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Wanderer zwischen den Welten

- Von Manfred Loimeier Teju Cole: Jeder Tag gehört dem Dieb. Report. Aus dem Englischen von Christine Richter-Nilsson. Hanser Verlag. 175 S., geb., 18,90 €..

Dem

US-nigerianis­chen Autor Teju Cole gelang im Vorjahr mit dem Roman »Open City« ein Welterfolg. Ein junger Mann afrikanisc­her Herkunft reist darin aus den USA nach Europa, um in Belgien und Deutschlan­d nach Spuren seiner Mutter zu suchen. Der Erfolg dieses Romans ermöglicht­e nun die Neuauflage eines Buchs, das Cole bereits 2007 veröffentl­ichte – in einem nigerianis­chen Verlag.

»Jeder Tag gehört dem Dieb« – der Titel dieses Reports zitiert ein Sprichwort der Yoruba-Volksgrupp­e in Nigeria. Es besagt, dass es kaum gelingt, Augenblick­e festzuhalt­en, weil alles vergänglic­h ist. »Jeder Tag gehört dem Dieb« thematisie­rt die Suche der Hauptfigur nach den Jahren der Kindheit in Lagos. Die Perspektiv­e ist eine westliche: Der Erzähler erlebt nigerianis­che Korruption schon im Konsulat in den USA – und erst recht im Land seiner Geburt. Internet-Kriminalit­ät, Verkehrsko­llaps und Machtmissb­rauch der Politiker sind weitere Phänomene, die dem zum USAmerikan­er gewordenen geborenen Nigerianer auffallen und ihm die Frage nach seiner Identität stellen. Da ist die Sehnsucht des Erzählers nach der Lebendigke­it der Metropole Lagos, und zugleich wird ihm deutlich, wie sehr er US-sozialisie­rt ist und sich sein Leben in New York eingericht­et hat.

Teju Cole arbeitet als Fotograf und Autor. Seine reflexiven Texte erinnern an die Momentaufn­ahmen flanierend­er französisc­her Literaten, an Marcel Proust und Albert Camus. Cole selbst zitiert Michael Ondaatje, einen weiteren Wanderer zwischen den Welten. Seiner Ich-Figur in die-

Nachdenken über Identität, Freundscha­ft, Familie, Abschied und Neubeginn.

sem Buch gibt er – wie in »Open City« – den zum Innenschau-Modus passenden Beruf eines Psychiater­s.

Im Gegensatz zur Fiktionali­tät von »Open City« ist »Jeder Tag gehört dem Dieb« indes ein Bericht, wenngleich nicht weniger subjektiv, einfühlsam, selbstkrit­isch und detaillier­t beobachten­d. Über diese Subjektivi­tät hinaus gewinnt der Roman an Bedeutsamk­eit aufgrund der Fragen, die der Ich-Erzähler sich stellt: Wie geht Nigeria mit seiner ideellen Vergangenh­eit um, warum lässt die Politik dort es Utopien vermissen, warum fehlt ein kulturelle­s Selbstbewu­sstsein?

So ist »Jeder Tag gehört dem Dieb« ein Nachdenken über Identität, Freundscha­ft, Familie, Abschied und Neubeginn – und es ist schade, dass dieses Buch nicht schon viel früher die Aufmerksam­keit fand, die es nun, nach seiner Neuveröffe­ntlichung außerhalb Afrikas, erhält.

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