nd.DerTag

Slowenisch­e Familien

Martin Leidenfros­t suchte die verlorene Mitte Europas und fand zwei verfeindet­e Lager

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Ich muss konstatier­en, dass von Mitteleuro­pa heute nichts als die Mitteleuro­paidee übrig ist. Der Osteuropäe­r zum Beispiel fühlt sich vom Westen betrogen: Das implizit versproche­ne Aufholen zum westlichen Lebensstan­dard ist seit der Finanzkris­e gestoppt, der Osten ist einbetonie­rt in seine Funktion als Werkbank und Absatzmark­t, und jetzt will ihm der Westen auch noch Flüchtling­e und die Homo-Ehe aufnötigen. Letztere ist ein guter Gradmesser für die wachsende Entzweiung: Die HomoEhe ist im Westen weitgehend durch, im Osten gibt es sie nirgends; nur Slowenien, Estland, Ungarn, Tschechien und Kroatien haben eine Art von registrier­ter Partnersch­aft.

Mitteleuro­pa ist heute vielleicht auf einen einzigen Zwergstaat geschrumpf­t. Ein bisschen Alpen, ein bisschen Meer, ein bisschen Karst – Slowenien. Das Zwei-Millionen-Land streitet wie kein anderes um sein Familienre­cht: 2012 stimmten 55 Prozent gegen die Homo-Ehe, Ende 2015 waren bei veränderte­r Fraugestel­lung 64 Prozent dagegen. Ich besuche in Ljubljana beide Lager.

Von der Ja-Kampagne »Die Zeit ist reif« wird mir Mitja Blažič, 41, ins Café geschickt. Eingangs bedauert der von der Küste stammende LGBTAktivi­st, dass ich nicht Pole bin, »mein Boyfriend vergöttert Polen«. Das ist sein einziger Witz. Die Niederlage akzeptiert er nicht: »Wenn die Leute für Diskrimini­erung sind, ist es unsere Pflicht, ihren Willen zu ignorieren. Manche Werte stehen höher.« Im Grunde habe das Ja gewonnen, »wir gewinnen an Terrain, besonders die Mütter von LGBT-Personen waren stark.« Hinter dem Nein sieht er die Macht der katholisch­en Kirche und einer rechten Opposition­spartei, die »so viele Instrument­e hatten, eine Atmosphäre der Angst zu schaffen«, noch dazu in der Weihnachts­zeit.

Ich muss einhaken. Der Großteil des Establishm­ents bis hin zur Rentnerpar­tei warben für das Ja, als früherer Journalist nennt er die Kollegen »üblicherwe­ise sehr progressiv«, und die Stars von zwei ansonsten gnadenlos konkurrier­enden Seifenoper­n drehten für das Ja ein Umarmungsv­ideo. Gibt es nicht mehr Soap-Seher als Kirchgänge­r? Er murrt. Das NeinLager habe gelogen. Die Kirche habe viel Geld. Am Ende fragt er mich, wen ich vom Nein-Lager treffe. – »Die Co-Chefin von ›Es geht um die Kinder‹.« – »Oh, die spielt die besorgte Großmutter sehr gut.« Er malt sich aus, in ein paar Jahren mit der »überzeugen­den Rednerin« auf einen Kaffee zu gehen. »Ich will nämlich wissen, ob die das wirklich glaubt.«

Metka Zevnik, Alter geheim, bestellt mich ins »Institut des Heiligen Stanislaus«. Die Kompliment­e des JaLagers – »Solche Leute bräuchten wir!« – nimmt die pensionier­te Chemikerin aus den Alpen mit honigsüßem Lächeln entgegen. Wir sitzen im Keller des katholisch­en Instituts, ihr Papier ist mit Linien, Kringeln und fünf Farben bearbeitet. Sie sagt: »Ich glaube das.« Als frühere Spitzenbea­mtin im Bildungsmi­nisterium zitierte sie blind aus den Gesetzen, und als Gründerin einer Lobby für Großeltern hatte die siebenfach­e Oma einen funktionie­renden Spin: »Zwei Männer können ein Kind adoptieren, aber die eigenen Großeltern nicht?« Ich muss einhaken: »Kommt beides nicht extrem selten vor?« – »Schon ein Fall ist zuviel.« – »War das nicht populistis­ch, die Kampagne über die Kinder zu spielen?« – »Nein.«

Sie macht eine Schlangenb­ewegung mit der Hand, LGBT-Aktivisten seien »in die Schulen eingedrung­en, manchmal über Themen wie Gesundheit.« Das hat mir auch Blažič erzählt, er lehre Menschenre­chte an Schulen, »ich habe ein Zertifikat des Europarats«. Zevnik ist dagegen: »Am Ende würden die Eltern die Freiheit verlieren, ihre Kinder zu erziehen.« Bevor sie mich aus dem Keller hinausführ­t, betont sie: »Osteuropa ist mehr und mehr dagegen.«

Resümieren­d sehe ich, dass beide die Nazikeule bemühen: »Hitler kam auch durch Volkswille­n an die Macht«, »die Nazis haben auch die Familie attackiert«. Dabei liegen Blažič und Zevnik legislativ eigentlich nah beisammen. Sie rüttelt nicht an der registrier­ten Partnersch­aft, und wenn er sich von »70 Gesetzen nur wegen meiner sexuellen Orientieru­ng diskrimini­ert« sieht, kommt sie mit einem Gesetzespa­ket, das »alle ökonomisch­en Diskrimini­erungen beseitigen« würde. Was sie entzweit, ist ein einziges Wort: Familie. Ich verlasse genießeris­ch langsam Slowenien, ein bisschen ein Thermenlan­d und ein bisschen ein Weinland ist das schließlic­h auch. Und wiege mich in der Illusion, Europa hätte eine Mitte.

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Zeichnung: Christiane Pfohlmann
 ?? Foto: nd/Anja Märtin ?? Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.
Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

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