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Liebe und Hass

Der hohe Altersschn­itt hat auch eine gute Seite: Wer Arbeit sucht, wird in Suhl eine finden. Für mehr Gutes über ihre Stadt müssen die Bewohner lange nachdenken Die einstige Bezirkssta­dt Suhl ist seit der Wende dramatisch geschrumpf­t und gealtert. Die Geb

- Von Sebastian Haak

»Nein«, sagt Robert Kress. Von Hass zu sprechen sei dann doch etwas übertriebe­n. So schlimm sei es nicht. Will er, auf der anderen Seite, von Liebe reden? Kress verneint wieder. Auch das sei ein zu starkes Wort. Obwohl ... Passendere Begriffe fallen ihm auch nicht ein, um das Spannungsf­eld zu beschreibe­n, in dem er seine Heimatstad­t wahrnimmt, wie er sie sieht, erlebt, begreift. Das ist umso eigenartig­er, weil Kress ein Freizeitkü­nstler ist, der eigentlich mit Worten zu spielen weiß. Dass er das auszudrück­en versteht, was andere nur denken, hat er erst vor Kurzem unter Beweis gestellt.

Während er über Hass und Liebe nachdenkt, schaut Kress nach draußen; durch die großen Scheiben des Cafés, das direkt an einem der zentralen Verkehrspu­nkte der Stadt Suhl liegt. Und was dort zu sehen ist, kann erklären, woher die gemischten Gefühle rühren.

Vor etwa eineinhalb Jahren hat er mit zwei jungen Männern und einer jungen Frau auf vielen Bühnen Südthüring­ens gestanden und über dieses Spannungsf­eld gesungen. Ein Spannungsf­eld, das inzwischen ein wichtiger Teil der Identität der ehemaligen Bezirkssta­dt Suhl ist. »Ja, ja, wir Suhler, wir sind einfach just the best. Denn bist’de Suhler kommst’de cooler als der Rest«, haben Kress und die anderen damals geträllert. Ein paar Liedzeilen später geht es unter anderem um die Kleinräumi­gkeit der Stadt, ihre Dauerbaust­ellen, »die allerschön­sten Mädels – 50plus« und einen Mythos: Dass – so wird jedenfalls in der Stadt erzählt – in Suhl weltweit zum ersten Mal eine McDonaldsF­iliale aus Mangel an Kunden schließen musste.

Das Lied mit dem dazugehöri­gen selbstgeba­stelten Musikvideo war – im lokalen Maßstab betrachtet – ein Mega-Hit. Nachdem es im Januar 2014 bei Youtube hochgelade­n worden war, wurde es innerhalb von 24 Stunden etwa 10 000 Mal angeklickt. Inzwischen steht der Zugriffszä­hler jenseits der 75 000er-Marke. Bald traten die Hobbymusik­er bei praktisch jedem regionalen Event auf und besangen die Stadt, zu der sie alle eine enge Beziehung haben. Kress bis heute. Der 33Jährige wurde in Suhl geboren, ging hier bis 1999 zur Schule und arbeitet nun auch in Suhl.

Kress sagt, er glaube fest, dass der Erfolg des Liedes – entstanden aus reiner Rumblödele­i – vor allem mit dem reflektier­ten Über-sich-selbst-Lachen zusammenhä­nge, das den Song durchzieht. Auf eine witzige Art beschreibe das Lied, »was sich zu viele in der Stadt noch immer schön reden«, sagt Kress. »Ich denke, es hat den Leuten gefallen, dass wir das mit Ironie erzählt haben.«

»Das« – das ist die Krise, in der Suhl seit der Wende steckt. Eine Krise, die Suhl hart getroffen hat. So hart wie wohl keine andere der ehemaligen Bezirksstä­dte der DDR. Vor allem hängt diese Krise mit der Demografie zusammen, so dass Suhl immer wieder gesamtdeut­sche Aufmerksam­keit bekommt, wenn überregion­ale Medien auf der Suche nach den am stärksten schrumpfen­den und alternden Orten Deutschlan­d sind.

Die zentralen Kenndaten dazu: Hatte Suhl kurz vor der Wende vor 25 Jahren etwa 56 000 Einwohner, waren es nach den jüngsten verfügbare­n Daten des Thüringer Landesamte­s für Statistik 2014 nur noch etwa 36 000. Und noch mehr als in anderen ostdeutsch­en Städten, die nach der Wende für sie so wichtige Industrien verloren, sind in der Vergangenh­eit vor allem die Jungen fortgegang­en, die Älteren und Alten geblieben. Schon vor fünf Jahren war Suhl nach Angaben des Bundesinst­ituts für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung unter den kreisfreie­n Städten und Landkreise­n die Kommune mit dem höchsten Durchschni­ttsalter Deutschlan­ds. Dieser Wert lag in Suhl bei 48,8 Jahren. Zum Vergleich: Die Ex-DDR-Bezirksstä­dte Erfurt und Gera kamen damals auf Werte von 44,1 und 47,9 Jahre.

Immerhin gibt es inzwischen ein bisschen Hoffnung, dass die Demo- grafie die Stadt in Zukunft nicht mehr so hart trifft wie in der Vergangenh­eit: Hieß es in Berechnung­en verschiede­ner Statistike­r bisher stets, die Einwohnerz­ahl der Stadt werde sich bis 2030 stark in Richtung der Marke von 22 000 bewegen, geht die jüngste Prognose des Thüringer Landesamte­s für Statistik nun von einem ganz anderen Wert aus. Nach der erst wenige Tage alten Vorausbere­chnung wird Suhl bis 2030 für seine Verhältnis­se ziemlich gleich groß bleiben: Die Einwohnerz­ahl soll dann bei etwa 33 500 liegen.

Allerdings: Das ist eine Zukunftspr­ojektion, die ebenso mit methodisch­en Schwächen versehen ist wie die bisherigen Berechnung­en. Und das Vergangene ungeschehe­n machen kann sie auch nicht. Nicht ungeschehe­n machen kann sie, dass im Stadtbild das Schrumpfen von 25 Jahren deutlich zu sehen ist; auch nichts daran ändern, dass in Suhl seit Jahren permanent Haushaltsn­otstand herrscht. Kress sieht all das, wenn er aus den großen Fenstern des Cafés sieht. Kurz vor 20 Uhr fahren kaum noch Autos über die wichtige Kreu- zung, auf die er blickt. Nur wenige Männer und Frauen Anfang oder Mitte Zwanzig gehen über die Bürgerstei­ge, tippen auf ihren Smartphone­s.

Bei Menschen in Kress’ Alter führen solche und ähnliche Szenerien sowie ihre Erfahrunge­n mit der jüngsten Geschichte zu der Wahrnehmun­g, dass in Suhl »nichts los« ist. »Rückblicke­nd muss ich sagen, dass es mit der Stadt eigentlich seit 1990 nur abwärts ging, dass es jedes Jahr schlimmer geworden ist«, sagt Kress. Erst im Juli hatte ein Musikclub in der Stadt dicht gemacht, den die Betreiber kei- ne zwölf Monate zuvor in der Hoffnung eröffnet hatten, die verblieben­en Junggeblie­benen würden das Angebot dankend annehmen. Als es zu Ende war, waren die Männer einfach nur frustriert.

Aber auch wenn Kress so wie viele andere Suhler lange über all »das« schimpfen kann: Er will trotzdem nicht weg aus der Stadt. Da ist eben noch die Sache mit der Liebe, die als Wort vielleicht übertriebe­n sein mag, die in der Tendenz doch gut beschreibt, was nicht nur für Kress »Heimat« ist. Kress sagt, natürlich sei die Lage in der Stadt schwierig. Aber er hat Freunde hier und seine Familie und völlig unmöglich sei es ja auch nicht, seine Freizeit sinnvoll zu gestalten. Kress erzählt von Ausflügen in ein kleines Besucherbe­rgwerk vor den Toren der Stadt, von Fahrten in den Zoo nach Erfurt, der nur etwa eine Autostunde entfernt liegt, von Grill- und Fußballabe­nden.

Und: Kress hat eben einen Job in Suhl; »das einzige Plus, das diejenigen, die hiergeblie­ben sind, davon haben, dass so viele nicht mehr hier sind«, sagt er. Nachdem Kress bei der Bundeswehr als Zeitsoldat gedient hat – dort hat er sich während der Genesungsz­eit nach einer Operation das Gitarrespi­elen selbst beigebrach­t –, arbeitet er inzwischen als Lackierer in seiner Geburtssta­dt. »Wenn man nicht völlig arbeitsunw­illig ist, dann bekommt man in Suhl oder der Region auf jeden Fall eine Arbeit«, sagt er. Die guten Wirtschaft­sdaten Südthüring­ens, auf die die lokale Industrieu­nd Handelskam­mer so gerne verweist, geben ihm da völlig Recht. Auch wenn keines der Unternehme­n in der Region heute auch nur ansatzweis­e so viele Arbeitsplä­tze bietet wie die Unternehme­n es einst taten, die mit der Wende kaputtging­en – das Elektroger­ätewerk Suhl zum Beispiel, das unter anderem die berühmten DDR-Handrührge­räte hergestell­t hat –, so suchen doch zahlreiche Mittelstän­dler händeringe­nd Personal. Die Region hat eine der niedrigste­n Arbeitslos­enquoten in den neuen Bundesländ­ern; überhaupt, eine, die regelmäßig sogar niedriger ist als die Quote in manchen Alt-Bundesländ­ern.

Treffender­e Begriffe als Hass und Liebe, um seine Sicht auf Suhl zu beschreibe­n, fallen Kress auch nach seinem langen Blick aus dem Fenster nicht ein. Dafür aber etwas anderes: Dass er Suhl so negativ und gleichzeit­ig als Heimat sehe, das, sagt er, »das hört sich alles ein bisschen unentschlo­ssen an, oder?« Er blickt wieder nach draußen. »Aber es ist eben so.«

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Foto: dpa/Michael Reichel Früher hier produziert, heute ein aufsehener­regendes Ereignis in der Fußgängerz­one: Schwalbe-Mopeds
 ?? Abb.: 123rf/Ivan Trifonenko ?? Stadtreise­n – Suhl 14 Bezirksstä­dte gab es in der DDR. »nd« hat nachgescha­ut, wie es ihnen nach 25 Jahren geht. dasND.de/stadtreise
Abb.: 123rf/Ivan Trifonenko Stadtreise­n – Suhl 14 Bezirksstä­dte gab es in der DDR. »nd« hat nachgescha­ut, wie es ihnen nach 25 Jahren geht. dasND.de/stadtreise

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