Die »Mitte« sehnt sich nach einem Führer
Ingar Solty über den Vorwahlkampf der US-Republikaner und die Krise des politischen Systems in den Vereinigten Staaten
Viel Aufhebens wurde von den volksverhetzenden Aussagen Donald Trumps bisher gemacht. Doch was ist mit seinem politischem Programm? Eines, das die Lage der arbeitenden Klasse verbessern könnte, hat der Multimilliardär nicht. Er verspricht jedoch innenpolitisch Härte und einfache Antworten auf komplexe Probleme: So gehört zu seinen Forderungen etwa die Registrierung und systematische Überwachung aller Muslime in den USA. Darüber hinaus will er eine Deportationsarmee ins Leben rufen, um die mehr als zehn Millionen papierlosen, lateinamerikanischen Einwanderer aufzuspüren, zu verhaften und abzuschieben. Aufgrund dieser Vorstöße haben nicht nur (Links-)Liberale wie der demokratische Präsidentschaftskandidat Martin O’Malley, sondern auch und gerade Konservative wie der Kolumnist der »New York Times«, Ross Douthat, oder Jeb Bushs Berater John Noonan das Programm dem Faschismus zugeordnet.
Trotzdem führt Trump seit mehreren Monaten mit großem Vorsprung das Feld der republikanischen Präsidentschaftskandidaten an. Im Durchschnitt aller Umfragen liegt er in diesem Monat bei 34,6 Prozent. Sein ärgster Kontrahent ist der nicht minder extreme Tea-PartyMarktradikale Ted Cruz, der auf 18,8 Prozent kommt. Dagegen liegt der ursprüngliche Präferenzkandidat des Parteiestablishments Jeb Bush weit abgeschlagen bei 4,8 Prozent. Schon werden Stimmen laut, die Rechten könnten nur durch den früheren Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, gestoppt werden. Und gestoppt werden sollen sie, weil die Rechte aus der Sicht der Republikanereliten durch die nationalistisch-isolationistischen Tendenzen das Management des American Empire in Gefahr bringt.
Wie erklärt sich aber Trumps Unterstützung an der Parteibasis? Wie kann ein Multimilliardär, dessen gigantisches Vermögen geerbt und mit staatlicher Unterstützung zustande kam, als Hoffnungsträger der Massen erscheinen?
Verstehen kann man das nur vor dem Hintergrund der grassierenden Wut auf den Status quo. Große und seit Jahren konstante Mehrheiten sagen in Umfragen aus, die USA entwickelten sich in die falsche Richtung. Die Zufriedenheitswerte nicht nur beider Parteien sind im Keller, sondern auch die aller Institutionen des politischen Systems (Präsidentenamt, Senat, Repräsentantenhaus). Die USA befinden sich in einer Legitimationskrise, die eine Repräsentationskrise zur Folge hat.
Von außen mögen die USA als ein Hort der Stabilität erscheinen. Anders als in der EU hat diese Krise hier nicht radikalen Rechtsparteien oder neuen Linksformationen Auftrieb verliehen. Es gibt dort keine Front National, keine UKIP, AfD, FPÖ und ebenso kein SYRIZA, kein Podemos, keine LINKE. Doch der Schein trügt. Auch in den USA stehen die Wahlen im Zeichen des Populismus. Insofern das Mehrheitswahlrecht aber das Zweiparteien- system in Beton gießt, sucht sich die populäre Unzufriedenheit und die Antiestablishment-Stimmung den Weg der Revolte an den Parteibasen. Dies war von der Kleinbauernbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Integration der reformistischen Arbeiterbewegung in den New Deal der 1930er Jahre fast immer so. Im Neoliberalismus sind jedoch der Anteil der Nicht-mehr-Repräsentierten und das populistische Potenzial gewachsen. Die globale Wirtschaftskrise hat dieses Potenzial potenziert. Sie hat eine »populistische Situation« geschaffen.
Auf der linken Seite erklärt sich vor diesem Hintergrund der bemerkenswerte Erfolg des unabhängigen Senatoren Bernie Sanders. Auf der rechten Seite verspricht Trump gerade durch sein Vermögen, dass er autoritär »aufräumen« könne. Die zweifellos naive Vorstellung seiner Anhänger: Weil er Milliardär und nicht Berufspolitiker sei, könne er in einem korrupten und vom Geld regierten System »etwas verändern«. Letztlich spricht aus dem Trump-Phänomen damit die subjektive Ohnmacht und bonapartistische Führersehnsucht der abstiegsbedrohten und verunsicherten »Mitte«.