Soziale Akzente von Rot-Rot-Grün im Bundesrat
Industrie sieht wegen Beschluss zu Rekommunalisierung der Müllentsorgung einen »schwarzen Freitag« für den Wettbewerb
Im Windschatten der Asylpolitik – die Länderkammer beschloss am Freitag auch den Flüchtlingsausweis – hat der Bundesrat einige linke sozial- und wirtschaftspolitische Akzente gesetzt.
Es ist nicht Alltag im Bundesrat, dass Ministerpräsidenten von SPD und LINKE gemeinsame Initiativen ergreifen. Am Freitag geschah dies mit dem Ziel, die Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung zu kippen und die Angleichung der Ostrenten zu beschleunigen.
Der gemeinsame Antrag Thüringens, Mecklenburg-Vorpommerns und Brandenburgs zur Rentenangleichung nimmt sich auf den ersten Blick bescheiden aus. Der Bund wird dazu aufgefordert, eine gemeinsame Ar- beitsgruppe für die Umsetzung des von Angela Merkel für 2017 angekündigten »Zwischenschritts« der Angleichung für 2017 einzurichten. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) sagte, dass es hier nicht nur um Geld gehe, sondern auch um die »Anerkennung der ostdeutschen Lebensleistung«. Benjamin Hoff, thüringischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, kritisierte, dass die Ostrentner seit Jahrzehnten mit Ankündigungen hingehalten würden. Schließlich sei die Angleichung einst schon für das Jahr 2000 angekündigt worden. »Eine Idee wird erst dann zur materiellen Gewalt, wenn sie auch die private Kasse erreicht«, mahnte er in Anlehnung an Karl Marx Taten an.
Der Antrag ist mehr als Symbolpolitik. Die SPD macht hier via Bundesrat quasi gemeinsame Sache mit der LINKEN, um Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel auszuüben, die bei den Ostrenten die Zügel schleifen lässt.
Auch bei einem anderen Sozialthema zelebrierten SPD und LINKE Übereinstimmung. Die rheinlandpfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Brandenburgs Vize-Regierungschef Helmuth Markov brachten gemeinsam einen Antrag zur vollständigen paritätischen Finanzierung von Krankenversicherungsbeiträgen« ein.
Dreyer erlaubte sich dabei auch einen Rückblick auf den Anteil, den die rot-grüne Regierung 2005 zur schrittweisen Abschaffung der Parität geleistet hatte. Die Einführung der Zusatzbeiträge sei damals wegen der schwierigen Wirtschaftslage nötig gewesen, meinte sie. Dass die Arbeitnehmer inzwischen alle Bei- tragssteigerungen selbst bezahlen müssen, sei jedoch nicht mehr hinnehmbar. Die Arbeitsmarktlage spreche zudem für eine Entlastung der Beschäftigten. Ihr Kollege Markov kritisierte die soziale Schieflage, die durch die Abschaffung der Parität für Arbeitnehmer und Rentner entstanden ist. Sie hätten in den letzten Jahren 14 Milliarden Euro drauflegen müssen, während die Arbeitgeber geschont wurden. Mit Blick auf die anwesenden SPD-Landesfürsten sagte Markov, dass sich politische Handlungsfähigkeit auch darin erweise, einmal getroffene Entscheidungen zu korrigieren.
CDU-Gesundheitsstaatssekretärin Annette Widmann-Mauz wies den Antrag, der auch von anderen rotgrünen Regierungen getragen wird, zurück: Sie vermisse darin das Prinzip des Wettbewerbs, von dem auch die Beitragszahler profitiert hätten. Ob diese Einschätzung von den 44 Millionen von 55 Millionen Kassenpatienten geteilt wird, denen für dieses Jahr Beitragserhöhungen ins Haus flatterten, blieb offen.
Der Bundesrat nahm einen Antrag an, der ebenfalls links des jahrelangen neoliberalen Grundkonsens lag und von Baden-Württemberg eingebracht worden war. Anders als die Bundesregierung, die mit dem Entwurf eines Wertstoffgesetzes auf die Industrie setzt, wollen die Länder eine Rekommunalisierung der Verpackungsentsorgung bewirken. Für den Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, Peter Feller, steht damit eine »Verstaatlichung« der ganzen Branche bevor. Dies sei ein »Schwarzer Freitag« für die »Errungenschaften« des Wettbewerbs.