Haiti kommt aus der Wahlkrise nicht heraus
Noch ist kein Nachfolger für den scheidenden Präsidenten Martelly gewählt / Organisation Amerikanischer Staaten und CELAC sollen vermitteln
Die Amtszeit von Haitis Präsident Michel Martelly läuft am 7. Februar ab. Einen Nachfolger gibt es nicht, da die Stichwahl mehrfach verschoben und dann abgesagt wurde. Nun soll die OAS vermitteln. Die Befürchtung von Haitis Informationsminister Mario Dupuy ist erst mal vom Tisch: »Wenn wir weiter Signale aussenden, dass wir nicht in der Lage sind, unser Land zu handhaben, werden das andere für uns machen (...) Wir sind dabei, uns zu einem Risiko für unsere Nachbarstaaten in der Hemisphäre zu entwickeln.« Ausländische Militärinterventionen hat Haiti, das sich mit der Dominikanischen Republik die Insel Hispaniola teilt, in seiner Geschichte häufig erlebt, von 1915 bis 1934 übernahmen die USA direkt als Besatzer die Kontrolle und auch danach ging nichts gegen die USA.
Nun soll die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in der Wahlkrise vermitteln. Die Organisation mit Sitz in Washington beschloss die Entsendung einer Mission in den verarmten Karibikstaat, die in Dialog mit allen Parteien um das Präsidentenamt treten soll. Am vergangenen Wochenende war die Stichwahl nach zweifacher Verschiebung fürs Erste abgeblasen worden. Einen neuen Termin gibt es nicht.
Es wäre ohnehin eine Stichwahl ohne Auswahl gewesen: Der oppositionelle Kandidat Jude Célestin stand zwar auf den bereits gedruckten Wahlzetteln, doch aus dem Rennen hatte er sich kurz vor dem Urnengang verabschiedet. »Ich weigere mich, an diesem Maskenball teilzunehmen. Hört auf, uns als Idioten zu verkaufen!« Célestin hat für seine drastische Einschätzung durchaus gute Argumente: Eine auf Druck der gesamten Opposition im vergangenen Dezember eingesetzte Untersuchungskommission stellte dem ersten Wahlgang vom 25. Oktober ein desaströses Zeugnis aus: Auf den Wählerlisten fehlten über die Hälfte aller Unterschriften oder Fingerab- drücke, und fast die Hälfte der IDNummern waren falsch. Die Empfehlung der Kommission: Alles auf Anfang, den gesamten Wahlprozess reformieren und die Wahlbehörde komplett auswechseln. Die Reaktion von Präsident Michel Martelly: Alles weiter wie gehabt, maximales Zugeständnis: Verschiebung.
Jude Célestin
Martelly hat am Mittwoch beim Gipfel der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) in Ecuadors Hauptstadt Quito einen Appell an die Gemeinschaft gerichtet, dass auch sie sich in den Konflikt einschalten soll. Bei der Gründung von CELAC 2011 wurde Washington ganz bewusst draußen gehalten. Wie nun OAS und CELAC zusammenwirken sollen, bleibt Martellys Geheimnis.
Seit der Absage der Stichwahl kam es immer wieder zu schweren Ausschreitungen in der Hauptstadt Portau-Prince. Die gab es auch schon im Verlauf des Wahljahres 2015 in steter Regelmäßigkeit und es waren neben Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen auch einige Tote zu beklagen.
Martelly, einst als »Sweet Micky« einer der populärsten Musiker der Insel, scheidet offiziell am 7. Februar aus dem Amt. Noch ist unklar, wie es danach weitergeht. Die Opposition fordert die Ernennung einer Übergangsregierung und Neuwahlen.
Es ist offensichtlich, dass Martelly, der aus Verfassungsgründen nicht mehr antreten durfte, mit allen Mitteln seinen Günstling Jovenel Moïse als neuen Präsidenten durchdrücken will. Martelly weiß mächtige Unterstützer auf seiner Seite. Zu allererst die USA, die den Wahlprozess finan- zierten und den neoliberalen Martelly wie den Unternehmer Jovenel Moïse als Garantie dafür betrachten, dass in Haiti keine linken Experimente stattfinden. Rund 78 Prozent Haitianer leben unter der Armutsgrenze. Die Menschen leiden immer noch unter den Nachwirkungen des Erdbebens von 2010 und verbreitetem Politikversagen. 300 000 Menschen starben damals und Millionen wurden obdachlos.
Wahlen sind in Haiti ohnehin längst zu einem Muster ohne Wert verkommen. Wahlbeteiligungen von um die 20 Prozent sind die Regel. Haiti bleibt auch 2016 das Armenhaus Amerikas, ein extrem abhängiges und unterentwickeltes Land. Dass der von Martelly auserkorene Nachfolger Moïse, der »Banana Man«, ausgerechnet mit dem Export eines Grundnahrungsmittels sein Vermögen machte, während im Land Schlammkekse gegen den Hunger gegessen werden, ist bezeichnend. Ein Armutszeugnis für die beiden »Schutzmächte« USA und UNO.
»Ich weigere mich, an diesem Maskenball teilzunehmen. Hört auf, uns als Idioten zu verkaufen!«