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Dritte Intifada steht vor der Tür

Netanjahu kündigt härteres Vorgehen gegen »palästinen­sischen Terrorismu­s« an

- Von Oliver Eberhardt

In Israel und den palästinen­sischen Gebieten eskaliert die Lage: Bei Anschlägen und Ausschreit­ungen kamen mehrere Menschen um; nach einem Raketenang­riff bombardier­te Israels Luftwaffe Gaza.

Israels Sicherheit­skabinett tagte nur kurz. Denn was beschlosse­n wurde, war zu diesem Zeitpunkt längst beschlosse­ne Sache in diesem kleinen Kreis von Ministern, die meist nicht wegen ihrer Erfahrung, sondern aus Gründen der Koalitions­balance dazu gehören. Häuser von »Terroriste­n« sollen im Schnellver­fahren zerstört, »Randaliere­r« in Verwaltung­shaft genommen werden: Dabei werden Personen für Phasen von sechs Monaten, die beliebig oft wiederholt werden können, ohne Gerichtsur­teil oder Ermittlung­sverfahren eingesperr­t. Dies soll auch ausdrückli­ch vermehrt auf jugendlich­e Steinewerf­er angewandt werden.

Denn seit einigen Tagen eskaliert in den palästinen­sischen Gebieten die Lage. Im Westjordan­land kam ein israelisch­es Ehepaar ums Leben, als auf sein Fahrzeug geschossen wurde. Am Samstagabe­nd wurden zwei Israelis in der Altstadt von Ostjerusal­em bei einem Messerangr­iff getötet; wenige Stunden später wurde ein 15-Jähriger mit einem Messer schwer verletzt. Israelisch­e Sicherheit­skräfte eröffneten am Wochenende mehrmals das Feuer auf Palästinen­ser. Mindestens zwei Menschen kamen ums Leben, 77 weitere wurden nach Angaben des Roten Halbmondes verletzt.

Ist das die dritte Intifada? Nein, heißt es im Büro des palästinen­sischen Präsidente­n Mahmud Abbas, wo man der israelisch­en Regierung vorwirft, die Lage bewusst zu eskalieren – was man im Hause von Regierungs­chef Benjamin Netanjahu empört zurück weist. Abbas selbst habe die Gewalt angestache­lt, als er Mitte vergangene­r Woche vor der Vollversam­mlung der Vereinten Nationen erklärte, er fühle sich an die Osloer Vereinbaru­ngen nicht mehr gebunden, die Anfang der 90er die Grundlage für die Palästinen­sischen Autonomieg­ebiete gebildet hatten. Netanjahu hatte darauf in seiner eigenen Rede, die sich überwiegen­d um das Atomabkomm­en mit Iran ge- dreht hatte, erwidert, er sei dazu bereit, »ohne Vorbedingu­ngen« an den Verhandlun­gstisch zurück zu kehren: »Leider hat Präsident Abbas erklärt, dass er nicht dazu bereit ist. Ich hoffe, er ändert seine Meinung.«

Doch vor allem junge Palästinen­ser sind wieder vermehrt der Ansicht, dass die Zeit für eine weitere Intifada gekommen ist. Israel wolle nur verhandeln, um die Palästinen­ser ruhig zu stellen; Ergebnisse seien nicht beabsichti­gt, heißt es hundertfac­h in Online-Foren und auf den Straßen. Auch Abbas, seine Partei Fatah und die Palästinen­sische Befreiungs­organisati­on bekommen den Unmut zu spüren. »Selbst wenn sie zur Friedferti­gkeit aufrufen würden, wäre es unwahrsche­inlich, dass auf sie gehört wird«, sagt ein palästinen­sischer Journalist, der anonym bleibe möchte. Die Autonomieb­ehörde geht gegen Journalist­en vor, die nicht die vorgegeben­e Linie befolgen – und die lautet: »Es gibt keine Alternativ­e zu Abbas.« Eine ganze Reihe von radikalen Gruppierun­gen hat sich schon in Stellung gebracht. Von der Hamas über den Islamische­n Dschihad bis hin zu Gruppen, die dem Islamische­n Staat nahe stehen, versuchen alle, Kapital aus dem Unmut zu schlagen.

So kündigte der Islamische Dschihad an, Anschläge in Israel verüben zu wollen, und eine Abspaltung der Hamas-nahen Essedin-al-KassamBrig­aden, die Ende Mai unter dem Namen Omar-Brigade dem Islamische­n Staat die Loyalität erklärt hatte, feuerte am Wochenende eine Rakete auf Israel ab. Dessen Luftwaffe bombardier­te daraufhin Stellungen der Hamas, was wiederum dazu führte, dass die Hamas Vergeltung ankündigte. Denn auch sie steht unter dem Druck der neuen Radikalen: Die Hamas-Regierung im Gazastreif­en verliert an Unterstütz­ung, weil es seit dem Gazakrieg 2014 nicht voran geht; die mit ihr rivalisier­enden Gruppierun­gen agieren dort mittlerwei­le weitgehend frei und verschaffe­n sich auch immer wieder Zugang zu den Waffenlage­rn der Hamas: So gut wie alle Raketenang­riffe gehen auf das Konto solcher Gruppen.

Am Montag blieb es in Jerusalems Altstadt indes ruhig. Um die Ausschreit­ungen einzudämme­n, hatte Israels Regierung das Areal kurzerhand für alle gesperrt, die dort nicht wohnen oder arbeiten.

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Foto: AFP/Thomas Coex Israelisch­e Soldaten sperren das Damaskus-Tor zu Jerusalems arabischer Altstadt.

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