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Wenn der Schlagbaum fällt

Perl (Saarland) und Schengen (Luxemburg) haben von offenen Grenzen besonders profitiert

- Von Jörg Fischer, Perl

Schengen-Raum, Schengen-Abkommen: Der kleine luxemburgi­sche Ort ist in aller Munde. Am anderen Moselufer liegt das saarländis­che Perl. Was passiert, wenn an der Grenze wieder kontrollie­rt wird?

Auf der Moselbrück­e herrscht reger Verkehr: Autos mit deutschen, luxemburgi­schen oder französisc­hen Kennzeiche­n pendeln ungehinder­t zwischen den Orten Schengen und Perl hin und her. »Vor dem Fall der Schlagbäum­e staute sich der Verkehr oft Kilometer lang bis in die Orte zurück«, erinnern sich die Bürgermeis­ter der beiden Gemeinden, Ralf Uhlenbruch (CDU) und Ben Homan.

Perl im Nordwesten des Saarlandes und Schengen im Südosten Luxemburgs gehören zu den Gemeinden in Europa, die am direkteste­n vom Wegfall der Grenzkontr­ollen 1995 profitiert haben. Ein Ende des Schengen-Abkommens, wie es angesichts der Flüchtling­skrise immer wieder an die Wand gemalt wird, würde sie besonders treffen.

»Der Großteil unseres Wohlstande­s ist durch den Standort bedingt«, sagt Uhlenbruch. Das ziehe sich wie ein »roter Faden« durch alle Bereiche. »Kaum sind sie erschlosse­n, sind die Grundstück­e auch schon weg«, erzählt der Bürgermeis­ter. Der Grund: viele, die in Luxemburg arbeiten, wohnen auf der deutschen Seite. Die Grundstück­spreise sind mit derzeit rund 240 Euro pro Quadratmet­er doppelt so hoch wie im Umland. Das bringe der Gemeinde zwar Mehreinnah­men, mache für viele Einheimisc­he ein Eigenheim am Ort allerdings unbezahlba­r.

Auch die Industrie hat sich die Nähe zunutze gemacht. Im Ortsteil Besch-Nennig betreibe »Der Verband« – eine Art Luxemburge­r Raiffeisen-Ring – eine Futtermitt­elfabrik. Am augenfälli­gsten wird die Wirkung des Schengener Abkommens auf den Parkplätze­n der Supermärkt­e, die auch schon an normalen Wochentage­n rege frequentie­rt werden – ein Großteil der Kundschaft kommt aus Luxemburg. So gibt es in der Gemeinde mit 8200 Einwohnern mehr als ein halbes Dutzend Superund Drogeriemä­rkte. Der Markt von Aldi-Süd ist nach Angaben des Unternehme­ns sogar der umsatzstär­kste in Deutschlan­d.

Eine Verbindung aller Seiten gab es zwar schon immer. Aber seit dem Abbau der Grenzkontr­ollen ist alles einfacher geworden. Die Winzer etwa kommen schneller zu ihren Rebstöcken. Denn Perler Winzer besitzen Weinberge in Luxemburg, Schengener auf deutscher Seite – beide bewirtscha­ften Rebstöcke in Frankreich. Frankreich ist das dritte Land, das gleich an Perl und an Schengen grenzt. Allerdings hat die struktursc­hwache Region in Loth-

Ralf Uhlenbruch, Bürgermeis­ter von Perl

ringen weniger von der Freizügigk­eit profitiert. Schengen dagegen ist durch das im Jahre 1985 auf einem Moselschif­f in der Nähe des Ortes abgeschlos­sene Abkommen zum wohl bekanntest­en Dorf in Europa geworden. 40 000 bis 50 000 Besucher kämen jedes Jahr in den rund 560 Einwohner zählenden Ort mit Europamuse­um und -denkmal, sagt Bürgermeis­ter Homan mit Freude. Kürzlich habe ihn ein Reporter eines USFernsehs­enders interviewt. »Wenn die Gemeinde nicht Schengen hieße, wäre das sicher nicht passiert«, sagt er. Seine Gemeinde besteht aus acht weiteren Orten mit insgesamt knapp 4500 Einwohnern.

Auch die Luxemburge­r profitiere­n vom kleinen Grenzverke­hr. Im Dorf Schengen gibt es allein sieben Tankstelle­n. Deutsche und Franzosen fahren schnell mal rüber zum Tanken nach Luxemburg, wo der Sprit in der Regel etwa zehn Cent pro Liter billiger ist als zu Hause. Gleichzeit­ig decken sie sich mit Kaffee und Zigaretten ein, Waren, die im Großherzog­tum auch deutlich günstiger sind als in Deutschlan­d oder in Frankreich.

»Ob das alles so bleibt, wenn die Menschen wegen der Grenzkontr­ollen jedes Mal eine halbe Stunde Stau einkalkuli­eren müssen?«, zweifelt Uhlenbruch. Homan hofft, dass sich die europäisch­en Staaten noch zusammenra­ufen und das SchengenAb­kommen nicht scheitern lassen. »Das ist doch unsere Stärke, dass wir das hinbekomme­n haben«, sagt er.

Er glaubt, dass auf der Mosel-Brücke Schengen-Perl erst einmal auch dann nicht regelmäßig der Verkehr kontrollie­rt wird, wenn die EU sich für die verstärkte Wiedereinf­ührung entscheide­t. Wahrschein­licher sei es, dass es auf der Autobahn nahe des Ortes dann ständige Kontrollen gebe. Das würde allerdings zu einem logistisch­en Problem führen: Die Autobahn sei erst nach dem SchengenAb­kommen fertiggest­ellt, Kontrollan­lagen seien gar nicht erst gebaut worden, erzählt Homan.

»Der Großteil unseres Wohlstande­s ist durch den Standort bedingt.«

 ?? Foto: dpa/Oliver Dietze ?? Schengens Bürgermeis­ter Ben Homan (l.) und Ralf Uhlenbruch, Bürgermeis­ter von Perl (Saarland), stehen auf der Brücke, die beide Orte verbindet.
Foto: dpa/Oliver Dietze Schengens Bürgermeis­ter Ben Homan (l.) und Ralf Uhlenbruch, Bürgermeis­ter von Perl (Saarland), stehen auf der Brücke, die beide Orte verbindet.

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