Geheimtipp ohne Star
Bei der EM suchen Deutschlands Volleyballerinnen Erfolg in der Geschlossenheit
Die deutschen Volleyballerinnen starteten holprig in die EM. Der Bundestrainer will trotzdem ins Halbfinale, um selbstbewusst in die Olympiaqualifikation zu gehen.
Luciano Pedullà ist sich einer Sache ganz sicher, daher wiederholt er sie schon fast wie ein Mantra, wenn man in diesen Tagen mit ihm spricht: »Meine Mannschaft kann mit jeder anderen in Europa mithalten. Wir sind zwar nicht die Favoriten – das sind Russland und Serbien, aber wir können mit allen mithalten.« Der Italiener ist seit April Bundestrainer der deutschen Volleyballerinnen, und bei der Europameisterschaft in den Niederlanden und Belgien muss er gerade seine erste große Herausforderung stemmen. Die Vorrunde hat die Mannschaft nach zwei eher schwachen Spielen gegen Serbien (0:3) und Außenseiter Rumänien (3:1) sowie einer Leistungssteigerung gegen Tschechien (3:0) überstanden. Ab diesem Mittwoch geht es im K.o.Modus weiter. Im Achtelfinale wartet Ungarn auf das Team von Pedullà. Es sollte die letzte leichter zu erledigende Aufgabe in diesem Turnier sein, die sich der Trainer jedoch lieber ganz erspart hätte. Mit einem Gruppensieg hätten die deutschen Volleyballerinnen direkt das Viertelfinale erreicht, doch dafür waren die bereits für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro qualifizierten Serbinnen zu stark. »Jetzt müssen wir an zwei Tagen früher aufstehen und dazu noch nach Antwerpen reisen. Das wird sicher zum Nachteil in den späteren Runden, sollten wir diese erreichen«, sagt Pedullà zu »nd«.
Trotzdem würde er gern nach einem erwarteten Sieg gegen Ungarn auch noch die nun zunächst spielfreien Türkinnen im Viertelfinale bezwingen. »Das Erreichen des Halbfinales wäre ein sehr großer Erfolg für uns«, sagt der 58-Jährige, wohl wissend, dass bei der letzten EM noch Silber gewonnen wurde – damals noch unter seinem Vorgänger Giovanni Guidetti. »Es sind jetzt viele jüngere Spielerinnen dabei, die vor zwei Jahren noch nicht im Kader standen. Da haben andere Mannschaften mehr Erfahrung als wir.«
Mehr Durchschlagskraft obendrein. Der Wucht von Serbiens erst 18-jährigem Jungstar Tijana Boskovic etwa konnten die deutschen Spielerinnen nicht mithalten. Zudem war Maren Brinker im ersten Turnierspiel noch immer von einem Virus geschwächt, den sie sich in der Vorbereitung in Italien eingefangen hatte. Das wussten die Serbinnen auszunutzen und spielten Brinker mit ihren gefährlichen Aufgaben immer wieder direkt an. Ihre Schwächen in der Annahme sorgten letztlich dafür, dass drei Sätze schnell verloren waren. Verzichten will Pedullà auf Brin- ker trotzdem nicht. Sie ist schließlich die beste Außenangreiferin, die er hat. »Und sie kann auch gut annehmen, wenn sie in Form ist. So wie beim Grand Prix. Da war sie am Ende unter den besten fünf Annahmespielerinnen des gesamten Turniers«, erinnert sich der Bundestrainer.
Ohnehin muss der »Geheimtipp« Deutschland ganz ohne Star im Team über eine geschlossene Defensive den Erfolg suchen. Die zeigte sich gegen Tschechien bereits klar verbessert. »Wir müssen jetzt in jedem Spiel einen kleinen Schritt voran gehen, und dazu weiter so gut aufschlagen wie bisher. Wenn wir zweimal so spielen, stehen wir im Halbfinale und haben die Gelegenheit auf mehr. Immerhin gehen wir Serbien und Russland nun bis zu einem möglichen Finale aus dem Weg«, so Pedullà.
Das große Ziel bleibt ohnehin die Olympiaqualifikation im Januar oder später im Mai. Die EM will der Trainer allerdings nicht nur als Vorbereitungsturnier dafür abtun: »Nein, sie ist viel mehr als das«, sagt er. »Ein gutes Resultat ist sehr wichtig für uns, vor allem da das Niveau dieser EM so hoch ist wie seit 2003 nicht mehr, als auch etwa sieben Teams eine Medaille gewinnen konnten. Wenn wir jetzt gut abschneiden, gibt uns das nicht nur Spielpraxis, sondern auch viel Selbstvertrauen für das nächste Jahr.«
Dann will er auch die erfahrene Mittelblockerin Christiane Fürst reaktiviert haben. »Ich hätte sie gern dabei«, bestätigte der Bundestrainer, nachdem Fürst unter Vorgänger Guidetti die Lust auf die Nationalmannschaft verloren hatte. Eigentlich hatte Fürst eine Entscheidung bis September angekündigt. Immerhin, offiziell abgesagt hat sie auch noch nicht.