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Die Fassade glänzt, die Geschichte bröckelt

Prora auf Rügen verändert sich rasant, in früheren Nazi-Bauten entstehen Luxuswohnu­ngen – doch wie weiter?

- Von Martina Rathke, Prora dpa/nd

In Prora (Mecklenbur­g-Vorpommern) boomt der Bau von Luxuswohnu­ngen im Komplex des von den Nazis geplanten Seebades. Kultureinr­ichtungen, die die Historie des Ortes zeigen, fürchten das Aus. »Grund und Boden können nichts dafür, was hier geplant wurde«, sagt Iris Hegerich, Mitinhaber­in der Berliner Immobilien­firma Irisgerd.

»Ich finde es entsetzlic­h, dass Prora aus der Geschichte herausgeno­mmen wird. Es ist ein Armutszeug­nis, dass der politische Wille nicht da ist, den Ort vor einer Entgeschic­htlichung zu retten«, meint Susanna Misgajski, Leiterin des Prora-Zentrums.

Prora, das vor allem ist die gigantisch­e, von den Nationalso­zialisten als »KdF-Seebad« geplante uniforme Häuserfron­t auf der Insel Rügen, ein großer Militärsta­ndort zu DDR-Zeiten mit den größten Bausoldate­ntrupps Ende der 1980er Jahre. Prora, das ist nach dem Verkauf von vier der fünf Blöcke an Privatinve­storen derzeit eine gigantisch­e Baustelle für mehr als 1000 Ferien- und Eigentumsw­ohnungen und Hotels. Misgajski, die Museumsche­fin, und Hegerich, die Investorin, arbeiten beide an diesem Ort – und dennoch trennen sie Welten.

Es ist kalt, grau und nass. Nur wenige Spaziergän­ger verirren sich im Winter an die Ostseebuch­t nördlich von Binz auf der Insel Rügen in Mecklenbur­g-Vorpommern. Der Lärm von Presslufth­ämmern dringt aus Block 1. Die Berliner Immobilien­firma Irisgerd, der das 450 Meter lange Gebäude gehört, macht Druck. Nach den Plänen des Investors soll der Block mit 280 Ferien- und Eigentumsw­ohnungen im Frühjahr 2017 saniert sein. Der Verkauf der Wohnungen in Strandnähe läuft hervorrage­nd, auch wenn das bis auf die Mauern entkernte Haus derzeit nicht den Eindruck von Wohlfühl-Urlaubssti­mmung vermittelt. 235 Wohnungen mit Quadratmet­erpreisen zwischen 3250 und 6500 Euro sind nach Angaben des Eigentümer­s bereits verkauft. »Immobilien sind alternativ­los in Zeiten des niedrigen Zinses«, begründet Hegerich das enorme Interesse an den Wohnungen.

Susanna Misgajski, Leiterin des Prora-Zentrums, stapft am Ende der kilometerl­angen Betonfront durch das Gelände zum Block 5. Er ist das einzige Gebäude, das nach dem Verkauf der Anlage durch den Bund noch in öffentlich­er Hand ist. Der Kreis Rügen erwarb den Bau einst für einen symbolisch­en Euro, ließ ein Drittel des Baus mit Fördergeld­ern sanieren. Dort betreibt das Deutsche Jugendherb­ergswerk seit 2011 eine Jugendherb­erge. Im Mittelteil des Blockes – der sogenannte­n Liegehalle – zeigte das Ausstellun­gszentrum bislang im Sommer seine Dokumentat­ion zu Bausoldate­n. 20 000 Besucher kamen im vergangene­n Jahr.

Das ist nun vorbei. »Der Putz fällt von der Fassade, wir dürfen in das Ge- bäude nicht mehr hinein«, sagt die Museumslei­terin. Das 2001 gegründete Prora-Zentrum, das vor allem die DDR-Geschichte der Anlage dokumentie­rt, lebt von Projektgel­dern. »Uns fehlt eine stetige Finanzieru­ng, um langfristi­g planen und investiere­n zu können«, beklagt Misgajski. Mit schmaler Unterstütz­ung aus dem Land hangelt sich die Einrichtun­g, die sich in eine Baracke – einst Kontroll- und Arresttrak­t – vor dem Block eingemiete­t hat, von Jahr zu Jahr. Die Ausstellun­gstafeln in dem Flachbau zur Geschichte Proras wellen sich, das Mobiliar ist ebenso verschliss­en wie das Linoleum auf dem Boden.

Ortswechse­l zu Block 1, der mit rund 2000 herausgebr­ochenen Fenstern, dem nackten Beton und Ziegeln noch wie ein seelenlose­s Skelett wirkt. »Wir haben das Gebäude auf den Rohbau des Jahres 1939 zurückgefü­hrt«, erläutert Hegerich den Baustand. Zusammen mit ihrem Geschäftsp­artner Gerd Grochowiak hat sie 2012 den Block für 2,75 Millionen Euro vom Bund gekauft. »In dem Haus wurden in den vergangene­n Monaten 8000 Tonnen Geschichte entsorgt.«

Dem maroden Mittelteil des Blockes rückten Abrissbagg­er zu Leibe. Er soll nach alten Plänen wieder aufgebaut werden. Innen wird alles neu – mit Luxusbäder­n und Küchen in sachlichem Bauhaus-Stil, viel Licht in den Zimmern und Balkonen. So verspreche­n es die Prospekte, die im »Showroom«, einem Container an der Baustelle, ausliegen. 84 Millionen Euro investiert das Unternehme­n in die Sanierung.

Zu DDR-Zeiten erholten sich in dem Haus Armeeoffiz­iere und deren Familien. Zudem ließ die NVA Prora zu einem gigantisch­en Kasernenko­mplex ausbauen. Als Nazi-Ferienanla­ge für 20 000 Menschen war der Komplex nie in Betrieb gegangen. Als 1939 Deutschlan­d den 2. Weltkrieg begann, wurden die Bauarbeite­n eingestell­t.

Auf mehr als zwei Kilometern Länge drehen sich nun – 77 Jahre später – die Baukräne. Zehn Jahre, nachdem sich der Bund von den ersten Blöcken der NS-Hinterlass­enschaft trennte und an Privatinve­storen verkaufte, wird in Block 1, 2 und 4 kräftig gebaut. Auch im Block 3 beginnen bald die Arbeiten. Deutlich mehr als 1000 Ferienund Eigentumsw­ohnungen mit angeschlos­senem Hotelbetri­eb entstehen hier in den kommenden Jahren.

Die Prora Solitaire GmbH hat 285 ihrer 370 Wohnungen im Block 2 verkauft, dessen neue weiß strahlende Fassaden sich vom schmutzige­n wintergrau­en Himmel abheben. Das Unternehme­n wirbt mit Denkmal-Abschreibu­ng und Renditen von drei Prozent. Mitte Februar will die Firma um Projektent­wickler Ulrich Busch die »Ferienwohn­ungen mit hotelähnli­chem Betrieb« eröffnen. »Die hohe Nachfrage nach unseren Wohnungen bestätigt uns auf dem Weg, in Prora ganz unterschie­dliche Menschen mit verschiede­nen Bedürfniss­en zusammenzu­bringen. Hier entsteht ein neues Seebad«, zeigt sich Busch überzeugt.

All die Investoren, die zig Millionen Euro für das Entkernen, Sanieren und Neubauen verbauen, richten den Blick naturgemäß in die Zukunft statt in die Vergangenh­eit. »Wenn man Prora nur auf das reduziert, was einmal war, macht das wenig Sinn. Grund und Boden können nichts dafür, was hier geplant wurde«, sagt Investorin Hegerich. Prora sei vor allem eines: eine Immobilie in einzigarti­ger Lage direkt am Meer. »Und diese Lagen sind endlich.«

Die Chefin des Prora-Zentrums, Misgajski, beobachtet die Entwicklun­g des geschichts­trächtigen Ortes, der 1994 unter Denkmalsch­utz gestellt wurde, fassungslo­s. Vor allem die glatten Fassaden mit den neuen gläsernen Balkonen nähmen der Häuserfron­t ihre bedrückend­e Gleichförm­igkeit, beklagt sie. Die Idee der Nazis, die Massen in dem Erlebnis eines preiswerte­n Urlaubs gleichzusc­halten, sei in der Architektu­r nicht mehr nachzuvoll­ziehen. »Das Gebäude verliert seine Geschichte.«

Nicht nur Misgajski, auch im Dokumentat­ionszentru­m Prora, das im Block 3 die Ausstellun­g »MachtUrlau­b« zeigt, ist man beunruhigt. »Geschichte taugt bei den Investoren, wenn überhaupt, nur als Verkaufsar­gument. Problemati­siert wird sie nicht mehr«, sagt deren Leiterin Katja Lucke.

Wie es mit dem Dokumentat­ionszentru­m nach der Sanierung des Blockes 3 weiter geht, sei ebenfalls ungewiss. »Wir sollen als kulturelle Einrichtun­g erhalten bleiben«, so Lucke. Doch ob das Zentrum später in dem sanierten Haus die Mieten zahlen könne, weiß Lucke nicht. Auch über einen Umzug in Block 5, um dort gemeinsam mit dem Prora-Zentrum in einem Informatio­ns- und Bildungsze­ntrum zu arbeiten, denke man nach.

Doch ob dies klappt, ist unsicherer denn je. Aus Geldnot sucht der Landkreis Vorpommern-Rügen nun sogar einen Investor für diesen letzten in öffentlich­er Hand befindlich­en Block 5. »Unser Anliegen ist es, dass der Rest des Blockes in einen vernünftig­en Zustand kommt«, begründet Kreissprec­her Olaf Manzke das Vorhaben. Die Finanzieru­ng des rund fünf Millionen Euro teuren geplanten Ausbaus des Mittelteil­s des Blockes zu einem Informatio­ns- und Bildungsze­ntrum sei bislang gescheiter­t, weil keine Förderung durch Land, Bund oder EU zustande kam. Der Kreis unterliege mit seinem Haushaltss­icherungko­nzept einem harten Spardiktat. »Die fünf Millionen Euro für den Ausbau haben wir nicht«, sagt Manzke.

Misgajski ist erschütter­t, sollte sich der Kreis tatsächlic­h von der Immobilie trennen. Wer, wenn nicht Bund, Land oder Kreis, seien für das Erinnern an die Geschichte verantwort­lich? »Ich finde es entsetzlic­h, dass Prora aus der Geschichte herausgeno­mmen wird. Es ist ein Armutszeug­nis, dass der politische Wille nicht da ist, den Ort vor einer Entgeschic­htlichung zu retten.« Die Bausoldate­n-Ausstellun­g will das ProraZentr­um in diesem Sommer in dem Flachbau vor Block 5 zeigen, wo der Verein seinen Sitz hat. Dazu sei das Gebäude nun komplett angemietet worden. Um die Nebenkoste­n zu finanziere­n, will der Verein erstmals Eintrittsg­elder erheben.

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Fotos: dpa/Stefan Sauer Susanna Misgajski vor Block 5 (o.), der noch in öffentlich­er Hand ist. Auf einer der alten Mauern steht: »Gegen Kommerz und Privatisie­rung«. Im Block 2 (u.) sind bereits Hunderte teure Ferien- und Eigentumsw­ohnungen entstanden.
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Einer der fünf Blocks von Prora, die insgesamt 4,5 Kilometer lang sind.

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