Der etwas andere Aufschwung
Prognose: Wirtschaft wächst 2016 um zwei Prozent
Rufe nach einer Aufhebung des Mindestlohnes für Flüchtlinge, wie sie derzeit aus Wirtschaftskreisen laut werden, hält Gustav Horn für »Nachhutgefechte«. Die es dennoch aufzuhalten gilt: »Entweder man hat einen Mindestlohn – dann muss er im Prinzip für alle gelten – oder man hat ihn nicht«, sagt der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Eine Aufweichung würde bedeuten, dass der Mindestlohn als ganzes unwirksam werde.
Dabei können sich Geringverdiener wegen der gesetzlichen Lohnuntergrenze seit Jahresanfang über mehr Geld in ihren Portemonnaies freuen. Und sie stabilisiert auch die deutsche Wirtschaft in unruhigen Zeiten, wie die aktuelle IMK-Konjunkturprognose zeigt, die Horn und seine Kollegen am Montag in Berlin vorstellten. Demnach wird das hiesige Bruttoinlandsprodukt (BIP) dieses Jahr voraussichtlich um 1,8 Prozent und im nächsten Jahr um 2,0 Prozent wachsen. Und auch in Sachen Arbeitsmarkt und öffentliche Finanzen wird es wohl weiterhin bergauf gehen.
Zwar hat das IMK seine BIPPrognosen für 2015 und 2016 auf Grund des weltwirtschaftlichen Umfeldes um jeweils 0,2 Prozent herabgesetzt. Doch ist dies Horn zufolge »wahrlich kein dramatischer Effekt«. Für seine Analyse der Wirtschaftslage ist etwas ganz anderes entscheidend: »Dieser Aufschwung ist anders als seine Vorgänger«, sagt der Ökonom. Denn im Gegensatz zu vorangegangenen Boomphasen sei die gegenwärtige nicht vom Export, sondern von der Binnennachfrage getragen. So werden die privaten Konsumausgaben den IMK-Forschern zufolge 2015 und 2016 um 2,1 beziehungsweise 2,0 Prozent zulegen. Ein relativ starker Export wird demnach auch nächstes Jahr zum Wachstum beitragen. So prognostiziert das IMK für das Jahr 2016 einen Rückgang der Arbeitslosenquote auf 6,3 Prozent und einen Überschuss im Staatsbudget von 15,6 Milliarden Euro beziehungsweise 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
Möglich macht diese Entwicklung die ausgesprochen gute Lohnentwicklung. Wie schon 2015 steigen die Arbeitnehmerentgelte nach Angaben des IMK in diesem Jahr um 3,8 und im nächsten um 3,6 Prozent. Da die Inflationsrate derzeit extrem niedrig ist, schlägt sich dieser Anstieg fast vollständig in der Kaufkraft der privaten Haushalte nieder. »Dazu hat auch die Einführung des Mindestlohns beigetragen«, meint Horn. Schließlich geben vor allem Niedriglöhner ihre Gehaltszuwächse gleich wieder aus, anstatt sie zu sparen, und kurbeln damit die Wirtschaft zusätzlich an.
Ein weiteres kleines Konjunkturprogramm könnten die Ausgaben sein, die für die Unterbringung der zahlreichen derzeit hierzulande ankommenden Flüchtlinge notwendig sind. Dieses Jahr seien dies drei Milliarden, nächstes sechs Milliarden Euro, schätzt das IMK und warnt davor, diese Summen an anderer Stelle einzusparen: »Dies wäre weder notwendig, um die Fiskalregeln einzuhalten, noch wäre es für die wirtschaftliche Entwicklung hierzulande von Vorteil.«
Auch langfristig wird man von der vermehrten Zuwanderung profitieren, auch wenn die Migration zunächst etwas kostet. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung etwa schätzte erst kürzlich, dass jährlich 400 000 Menschen mehr ins Land kommen müssen, als es verlassen – allein damit die Bevölkerung in Deutschland nicht weiter schrumpft. Ansonsten könnten die Sozialsysteme womöglich an ihre Grenzen stoßen.