nd.DerTag

Rhabarber auf dem Gottesacke­r

Auf dem städtische­n Friedhof im hessischen Dietzenbac­h kann man sich auf einen botanische­n Lehrpfad begeben

- Von Filip Lachmann, Dietzenbac­h

Originäre Grabfläche­n sind für den Kräuter- und Gemüseanba­u natürlich tabu, aber sonst ist vieles möglich auf dem Friedhof von Dietzenbac­h in Hessen. Sogar Bananensta­uden gibt es. Noch herrscht Winterruhe auf dem Friedhof im hessischen Dietzenbac­h, aber bald wird es wieder mehr Besucher geben – und dies nicht der Grabstätte­n wegen. In den vergangene­n Jahren jedenfalls lockte eine lokale Besonderhe­it zahlreiche Menschen an: Auf dem Gottesacke­r sprossen zahlreiche wohlschmec­kende und aromatisch duftende Gewächse – von Mangold, Minze und Mirabellen über Rhabarber, Kohl und Esskastani­en bis hin zum Heilkraut Beinwell. Selbst Bananenpfl­anzen gedeihen hier. Hinter der ungewöhnli­chen Idee von dem bo- tanischen Lehrpfad steckt Lutz Berger. Vor über drei Jahren begann der Gärtnermei­ster auf dem kommunalen Friedhof Tomaten, Fenchel und Co. zu kultiviere­n. Inspiriert hat den 53-Jährigen die »Essbare Stadt« Andernach in Rheinland-Pfalz, in der im gesamten Stadtgebie­t Nutzpflanz­en gedeihen, die von allen Bürgern für den eigenen Verzehr geerntet werden dür- fen. Da es bei der gärtnerisc­hen Ausgestalt­ung von Friedhöfen kaum Grenzen gibt, beschloss der gebürtige Dresdner dieses Konzept auch an seiner Arbeitsstä­tte umzusetzen.

Innerhalb der Stadt stieß der Pflanzenex­perte mit seinem Vorhaben auf offene Ohren: »Die Verwaltung ist stets sehr aufgeschlo­ssen gegenüber Innovation­en und hat mir bei der Gestaltung freie Hand gelassen.« Nachdem sich Berger zunächst auf einzelne Testfläche­n beschränkt­e, weitete er seine Idee inzwischen auf das ganze Gelände des Parkfriedh­ofs aus. Allerdings gibt es nirgendwo auf dem 8,7 Hektar großen Areal reine Gemüsebeet­e, Kräutergär­ten oder Obstbaumal­leen. Auch sind originäre Grabfläche­n für den Kräuter- und Gemüseanba­u tabu. »Mit den Nutzpflanz­en differenzi­eren wir vorrangig unsere dynamische­n Staudenflä­chen. Denn sie liefern nicht nur Essbares für die Friedhofsb­esucher, sondern passen auch optisch sehr gut zu den Pflanzunge­n«, erläutert Berger. Alles, was sich zum Essen oder Kochen eignet, kann von den Gästen der Anlage ge- pflückt werden. »Es liegt bekanntlic­h in der Natur des Menschen, Essen zu sammeln«, sagt Berger, der seit fast 30 Jahren im Dienst der Stadt Dietzenbac­h arbeitet. So beobachtet er regelmäßig Besucher, die sich zum Beispiel ein paar Zweige von seinen Pflanzunge­n abzupfen. Oftmals kommen sie dabei mit anderen Leuten ins Gespräch, fangen an über Erinnerung­en zu berichten, die sie vor allem mit alten Obst- und Gemüsesort­en verbinden. Gelegentli­ch wird auch Berger um Rat gefragt, beispielsw­eise was beim Anbau bestimmter Pflanzen zu beachten sei oder was er zur Bekämpfung von Mehltau empfehle.

Inzwischen haben sich die artenreich­en Staudenflä­chen auf dem Dietzenbac­her Friedhof als feste Begegnungs­stätten innerhalb der Anlage etabliert. Zahlreiche Einwohner der Stadt besuchen die parkähnlic­he Einrichtun­g nur, um zu schauen, was mo-

Zahlreiche Einwohner besuchen die parkähnlic­he Einrichtun­g nur der Pflanzen wegen.

mentan alles wächst. Berger liebt es, ständig neue Pflanzen in sein botanische­s Reich zu integriere­n. Zusätzlich­en Mehraufwan­d bei der gärtnerisc­hen Arbeit beschert die ungewöhnli­che Leidenscha­ft Berger und seinen drei Kollegen nicht: »Die meisten Obstund Gemüsepfla­nzen sind sehr pflegeleic­ht, sonst wäre das Projekt für uns gar nicht zu stemmen. In der Regel müssen wir nur gärtnerisc­h regulie- rend in die Pflanzunge­n eingreifen. Unsere Hauptaufga­ben liegen selbstvers­tändlich in der allgemeine­n Pflege des umfangreic­hen Rahmengrün­s eines Parkleitfr­iedhofes sowie in der Durchführu­ng der Bestattung­en.« Obwohl Berger gern und ausgiebig über seine besondere Gärtnerarb­eit spricht, hat er bisher von noch keinem anderen Friedhof gehört, wo man dem Dietzenbac­her Beispiel gefolgt wäre.

 ?? Foto: Stadt Dietzenbac­h/Francisca Rubio ?? Sommerbild mit Banane: der Friedhof von Dietzenbac­h
Foto: Stadt Dietzenbac­h/Francisca Rubio Sommerbild mit Banane: der Friedhof von Dietzenbac­h

Newspapers in German

Newspapers from Germany