Detektivarbeit am Seziertisch
Stralsunder Meeresbiologen wollen die Todesursachen von Walen oder Robben aufklären
Es stinkt und es fließt Blut: Am Meeresmuseum in Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) wurden dieser Tage tote Schweinswale seziert. Dies soll Aufschluss über die Todesursachen geben.
Mit einem scharfen Messer zieht Tierärztin Vivica von Vietinghoff sichere Schnitte durch die graue Oberhaut des Schweinswalkalbes. Unter der ledrigen Haut klafft weißes Fett – auch Blubber genannt – auseinander. »Die Blubberdicke zeigt den Ernährungszustand des Tieres an«, sagt die Tierärztin und setzt ein Messband an. Drei Zentimeter beträgt die Fettschicht – dieser Schweinswal scheint gut genährt.
Der kleine 99 Zentimeter lange weibliche Schweinswal war am 28. August von einem Fischer vor Kühlungsborn in einem Stellnetz gefunden und beim Meeresmuseum abgegeben worden. »Wir gehen davon aus, dass das Tier wahrscheinlich im Juni geboren ist«, berichtet die Ärztin. An der Außenhaut finden sich Einkerbungen, die von Netzen stammen könnten. Die Organe des Tieres sehen auf den ersten Blick nicht krankhaft verändert aus. »Nach der Ausschlussmethode können wir vermuten, dass sich der Meeressäuger im Netz verfangen hat und dort erstickt ist«, so von Vietinghoff.
Meeresbiologen des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) untersuchten ein Dutzend Schweinswalkadaver und eine tote Kegelrobbe, die 2014 und 2015 am Strand von MecklenburgVorpommern oder in Netzen gefunden wurden. Mit der jährlichen Sektion wollen die Wissenschaftler nicht nur Daten über mögliche Todesursachen der einzelnen Tiere, sondern auch Informationen über eventuelle Auffälligkeiten in den Populationen sammeln. Vom Ernährungszustand der tot gefundenen Tiere könnten beispielsweise Rückschlüsse auf die Nahrungssituation der Meeressäuger gezogen werden, sagt der Kurator für Meeressäuger, Michael Dähne. Auch krankhafte Veränderungen an Organen und Geweben können so erkannt werden.
Zunächst landen die genommenen Gewebeproben der Organe im Kühlarchiv des Meeresmuseums. Die Pro- ben stehen dort für laufende oder künftige Forschungsprojekte zur Verfügung. Derzeit untersucht das Meeresmuseum zusammen mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover, dem Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung in Büsum (Schleswig-Holstein) und der Universität Lüttich (Belgien) das Fressverhalten der Schweinswale und deren Fischgründe in der Ostsee. Die Italienerin Marianna Pinzone, die dafür am Meeresmuseum forscht, verfolgt die Sektion mit Spannung und dokumentiert jeden Schritt mit der Kamera.
Eine Hauptursache für den Tod von Schweinswalen ist nach Einschät- zung der Forscher der nicht beabsichtigte Fang durch Fischer. »Untersuchungen gehen davon aus, dass zwischen zehn und 60 Prozent der totgefundenen Tiere als ungewollter Beifang sterben«, sagt Dähne. Genauer ließen sich die Raten kaum bestimmen. Erschwerend komme hinzu, dass sich Spuren der Netze meist nur an »frischen« toten Tieren finden lassen. Diese Tiere würden meist von Fischern abgegeben, die die Kadaver in Stellnetzen entdeckten. Strandfunde seien meist stärker verwest, eine genaue Bestimmung der Ursache deshalb selten möglich.
Diese Differenzierung ist dem Meeresbiologen wichtig. Die Fischer seien keine Feinde, sagt Dähne. »Wir wollen die Tradition der Fischerei erhalten. Aber dafür sind Änderungen am Fanggeschirr erforderlich.« Vor allem der östliche Bestand der Schweinswale gilt als bedroht. Ergebnissen des internationalen Forschungsprojektes Sambah zufolge leben nur rund 450 Tiere in der zentralen Ostsee, aber mehr als 11 000 im westlichen Teil des Meeres. Jeder Beifang sei vor allem für den östlichen Bestand ein Beifang zu viel, sagt Dähne. Im Abkommen zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee sind Beifanggrenzen festgelegt. Sie sollten generell nicht über einem Prozent liegen, so Dähne. »Davon sind wir weit entfernt.«
Im vergangenen Jahr zählten die Forscher an der Küste MecklenburgVorpommerns 35 tote Schweinswale, elf verendete Kegelrobben und vier Seehunde. Das entspricht in etwa dem statistischen Mittel der vergangenen zehn Jahre, sagt Dähne. Als Ausreißer galt das Jahr 2007 mit 77 Totfunden. Schwankungen zwischen den Jahren hängen laut Dähne zumeist mit veränderten Fischbeständen – ihrer Nahrung – und wechselnden Wetterlagen zusammen. Gerade bei Westwinden landen Kadaver an den Küsten von Mecklenburg-Vorpommern. Deshalb sei es problematisch, von den Totfunden auf Populationsstärken zu schließen.