Wolkenloser Himmel über Deutschland
Daniel Barenboim und Andrea Moses mit Wagners Meistersingern am Schillertheater in Berlin
Bei dieser Meistersingertruppe, die Andrea Moses für die Neuinszenierung von Wagners Handwerker- bzw. Nationaloper gecastet hat, kommen etliche Lebensjährchen zusammen. Ein »Who is Who« vom Feinsten marschiert da auf: Siegfried Jerusalem, Graham Clark, Reiner Goldberg, Franz Mazura. Es ist unglaublich, wie der mit über 90 noch mitmischt und Eindruck macht (wenn man den im Zuschauerraum sitzenden Peter Schreier und den Altintendanten Hans Pischner noch mitrechnen würde, kämen auf einen Schlag nochmal über hundert Lebensjahre dazu). Das war eine wirklich liebevoll gemeinte und verblüffend gut gemachte Zutat zu diesen Festtags-Meistersingern im Berliner Schillertheater. Die ja eigentlich mal für die Wiedereröffnung der Schmuckschatulle »Unter den Linden« in der Hauptstadt gedacht waren. Die zieht sich aber womöglich noch länger hin, als die des Stadtschlosses, das schon mal die Kulisse für die aktuelle Festwiese abgibt.
Der dritte Akt hat es freilich auch ohne diese Reminiszenz an die Machtzentrale der Hohenzollern in sich. Es ist halt so eine Sache mit der von Hans Sachs beschworenen heiligen deutschen Kunst. Vor allem, wenn man sie in einen Gegensatz zum welschen (sprich französischen, jedenfalls undeutschen) Dunst bringt, wie es Wagner seinem Schusterpoeten in den Mund legt. Peter Konwitschny hatte an der Stelle einst kühn die Musik unterbrochen und einen historisch-politischen Diskurs zwischen den Meistern vom Zaun gebrochen. Katharina Wagner hatte bei Sachs am Ende den Umschlag vom Reformer zum Reaktionär diagnostiziert. Im Gegensatz dazu lässt ihn Andrea Moses jetzt unbehelligt ausreden. Wolfgang Koch spielt und singt einen äußerst selbstbewussten, leicht autoritären Reformer, den bei der persönlichen Huldigung des Volkes mit dem »Wacht auf! Es nahet gen den Tag«-Chor nicht die Spur von Verlegenheit anwandelt, der das spurlose Verschwinden von Beckmesser nach dessen Scheitern mit seinem Preislied einfach so hinnimmt und der am Ende, ganz nach dem Motto: »das wird man doch mal sagen dürfen« verfährt und dabei andächtig belauscht wird. Bei Benedikt von Peter in Bremen, hat das Volk da noch ziemlich konsterniert das Weite gesucht.
Natürlich darf man, soll man, muss man gar über das Bewahrenswerte und das »Woher wir kommen«, also die Identität und die »Leitkultur« reden. Gerade heute und auch offensiv und unter dem schwarz-rot-goldnen Banner. In dieser Inszenierung und der Bühne von Jan Pappelbaum fungiert es als optisches Leitmotiv: als Fahne am Stock, als XL Variante, als Schärpe. So viel Schwarz Rot Gold auf einer Opernbühne war selten! Dazu dann die zu Firmenlogos avancierten Familiennamen der Meister. Made in Germany hat halt viele Namen. Und die sponsern (hier) auch die Sangeskunst, samt der ziemlich abgefahrenen Variante von Deutschland sucht die Superbraut. Mit einer so emanzipierten Eva, wie Julia Kleiner sie singt und spielt, geht das natürlich nicht so ganz auf. Aber diese Klippe wird ja meistens übergangen – sonst müsste man eigentlich eine traumatisierte junge Frau zeigen wie neulich in Bremen. Von einer Eva, die bei Moses kein Problem hat, in der Kirche ihren Bräutigam zu küssen, oder ganz selbstverständlich zur Zigarette greift, kann man sich kaum vorstellen, dass sie sich an Beckmesser hätte verschachern lassen. Man fragt sich, wie der eine Meister das seinen vermutlich saudiarabischen Sitznachbarn auf der Gästetribüne hinter vorgehaltener Hand wohl erklärt hat. Seltsame Art von interkulturellem Dialog. Überhaupt ist das eine merkwürdige Bürgerrepublik, wo ein Rabbi auf flinken Füßen an einer Schlägerei vorbeihuscht, bei der Fahnen (vom Fußballklub bis Regenbogen) geschwungen werden, aber die wirklich bedrohlichen Schläger nicht dabei sind. Selbst da geht es vergleichsweise irgendwie gemütlich zu. Bis sich dann alle um den zu Boden gegangenen Nachtwächter kümmern.
Wenn man die Meistersinger so nahezu unberührt von ihrer Rezeptionsgeschichte, ja von dem Teil der Geschichte, die noch Gegenwart ist, erzählt wie an diesem dritten und vierten Oktober, dann bleiben mehr Fragen offen, als diesem Stück wirklich gut tun. Warum die Premiere aufgeteilt und der dritte (Staats-)Akt mit landsmannschaftlichen Fanfaren, Menschen im Sonntagsstaat, Gästen, Schlosskulisse und der Rede zur Leitkultur am Tag nach der Prügelei separat nachgereicht wurde, ist da noch die geringste Frage. Die Antwort bleibt
Natürlich darf man, soll man, muss man gar über das Bewahrenswerte und das »Woher wir kommen«, also die Identität und die »Leitkultur« reden.
aber eh ohne Belang, weil das nur zur Premiere der Fall war.
Auf der Ebene der Personenregie bietet der Abend jede Menge Packendes – vor allem im ersten Akt und immer, wenn die Meister mit von der Partie sind. Beckmessers Auftritt in der Schusterstube, bei dem er sich mit dem geklauten Stichwortzettel selbst ein Bein stellt, hat man allerdings schon spannender gesehen. Hier kramt Markus Werba eher plan- und ziellos in rumliegenden Büchern einer nobel ausgestatteten Privatbibliothek herum, die mehr auf Wissenschaftler, denn auf Schusterpoeten deutet.
Neben dem herausragenden Sachs und dessen Widersacher Beckmesser, kommt es vor allem auf den Walther von Stolzing an. Und da bietet Klaus Florian Vogt genau den Schöngesang, für den er bekannt und geschätzt ist – auf der Festwiese sitzt alles wieder und glänzt und strahlt. Wie der blaue Festtagshimmel am Ende.
Weiter: 7.10., 11.10.