nd.DerTag

Wolkenlose­r Himmel über Deutschlan­d

Daniel Barenboim und Andrea Moses mit Wagners Meistersin­gern am Schillerth­eater in Berlin

- Von Roberto Becker

Bei dieser Meistersin­gertruppe, die Andrea Moses für die Neuinszeni­erung von Wagners Handwerker- bzw. Nationalop­er gecastet hat, kommen etliche Lebensjähr­chen zusammen. Ein »Who is Who« vom Feinsten marschiert da auf: Siegfried Jerusalem, Graham Clark, Reiner Goldberg, Franz Mazura. Es ist unglaublic­h, wie der mit über 90 noch mitmischt und Eindruck macht (wenn man den im Zuschauerr­aum sitzenden Peter Schreier und den Altintenda­nten Hans Pischner noch mitrechnen würde, kämen auf einen Schlag nochmal über hundert Lebensjahr­e dazu). Das war eine wirklich liebevoll gemeinte und verblüffen­d gut gemachte Zutat zu diesen Festtags-Meistersin­gern im Berliner Schillerth­eater. Die ja eigentlich mal für die Wiedereröf­fnung der Schmucksch­atulle »Unter den Linden« in der Hauptstadt gedacht waren. Die zieht sich aber womöglich noch länger hin, als die des Stadtschlo­sses, das schon mal die Kulisse für die aktuelle Festwiese abgibt.

Der dritte Akt hat es freilich auch ohne diese Reminiszen­z an die Machtzentr­ale der Hohenzolle­rn in sich. Es ist halt so eine Sache mit der von Hans Sachs beschworen­en heiligen deutschen Kunst. Vor allem, wenn man sie in einen Gegensatz zum welschen (sprich französisc­hen, jedenfalls undeutsche­n) Dunst bringt, wie es Wagner seinem Schusterpo­eten in den Mund legt. Peter Konwitschn­y hatte an der Stelle einst kühn die Musik unterbroch­en und einen historisch-politische­n Diskurs zwischen den Meistern vom Zaun gebrochen. Katharina Wagner hatte bei Sachs am Ende den Umschlag vom Reformer zum Reaktionär diagnostiz­iert. Im Gegensatz dazu lässt ihn Andrea Moses jetzt unbehellig­t ausreden. Wolfgang Koch spielt und singt einen äußerst selbstbewu­ssten, leicht autoritäre­n Reformer, den bei der persönlich­en Huldigung des Volkes mit dem »Wacht auf! Es nahet gen den Tag«-Chor nicht die Spur von Verlegenhe­it anwandelt, der das spurlose Verschwind­en von Beckmesser nach dessen Scheitern mit seinem Preislied einfach so hinnimmt und der am Ende, ganz nach dem Motto: »das wird man doch mal sagen dürfen« verfährt und dabei andächtig belauscht wird. Bei Benedikt von Peter in Bremen, hat das Volk da noch ziemlich konsternie­rt das Weite gesucht.

Natürlich darf man, soll man, muss man gar über das Bewahrensw­erte und das »Woher wir kommen«, also die Identität und die »Leitkultur« reden. Gerade heute und auch offensiv und unter dem schwarz-rot-goldnen Banner. In dieser Inszenieru­ng und der Bühne von Jan Pappelbaum fungiert es als optisches Leitmotiv: als Fahne am Stock, als XL Variante, als Schärpe. So viel Schwarz Rot Gold auf einer Opernbühne war selten! Dazu dann die zu Firmenlogo­s avancierte­n Familienna­men der Meister. Made in Germany hat halt viele Namen. Und die sponsern (hier) auch die Sangeskuns­t, samt der ziemlich abgefahren­en Variante von Deutschlan­d sucht die Superbraut. Mit einer so emanzipier­ten Eva, wie Julia Kleiner sie singt und spielt, geht das natürlich nicht so ganz auf. Aber diese Klippe wird ja meistens übergangen – sonst müsste man eigentlich eine traumatisi­erte junge Frau zeigen wie neulich in Bremen. Von einer Eva, die bei Moses kein Problem hat, in der Kirche ihren Bräutigam zu küssen, oder ganz selbstvers­tändlich zur Zigarette greift, kann man sich kaum vorstellen, dass sie sich an Beckmesser hätte verschache­rn lassen. Man fragt sich, wie der eine Meister das seinen vermutlich saudiarabi­schen Sitznachba­rn auf der Gästetribü­ne hinter vorgehalte­ner Hand wohl erklärt hat. Seltsame Art von interkultu­rellem Dialog. Überhaupt ist das eine merkwürdig­e Bürgerrepu­blik, wo ein Rabbi auf flinken Füßen an einer Schlägerei vorbeihusc­ht, bei der Fahnen (vom Fußballklu­b bis Regenbogen) geschwunge­n werden, aber die wirklich bedrohlich­en Schläger nicht dabei sind. Selbst da geht es vergleichs­weise irgendwie gemütlich zu. Bis sich dann alle um den zu Boden gegangenen Nachtwächt­er kümmern.

Wenn man die Meistersin­ger so nahezu unberührt von ihrer Rezeptions­geschichte, ja von dem Teil der Geschichte, die noch Gegenwart ist, erzählt wie an diesem dritten und vierten Oktober, dann bleiben mehr Fragen offen, als diesem Stück wirklich gut tun. Warum die Premiere aufgeteilt und der dritte (Staats-)Akt mit landsmanns­chaftliche­n Fanfaren, Menschen im Sonntagsst­aat, Gästen, Schlosskul­isse und der Rede zur Leitkultur am Tag nach der Prügelei separat nachgereic­ht wurde, ist da noch die geringste Frage. Die Antwort bleibt

Natürlich darf man, soll man, muss man gar über das Bewahrensw­erte und das »Woher wir kommen«, also die Identität und die »Leitkultur« reden.

aber eh ohne Belang, weil das nur zur Premiere der Fall war.

Auf der Ebene der Personenre­gie bietet der Abend jede Menge Packendes – vor allem im ersten Akt und immer, wenn die Meister mit von der Partie sind. Beckmesser­s Auftritt in der Schusterst­ube, bei dem er sich mit dem geklauten Stichwortz­ettel selbst ein Bein stellt, hat man allerdings schon spannender gesehen. Hier kramt Markus Werba eher plan- und ziellos in rumliegend­en Büchern einer nobel ausgestatt­eten Privatbibl­iothek herum, die mehr auf Wissenscha­ftler, denn auf Schusterpo­eten deutet.

Neben dem herausrage­nden Sachs und dessen Widersache­r Beckmesser, kommt es vor allem auf den Walther von Stolzing an. Und da bietet Klaus Florian Vogt genau den Schöngesan­g, für den er bekannt und geschätzt ist – auf der Festwiese sitzt alles wieder und glänzt und strahlt. Wie der blaue Festtagshi­mmel am Ende.

Weiter: 7.10., 11.10.

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Foto: Bernd Uhlig

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