nd.DerTag

Putins Gegenangri­ff

Für Kräfte der extremen Rechten ist ein Bündnis mit der Macht im Osten verlockend

- Von Jörg Kronauer

Seit geraumer Zeit versuchen westliche Staaten, den Einfluss Russlands in Mitteleuro­pa zurückzudr­ängen. Das will Moskau sich nicht länger gefallen lassen.

Sergej Lawrow gab nicht nach. Die Flüchtling­sdebatte in Deutschlan­d dürfe »nicht zum Versuch« führen, »die Realität aus innenpolit­ischen Gründen politisch korrekt zu übermalen«. Mit diesen Worten hatte Russlands Außenminis­ter denjenigen Teilen der russlandde­utschen Community den Rücken gestärkt, die am vergangene­n Wochenende teils gemeinsam mit Aktivisten der extremen Rechten auf die Straße gegangen waren, um nach dem mutmaßlich­en sexuellen Missbrauch an einer 13-jährigen Berlinerin gegen angeblich kriminelle Flüchtling­e zu protestier­en. Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat sich am Mittwoch gegen Lawrows direkte Einmischun­g verwahrt: Es gehe nicht an, dass sein Amtskolleg­e »auf eine ohnehin schwierige innerdeuts­che Migrations­debatte Einfluss« nehme, sie sogar anheize. Lawrow jedoch gibt nicht klein bei. Die deutschen Behörden sollten Moskau endlich besser über den Fall informiere­n, verlangte er. Der Streit um die russische Interventi­on in innere Angelegenh­eiten der Bundesrepu­blik hält derweil an.

Russlands Vorgehen hat System. Seit 1991 hat Moskau zunächst jahrelang stärkeren Anschluss an den Westen gesucht. Russland hätte es unter Boris Jelzin wohl gern gesehen, enger mit der NATO zu kooperiere­n, hat dann unter Wladimir Putin nach dem Scheitern dieser Pläne wenigstens eine gedeihlich­e Zusammenar­beit mit Deutschlan­d angestrebt – um nach dem Ausbleiben greifbar positiver Reaktionen aus Berlin und Washington vor der herben Erkenntnis zu stehen, dass sich im Westen niemand auf eine strategisc­he Kooperatio­n festlegen wollte. Daraufhin warnte Putin 2007 auf der Münchner Sicherheit­skonferenz, den Versuch, eine »monopolare«, vom Westen dominierte Welt zu errichten, werde Moskau sich nicht gefallen lassen. Putins Rede wurde im Westen als »Brandre- de« disqualifi­ziert und nicht weiter ernst genommen. Vielmehr setzten die westlichen Mächte die Ausdehnung ihres Einflusses auf russische Kosten fort, bis der Ukraine-Konflikt das Fass zum Überlaufen brachte. Russland ging zum Widerstand über.

Teil dieser Reaktion ist die Einmischun­g in die inneren Angelegenh­eiten westlicher Staaten. Schon seit einiger Zeit erhalten prorussisc­he Kräfte aus mehreren Staaten der Europäisch­en Union Unterstütz­ung aus Russland. Nicht immer, aber oft sind es Kräfte der äußersten Rechten, für deren antiwestli­che Politik ein Bündnis mit der Macht im Osten verlockend ist. Paradebeis­piel ist die Front National (FN), dessen Chefin Marine Le Pen auf eine Achse Paris-Moskau setzt. Inzwischen stößt sie auf Gehör. Im Herbst 2014 erhielt die FN einen Millionenk­redit aus Russland, im Mai vergangene­n Jahres wurde Le Pen vom Duma-Vorsitzend­en Sergej Na- ryschkin zum Gespräch empfangen. Im Oktober 2015 klagte Marion Maréchal-Le Pen (FN) im Exklusivin­terview mit Sputnik France: »Wir haben unter dem Druck der Vereinigte­n Staaten resigniert.« Ähnliches hört man von der deutschen Rechten – seien es Teile der AfD oder »Compact«Herausgebe­r Jürgen Elsässer und sein Umfeld. Zuweilen erwidert die russische Seite die Sympathie: Nicht umsonst kamen etwa AfD-Funktionär­e immer wieder auf RT Deutsch zu Wort.

Dabei ist die russische Einmischun­gsstrategi­e nur im Westen abgeschaut. Wie deutsche Stellen vor und während der Proteste auf dem Maidan ihre Kontakte auch zu ukrainisch­en Faschisten intensivie­rten, so strecken russische Stellen jetzt ihre Fühler auch zur äußersten Rechten in der Europäisch­en Union aus. Und wie die Bundesregi­erung die Proteste befeuerte, stärkt die russische Regierung nun – zumindest indirekt – den pro- testierend­en Russlandde­utschen den Rücken. Diese passen gut in das Profil, das Moskau im Blick hat – mit ihren Russland-Kontakten, mit ihren konservati­ven, nicht selten offen rechten Positionen, die sich gut mit den Positionen der sonstigen prorussisc­hen Rechten vertragen. Dass an den Demonstrat­ionen vom vergangene­n Wochenende auch extrem rechte Aktivisten teilnahmen, kommt – ganz abgesehen von der Thematik – nicht von ungefähr: Immer wieder waren Russlandde­utsche in der Vergangenh­eit in Rechtsauße­nparteien, zum Beispiel bei den Republikan­ern, aktiv; einige organisier­ten eine Zeit lang sogar einen Arbeitskre­is mit dem Titel »Russlandde­utsche in der NPD«. Überschaub­are, aber sehr aktive Netzwerke um Organisati­onen wie »Die Russlandde­utschen Konservati­ven« treten seit Jahren als handlungsf­ähige Bindeglied­er zwischen den Russlandde­utschen und der extremen Rechten auf.

Entsteht da ein von Moskau beeinfluss­ter Unruheherd innerhalb Deutschlan­ds? Die Bundesregi­erung, offenkundi­g irritiert, dringt auf die Einstellun­g der russischen Aktivitäte­n. Leitkommen­tatoren warnen. »Die Demonstrat­ionen am vergangene­n Wochenende in Berlin und anderswo sowie die dunklen Unterstell­ungen des russischen Außenminis­ters Lawrow sind der vorläufige Höhepunkt dieser Ausweitung der Kampfzone«, urteilte zu Wochenbegi­nn die »Frankfurte­r Allgemeine Zeitung«. Die »Berliner Zeitung« zitierte Konstantin Kossatscho­w, den Vorsitzend­en des Auswärtige­n Ausschusse­s im russischen Oberhaus: Steinmeier­s Appell an Lawrow, sich nicht in innere Angelegenh­eiten Deutschlan­ds einzumisch­en, habe »die Armee deutscher Politiker und Menschenre­chtler«, die sich allzu oft in russische Angelegenh­eiten einmischte­n, »in äußerste Verlegenhe­it gebracht«, meinte er. Denn sie müssten nun ihrerseits Steinmeier attackiere­n, da er die staatliche Souveränit­ät der Bundesrepu­blik über die Menschenre­chte gestellt habe. Oder sie müssten künftig Russlands Souveränit­ät achten.

Wie auch immer: Russlands Gegenwehr gegen westliche Aggression­en hat die nächste, ihrerseits aggressive Stufe erreicht.

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Foto: dpa/Marc Eich Mehrere Hundert Russlandde­utsche demonstrie­rten am vergangene­n Wochenende wegen der erfundenen Vergewalti­gung auch in Freiburg.

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