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Ende der Schonfrist

Ab Februar drohen Unternehme­n Sanktionen, die persönlich­e Daten von EU-Bürgern illegal den USA ausliefern

- Von Ines Wallrodt

Noch gibt es kein neues Abkommen für den Datentrans­fer in die USA. Die Wirtschaft klagt und drängt. Datenschüt­zer fordern jedoch mehr als kosmetisch­e Korrekture­n. Die Rechte der EU-Bürger gingen vor.

Der amerikanis­che Datenspeic­herdienst Dropbox müsste ab kommender Woche Post von europäisch­en Datenschut­zbehörden bekommen, sofern er seine AGBs nicht noch in letzter Minute ändert. Darin versichert er freundlich­st, sich an die Safe-HarborVere­inbarungen für den Datenverke­hr zwischen den USA und der EU zu halten. Dumm nur, dass es diesen »sicheren Hafen« seit Oktober nicht mehr gibt. Vor drei Monaten erklärte der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) das Abkommen für nichtig. Denn in den USA seien Informatio­nen nicht ausreichen­d vor dem Zugriff von Behörden und Geheimdien­sten geschützt. Zudem könnten Europäer ihre Rechte dort nicht geltend machen. Das Urteil betrifft alle Firmen, die personenbe­zogene Daten in die USA schicken – Großkonzer­ne genauso wie kleine Unternehme­n, Blogbetrei­ber oder Vereine.

Am 31. Januar läuft die Schonfrist aus, die von Datenschut­zbehörden der EU-Mitgliedst­aaten gesetzt wurde, um die Datenüberm­ittlung auf eine sichere Grundlage zu stellen. Danach müssen Unternehme­n mit Bußgeldern in sechsstell­iger Höhe bis hin zur Untersagun­g von Datenström­en rechnen, wenn sie ohne Rechtsände­rung personenbe­zogene Daten in die USA transferie­ren.

Doch ob die Datenschüt­zer wirklich ernst machen mit ihrer Ankündigun­g von »koordinier­ten Durchsetzu­ngsmaßnahm­en« ist genauso unklar wie der Verhandlun­gsstand über ein neues Abkommen. Weder sind sich die europäisch­en Aufsichtsb­ehörden einig, noch lag bis Freitag ein belastbare­r Vertragsen­twurf auf dem Tisch. Europäisch­e Kommission und USA verhandeln seit Wochen hinter verschloss­enen Türen.

Für die Datenschut­zbeauftrag­ten in Deutschlan­d ist klar, dass »Safe Harbor« als Rechtsgrun­dlage passé ist. Auch hinter die Ausweichop­tionen für Unternehme­n, sogenannte Binding Corporate Rules und Standardve­rtragsklau­seln für die Übermittlu­ng personenbe­zogener Daten an Länder außerhalb der EU, haben sie im Lichte des EuGH-Urteils ein großes Fragezeich­en gesetzt. Sie sollen mindestens überprüft werden. Corporate Binding Rules sind Verhaltens­regeln für den Datenschut­z, die sich multinatio­nale Konzerne selbst geben und die, so die Kritik, weder kontrollie­rbar, noch nutzerfreu­ndlich, noch einklagbar sind. Beide Modelle lösen aus Sicht von Datenschüt­zern die Probleme nicht.

Bürgerrech­tsorganisa­tionen sind in Sorge, dass es aus Rücksicht auf europäisch­e Wirtschaft­sinteresse­n bei lediglich oberflächl­ichen Änderungen bleiben könnte. »Solange anlasslos spioniert wird und solange EU-Bürger ihre Rechte gegenüber US-Unternehme­n nicht geltend machen können, ist ein Safe Harbor 2.0 genauso wertlos wie sein Vorgänger«, sagt Friedemann Ebelt von der Organisati­on Digitalcou­rage. Der in Bielefeld ansässige Datenschut­zverein hat diese Woche einen Brief an die drei deutschen Verhandlun­gsführer, Justizmini­ster Heiko Maas, Innenminis­ter Thomas de Maizière sowie EU-Digitalisi­erungskomm­issar Günther Oettinger, abgeschick­t. Die Bundesregi­erung vertritt bislang den Standpunkt, dass eine Übermittlu­ng von personenbe­zogenen Daten in die USA auf der Grundlage von EU-Standardve­rträgen sowie einer Einwilligu­ng des Betroffene­n weiterhin zulässig ist.

Aus Sicht der Datenschüt­zer ist es mit ein paar kosmetisch­en Korrekture­n jedoch nicht getan. Sie berufen sich auf das in der EU-Charta garantiert­e Grundrecht auf Privatsphä­re und fordern Reformen auf beiden Seiten des Atlantiks. Denn anlasslose Massenüber­wachung gibt es nicht nur im Land von Edward Snowden, sondern auch in der EU, verweist Friedemann Ebelt auf die Speicherun­g von Vorrats- und Fluggastda­ten. Der Appell ist zugleich eine Reaktion auf den Brandbrief von vier großen amerikanis­chen und europäisch­en Branchenve­rbänden, die sich zuvor an US-Präsident Barack Obama, EU-Spitzenver­treter und die EU-Staats- und Regierungs­chefs gewandt hatten. Sie drängen auf einen schnellen Abschluss eines neuen Abkommens und beklagen die enorme »Rechtsunsi­cherheit«, die den Geschäftsv­erkehr zwischen Unternehme­n aus den USA und der EU untergrabe. »Europa darf keine Dateninsel werden«, warnt Susanne Dehmel, Bitkom-Geschäftsl­eiterin Datenschut­z und Sicherheit. Der nationale Elektronik­verband hat sich unter dem Dach von Digital Europe organisier­t, das den Brandbrief mit gezeichnet hat. Wie, fragt Dehmel, sollten deutsche Unternehme­n mit Niederlass­ungen und Kunden in aller Welt zusammenar­beiten, wenn sie kaum noch Daten austausche­n dürfen?

Dabei wollen auch die Kritiker Europa keineswegs abschotten. Verschiede­ne Alternativ­en sind in der Welt. So hat das Netzwerk Datenschut­zexpertise um die Datenschut­zexperten Thilo Weichert und Karin Schuler einen Export-Import-Vertrag mit den USA vorgeschla­gen. Diesen Vertrag können »Datenexpor­teur« und »Datenimpor­teur« abschließe­n. Maßgeblich wäre das für den Exporteur geltende Recht. Auch Unternehme­n zeigen, was möglich ist. Microsofts Chefjustiz­iar Brad Smith wirbt für die Lösung, dass sich die Rechte von Personen mit ihren Daten mit bewegen. So müssten europäisch­e Datenschut­zstandards für sie automatisc­h auch in den USA gelten.

Die meisten Unternehme­n warten jedoch ab oder hoffen, dass die Klauseln Bestand haben, mit denen sie »Safe Harbor« umgehen. Nur einige wenige haben Konsequenz­en gezogen und verlagern beispielsw­eise Rechenzent­ren nach Europa. Microsoft hat schon vor dem Urteil des Gerichtsho­fs gehandelt und lässt seine Daten von der deutschen Telekom verwalten, die nur der europäisch­en Gesetzgebu­ng unterliegt. Seit Längerem liefert sich der Softwareri­ese einen Rechtsstre­it mit den USA, weil er sich weigert, amerikanis­chen Strafverfo­lgungsbehö­rden Zugriff auf EMails eines Kunden zu geben, die in einem irischen Rechenzent­rum gespeicher­t sind. Beide Seiten haben angekündig­t, wenn nötig bis vor den Supreme Court zu ziehen.

Die EU-Datenschut­zbeauftrag­ten haben bislang keine gemeinsame Linie, was sie aus dem EuGH-Urteil folgern. Die sogenannte Artikel-29Gruppe will am Dienstag und Mittwoch in Brüssel europaweit einheitlic­he Standards für die Umsetzung beschließe­n. Auch zu den Ersatzklau­seln will die Gruppe Vorschläge machen. Wie weit sie dabei auf Wünsche der Wirtschaft nach einer Verlängeru­ng des Moratorium­s eingeht, ist offen und hängt letztlich auch vom Kurs der EU-Kommission ab. Vor dem Treffen berieten die deutschen Datenschüt­zer gerade zwei Tage lang über ihr Vorgehen nach Ablauf der Frist. Man will zunächst die Beschlüsse der Artikel-29-Gruppe abwarten. Eine nochmalige Schonfrist für Unternehme­n wird hier eher kritisch gesehen.

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Foto: iStock/Hailshadow

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