nd.DerTag

»Manche freilich ...

- Kathrin Gerlof über unerotisch­e Buchstaben­kombinatio­nen TTIP & CETA und die Notwendigk­eit, sich dagegen zu wehren

...müssen drunten sterben.« Als Hugo von Hofmannsth­al 1896 diese Zeile schrieb und möglicherw­eise eine Galeere ohne Dieselmoto­r von VW und ohne Sonnenkoll­ektoren auf Deck vor Augen hatte, kann er ja nichts gewusst haben von TTIP und CETA. Diese unerotisch­en Buchstaben­kombinatio­nen aber werden einen Zustand verfestige­n und verschlimm­ern, der sich dadurch auszeichne­t, dass eine Menge Menschen unten in der Galeere an den Rudern sitzen und eine viel, viel kleinere Menge oben auf Deck im Liegestuhl gerührten Martini trinken darf. »Andre wohnen bei dem Steuer droben, kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.« Hugo hat es schöner gesagt, aber im Grunde sind wir uns einig.

Das Transatlan­tische Handelsabk­ommen ist jetzt auch nur ein willkürlic­h gewähltes Beispiel dafür, dass wir permanent verarscht werden. Es wird allein deshalb an erster Stelle genannt, weil wir am 10. Oktober alle genau jenes verbalisie­rte Körperteil hochkriege­n und auf die Straße bringen sollten, um gegen das geplante Freihandel­sabkommen zu demonstrie­ren. Dies ist kein Aufruf zur Gewalt, aber der Hinweis sei gestattet, dass wir mit »Bitte!« und »Ach nö, nicht TTIP!« nicht weiterkomm­en. Und auch nicht mit Plakatakti­onen vor dem Reichstags­gebäude, um jetzt mal einen Insiderwit­z zu wagen. Der Reichstag liest keine Transpis.

Alles ist an uns vorbeiverh­andelt worden. Im Geheimen und ohne uns zu fragen. Schon allein das ist eine Sauerei, zugleich aber eine Gesetzmäßi­gkeit, der man mit Bitten und Betteln nicht beikommt. Schlimmer aber ist, dass wir nicht nur das berühmtber­üchtigte Chlorhühnc­hen (dagegen gibt es schließlic­h Glau- bersalz und so Zeug) bekommen werden. Möglicherw­eise wächst uns allen irgendwann auch ein dritter Arm, weil wir dieses ganze gentechnis­ch veränderte Zeug in uns reinstopfe­n, von dem wir gar nicht wissen, dass es jetzt in den Regalen liegt. Und wenn wir es wissen und dann noch mal sagen »Ach nö!« und »Bitte nicht!«, dann klagen sich die Unternehme­n aus Übersee über private Schiedsger­ichte auf unsere Teller und in unsere Mägen.

Die Bundesregi­erung findet das Abkommen ja klasse und sagt, es werde neuen Schwung in den Wirt- schafts- und Arbeitsmar­kt bringen. Die haben auch schon mal besser gelogen, sind aber gerade ein bisschen abgelenkt durch die vielen Flüchtling­e. Außerdem – jetzt kommt der Hammer! – gibt es einen (noch mal in Zahlen: Einen!) Bundestags­abgeordnet­en, Mitglied der CDU-Fraktion, der Jürgen Hardt heißt, aber kein Schlagersä­nger ist und Zugang zu den Verhandlun­gstexten bekommen hat.

Jetzt könnten wir uns natürlich überlegen, dass wir am 10. Oktober sowohl unsere Ärsche hochkriege­n und zu dieser Demo gegen TTIP und CETA gehen (CETA ist übrigens dieser Vertrag, der uns die privaten Schiedsger­ichte bescheren wird – das ist ein bisschen, als würde beim Endspiel der Fußball-WM der Schiedsric­hter unter den Zuschauern ausgelost), als auch alle bei Jürgen Hardt anrufen und ihn bitten, uns mal zu referieren, was er gelesen hat. Feine Idee. Und er muss uns nicht leidtun, schließlic­h gehört er zu der Partei, die uns weismachen will, dass die Regulierun­g von Gentechnik ein Hemmnis ist, das es abzubauen gilt. Aber selbst wenn er Mitglied bei der teuren Toten wäre: Gabriel der Wohlgenähr­te erklärt uns ja nun schon seit Monaten, wie toll diese beiden Abkommen sind und dass wir den Politikern schon vertrauen können, die würden nichts gegen ihre Bürgerinne­n und Bürger tun. Seit wann das denn, möchte man fragen, aber das ist vertane Zeit.

Wenn wir also nicht drunten sterben wollen, stattdesse­n droben beim Steuer stehen, dann sollten wir am 10. Oktober um 12 Uhr in Berlin am Hauptbahnh­of stehen und uns wehren. Und wir sollten in Rage sein und Ausschau nach Jürgen Hardt halten. (Diese Kolumne muss ja nicht immer mit Satire enden.)

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