Tolle Fassaden, doch oft fehlt dahinter das Leben
Zu »Wessen Einheit?«, Wochenendbeilage 2./3.10.
Nicht nur die Dissidenten, auch jeden loyalen DDR-Bürger haben die verfallenden Innenstädte im Osten tief bedrückt. Die begrenzte Wirtschaftskraft des kleinen Landes reichte eben nicht aus, um neben dem Wohnungsbauprogramm in Plattenbauweise auf der grünen Wiese auch noch die lange aufgeschobene Innenstadtsanierung zu tragen. Damit waren die Weichen gestellt: gegen die historischen Innenstädte, abseits von Ost-Berlin. Die gute Nachricht im Kontext: 1989/90 war wenigstens noch da, was vielerorts in der BRD in den 50er und 60er Jahren rigoros abgerissen oder zusammengeschoben wurde.
Woraus resultierte die finanzielle Knappheit der DDR auf diesem Sektor? Die real existierende, soziale Orientierung des Staates DDR brachte hohe Kosten mit sich. Erhebliche Mittel waren durch die unsinnige Wettrüstung beider Systeme gebunden. Der politisch gewollte, innerdeutsche Handel brachte nur unzureichende Erlöse ein. Die BRDWirtschaft zahlte lediglich Dumpingpreise für DDR-Produkte, auch deshalb fehlte Geld für die erweiterte Reproduktion. Eine frei konvertierbare Währung wurde der DDR sowohl von der Sowjetunion als auch von der BRD vor 1990 nicht zugestanden. So konnte nur gekleckert werden, wo hätte geklotzt werden müssen.
Die DDR litt Zeit ihrer Existenz unter dem wirtschaftlichen Druck, der von der BRD ausgeübt wurde. Man schenkte sich nichts. Entgegen anderslautender Bekundungen wurde vom Westen aus viel getan, das Leben der ostdeutschen Landsleute zu erschweren. Ein Beispiel dafür war die Nicht-Anerkennung einer DDR-Staatsbürgerschaft, trotz des 1973 abgeschlossenen Grundlagenvertrages über die bilateralen Beziehungen.
Heute wird nun im Kontext mit dem Jahrestag der deutschen Einheit die Innenstadtsanierung in Ostdeutschland gefeiert. Sie stellt ohne Frage eine soziokulturelle Großleistung dar. Aber nach der Abwanderung von 3,3 Millionen Ostdeutschen fehlt oft das Leben hinter den neu erstrahlenden Fassaden. Man fragt sich an vielen Stellen, ob hier nicht am Ende ein menschenleeres Disneyland entsteht.