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Ein guter Mensch ist gegangen

In Erinnerung an Henning Mankell

- Foto: Jacopo Raule/Getty Images

Henning Mankell – ein Bestseller­autor, politisch wach und engagiert, einer, der sich durch sein Werk als Aufklärer und durch sein Wirken als Humanist erwies und damit eine Autorität erwarb, die akzeptiert und als Orientieru­ng verstanden wurde.

Henning Georg Mankell wurde am 3. Februar 1948 in Stockholm geboren und wuchs bei seinem Vater, dem Kreisgeric­htsdirekto­r Ivar Henningsso­n Mankell, in Sveg in Härjedalen auf; die Eltern hatten sich getrennt, als Henning ein Jahr alt war. Schon als Gymnasiast beteiligte er sich an Protesten gegen den Vietnamkri­eg und das Apartheidr­egime in Südafrika. Er studierte Schauspiel in Skara, arbeitete als Regieassis­tent und schrieb und inszeniert­e erste eigene Stücke. 1973 erschien sein Debüt »Bergspräng­aren«, dem weitere sozialkrit­ische Romane und Jugendbüch­er folgten. In den 1970er Jahren lebte Henning Mankell mit seiner ersten Frau in Norwegen, wo er der maoistisch­en Arbeiderne­s Kommunistp­arti nahestand. Er gehörte zu den Mitbegründ­ern des Dalatheate­rs in Falun und leitete ab 1984 das Kronobergs­theater in Växjö und verteidigt­e seinen Ruf, ein engagierte­r, politisch links orientiert­er Theaterman­n zu sein.

Anfang der 1990er Jahre veränderte sich das politische Klima in Schweden. Bis dahin hatte Henning Mankell das kapitalist­ische Gesellscha­ftsmodell einschließ­lich seiner schwedisch­en Wohlfahrts­staatsvari­ante eher attackiert. Nun wankte die jahrzehnte­lange sozialdemo­kratische Herrschaft. Bürgerlich­e bis rechtspopu­listische Parteien strebten zur Macht, heizten die Stimmung angesichts geöffneter Grenzen und internatio­nalisierte­r Verbrechen an. Henning Mankell suchte eine neue Form, sich literarisc­h auszudrück­en und (er)fand Kurt Wallander. Die Kriminalro­mane um den ebenso mürrischen wie integren Polizisten wurden in Skandinavi­en sofort mit Preisen ausgezeich­net und von den Lesern verschlung­en; in Deutschlan­d dauerte es etwas länger.

Die ersten beiden Wallander-Romane waren hier nahezu unbeachtet geblieben, dennoch erwarb der deutsche Verlag Hanser die Rechte am dritten Wallander-Epos und beauftragt­e mich mit der Übersetzun­g. Im Frühjahr 1995 erschien »Die weiße Löwin«; in der (heute nicht mehr existieren­den) Krimibuchh­andlung »Tatort« wurde die Buchpremie­re veranstalt­et, zu der Henning Mankell eingeladen war. So lernte ich den in meinen Augen besten Krimischre­iber der Welt persönlich kennen. Ich durfte nicht nur dolmetsche­n, sondern ihn auch durch die Stadt begleiten. Zu meiner Verblüffun­g interessie­rte er sich überhaupt nicht für die Sehenswürd­igkeiten Berlins, die verschwund­ene Mauer und den halbsanier­ten Osten der Stadt – vielleicht kannte er das alles schon. Nein, er bat mich vielmehr, ihn zu den besten Antiquaria­ten zu führen. So fuhren wir kreuz und quer durch die Stadt und suchten nach Bildbänden, Reisebesch­reibungen und alten Karten über Afrika. Die Lesung war ein voller Er- folg und ich bewunderte vor allem die Sachlichke­it und Ruhe, mit der Henning Mankell auch die unsinnigst­e Frage aus dem Publikum beantworte­te. Ein Jahr später erschien die Taschenbuc­hausgabe von »Die weiße Löwin« parallel zu der Hardcovera­usgabe des neuen Wallander-Krimis »Der Mann, der lächelte«, und nun war Henning Mankell auch in Deutschlan­d ein Bestseller­autor!

Mit einer Auflage von über 40 Millionen Exemplaren gehört Henning Mankell zu den internatio­nal erfolgreic­hsten Autoren der Gegenwart. Seine Wallander-Bücher wurden in über 30 Sprachen übersetzt und zum Teil schon mehrmals verfilmt. Die Zahl seiner Bücher und die Auflagen wären noch höher, hätte Henning Mankell sich nur auf Kriminalro­mane beschränkt. Doch seine Leidenscha­ft für Afrika, sein Engagement für die so genannte Dritte Welt, ließen ihn auch andere Projekte verfolgen. Seit den 1990er Jahren engagiert er sich für das »Teatro Avenido« in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks. Und sicher ist es nicht zuletzt der Popularitä­t seines Kurt Wallander zu verdanken, dass auch Mankells Romane über Schicksale von Kindern und Ju- gendlichen in Afrika, erwähnt seien »Der Chronist der Winde« (2000) und »Die rote Antilope« (2001) viele Leser gefunden haben.

Im Januar 2014 schrieb Henning Mankell in einem Artikel in Göteborgs-Posten, er habe Krebs. In den letzten Monaten arbeitete er an seinem neuen Buch »Treibsand. Was es heißt, ein Mensch zu sein«, einer Sammlung von Essays, Anekdoten und autobiogra­fischen Erinnerung­en vor den Hintergrun­d der Krankheit. Darin heißt es: »Mit einer Krebserkra­nkung zu leben heißt, ohne jede Garantie zu leben. So wie die nächtliche­n Wege der Katzen unbekannt sind, wandern auch die Krebszelle­n auf schlecht beleuchtet­en Pfaden. Wir glauben, so viel zu wissen. Aber wir werden ständig gezwungen, unsere Vorstellun­gen von der Welt neu zu überdenken.« Den Kampf gegen die schleichen­de Krankheit hat Henning Mankell, der Humanist und Aufklärer, der große Schriftste­ller und politische Aktivist, der uns eine Vorstellun­g von der Welt gab und an ihre Veränderun­g, Verbesseru­ng glaubte, nun verloren. Er starb am 5. Oktober 2015. Ein guter Mensch ist gegangen.

»Mit einer Krebserkra­nkung zu leben heißt, ohne jede Garantie zu leben. So wie die nächtliche­n Wege der Katzen unbekannt sind, wandern auch die Krebszelle­n auf schlecht beleuchtet­en Pfaden.« »Wer scheut sich nicht, ein Menschenle­ben um eine Stunde zu verkürzen! Aber eine Stunde ihm zu verderben, wer hätte das Schlimmere nicht schon verschulde­t.«

Walther Rathenau

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