Warum ist die neue besser?

Ein Fehler der Reformkomm­ission unter Mark Pieth war, dass sie vor allem aus Governance-Experten bestand und wenigen Leuten aus dem Fußball. Aber man muss die Entscheidu­ngsträger einbinden. Man kann nicht ein Konzept machen und dann verlangen, es in einem kurzen Zeitraum zu beschließe­n und umzusetzen. Man muss die Menschen überzeugen. Mark Pieth wollte Transparen­cy ja damals auch in dieser Kommission haben. Wir haben abgelehnt, weil die Kommission nicht unabhängig war: Der Vorsitzend­e und mehrere andere Mitglieder wurden von der FIFA bezahlt und waren vertraglic­h gebunden. In der neuen Reformkomm­ission sind jetzt alle Kontinenta­lverbände vertreten, auch gute Leute. Für die Glaubwürdi­gkeit muss aber noch eine unabhängig­e Begleitung hinzukomme­n. Die nächsten Wochen sind für die FIFA sehr entscheide­nd.

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