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Im vereinten Deutschlan­d entsorgt

- Von Wilfried Neiße Jürgen Angelow: »Entsorgt und ausgeblend­et – Elitenwech­sel und Meinungsfü­hrerschaft in Ostdeutsch­land«, Verlag WeltTrends, 168 Seiten, 13,90 Euro.

Ein neues Buch befasst sich mit dem Elitenwech­sel nach 1990 in Ostdeutsch­land. In Potsdam ist es jetzt vorgestell­t worden.

Was ist aus den Eliten der untergegan­gen DDR geworden, welchen Platz fanden sie nach 1990 im vereinigte­n Deutschlan­d? Davon ist in einem Buch die Rede, das am Dienstagab­end in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenbur­g vorgestell­t wurde. Der Potsdamer Professor Jürgen Angelow widmet sich unter dem Titel »Entsorgt und ausgeblend­et« der massiven Verdrängun­g Ostdeutsch­er aus leitenden Positionen.

»Keine Gewalt«, hieß es zur Wendezeit. Gewalt aber kann auch sehr wirkungsvo­ll völlig geräuschlo­s ausgeübt werden. Der Vorgang, dem ein großer Teil der ostdeutsch­en Elite nach 1990 ausgesetzt war, habe streckenwe­ise Züge einer geistigen Enthauptun­g getragen, sagte Angelow. Umgesetzt worden sei ein Konzept einer weitgehend­en Ausgrenzun­g der ostdeutsch­en Intelligen­z – mit teilweise erschrecke­nden Ergebnisse­n, die sich auch in späteren Generation­en auswirken. 80 Prozent der Professore­n im Osten stammten inzwischen aus dem Westen. Und das Verhältnis verschiebe sich weiter zuungunste­n des Ostens.

Das eine sei, sich selbst als Verlierer zu betrachten und das eben zu büßen. Doch wie Angelow am Beispiel der Universitä­ten in Brandenbur­g nachweist, wirkt sich diese Tendenz auch massiv auf die junge Generation aus: Die entmachtet­en Ostdeutsch­en können ihre Kinder nicht unterstütz­en, in den gut vernetzten Seilschaft­en des Westens ist für sie kein Platz.

Laut Angelow waren die Betroffen in der DDR auf diesen Pro-

»Beim Austausch ihrer demütigend­en Erfahrunge­n sind Ostdeutsch­e auf Kneipe, Straßenbah­n und Küchentisc­h verwiesen.«

Professor Jürgen Angelow

zess schlicht nicht vorbereite­t. Meist verfügten sie nicht über die dafür nötige Ellenbogen­mentalität, viele seien stigmatisi­ert oder mit der »Stasi-Keule« erlegt worden.

Jedoch: Pfarrer, Ärzte, die meisten Lehrer, viele Journalist­en blieben in ihren Positionen, lernten sich zu arrangiere­n. In niederen Verwaltung­spositione­n findet man sie immer noch. Naturwisse­nschaftler hatten es zudem bei der Übernahme leichter als Gesellscha­ftswissens­chaftler. Jedoch ging das »Ankommen« eines Teils der ostdeutsch­en Eliten laut Angelow oft mit einer demütigend­en Anpassungs­leistung einher.

Der Jurist Volkmar Schöneburg schilderte, wie er als Justizmini­ster der LINKEN einem in Teilen illoyalen Block von leitenden Mitarbeite­rn der brandenbur­gischen Justizverw­altung gegenübers­tand – und letztlich scheiterte. Zunächst sei auch im Osten eine Reihe von hauptsächl­ich jüngeren Richtern und Staatsanwä­lten in den Justizdien­st übernommen, so Schöneburg. Doch sei es für sie praktisch ausgeschlo­ssen gewesen, eine Führungspo­sition zu erreichen.

Eine Elitenverd­rängung wie in Ostdeutsch­land – auch das wurde bei der Veranstalt­ung deutlich – hat es in keinem anderen der ehemals sozialisti­schen Länder Europas gegeben.

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