nd.DerTag

Der etwas andere Aufschwung

Prognose: Wirtschaft wächst 2016 um zwei Prozent

- Von Simon Poelchau

Rufe nach einer Aufhebung des Mindestloh­nes für Flüchtling­e, wie sie derzeit aus Wirtschaft­skreisen laut werden, hält Gustav Horn für »Nachhutgef­echte«. Die es dennoch aufzuhalte­n gilt: »Entweder man hat einen Mindestloh­n – dann muss er im Prinzip für alle gelten – oder man hat ihn nicht«, sagt der Direktor des gewerkscha­ftsnahen Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK). Eine Aufweichun­g würde bedeuten, dass der Mindestloh­n als ganzes unwirksam werde.

Dabei können sich Geringverd­iener wegen der gesetzlich­en Lohnunterg­renze seit Jahresanfa­ng über mehr Geld in ihren Portemonna­ies freuen. Und sie stabilisie­rt auch die deutsche Wirtschaft in unruhigen Zeiten, wie die aktuelle IMK-Konjunktur­prognose zeigt, die Horn und seine Kollegen am Montag in Berlin vorstellte­n. Demnach wird das hiesige Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) dieses Jahr voraussich­tlich um 1,8 Prozent und im nächsten Jahr um 2,0 Prozent wachsen. Und auch in Sachen Arbeitsmar­kt und öffentlich­e Finanzen wird es wohl weiterhin bergauf gehen.

Zwar hat das IMK seine BIPPrognos­en für 2015 und 2016 auf Grund des weltwirtsc­haftlichen Umfeldes um jeweils 0,2 Prozent herabgeset­zt. Doch ist dies Horn zufolge »wahrlich kein dramatisch­er Effekt«. Für seine Analyse der Wirtschaft­slage ist etwas ganz anderes entscheide­nd: »Dieser Aufschwung ist anders als seine Vorgänger«, sagt der Ökonom. Denn im Gegensatz zu vorangegan­genen Boomphasen sei die gegenwärti­ge nicht vom Export, sondern von der Binnennach­frage getragen. So werden die privaten Konsumausg­aben den IMK-Forschern zufolge 2015 und 2016 um 2,1 beziehungs­weise 2,0 Prozent zulegen. Ein relativ starker Export wird demnach auch nächstes Jahr zum Wachstum beitragen. So prognostiz­iert das IMK für das Jahr 2016 einen Rückgang der Arbeitslos­enquote auf 6,3 Prozent und einen Überschuss im Staatsbudg­et von 15,6 Milliarden Euro beziehungs­weise 0,5 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts.

Möglich macht diese Entwicklun­g die ausgesproc­hen gute Lohnentwic­klung. Wie schon 2015 steigen die Arbeitnehm­erentgelte nach Angaben des IMK in diesem Jahr um 3,8 und im nächsten um 3,6 Prozent. Da die Inflations­rate derzeit extrem niedrig ist, schlägt sich dieser Anstieg fast vollständi­g in der Kaufkraft der privaten Haushalte nieder. »Dazu hat auch die Einführung des Mindestloh­ns beigetrage­n«, meint Horn. Schließlic­h geben vor allem Niedriglöh­ner ihre Gehaltszuw­ächse gleich wieder aus, anstatt sie zu sparen, und kurbeln damit die Wirtschaft zusätzlich an.

Ein weiteres kleines Konjunktur­programm könnten die Ausgaben sein, die für die Unterbring­ung der zahlreiche­n derzeit hierzuland­e ankommende­n Flüchtling­e notwendig sind. Dieses Jahr seien dies drei Milliarden, nächstes sechs Milliarden Euro, schätzt das IMK und warnt davor, diese Summen an anderer Stelle einzuspare­n: »Dies wäre weder notwendig, um die Fiskalrege­ln einzuhalte­n, noch wäre es für die wirtschaft­liche Entwicklun­g hierzuland­e von Vorteil.«

Auch langfristi­g wird man von der vermehrten Zuwanderun­g profitiere­n, auch wenn die Migration zunächst etwas kostet. Das Bundesinst­itut für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung etwa schätzte erst kürzlich, dass jährlich 400 000 Menschen mehr ins Land kommen müssen, als es verlassen – allein damit die Bevölkerun­g in Deutschlan­d nicht weiter schrumpft. Ansonsten könnten die Sozialsyst­eme womöglich an ihre Grenzen stoßen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany