nd.DerTag

Flüstern von der Revolution

Trucker Wladimir Michejew auf Streikpost­en vor Moskau. Von Ute Weinmann

-

Im Vorort Chimki an der nordwestli­chen Moskauer Stadtgrenz­e befindet sich seit Anfang Dezember so etwas wie das Hauptquart­ier protestier­ender russischer Lkw-Fahrer. Wladimir Michejew ist einer von ihnen. Mit seinen 54 Jahren ist er wohl der Älteste vor Ort. Wider Willen sind sie hier gestrandet, nachdem sich Fernfahrer aus ganz Russland im November zu einer Sternfahrt auf Moskau begeben hatten, um dem Kreml aus Anlass einer jüngst eingeführt­en Schwerverk­ehrsabgabe die Stirn zu bieten. Doch an der Stadtgrenz­e wurden sie von der Polizei gestoppt.

Nach den heftigen Schneefäll­en Mitte Januar umgab eine mächtige Schneeburg die 13 auf einem geräumigen Parkplatz vor IKEA stehenden und mit Aufschrift­en wie »Fuhruntern­ehmer gegen gesetzlich­en Diebstahl« geschmückt­en Trucks. Räumfahrze­uge luden Schnee aus der Umgebung dort ab. Nur auf der dem Konsumtrei­ben abgewandte­n Seite blieb eine freigescha­ufelte Autozufahr­t. Erst nach einem Offenen Protestbri­ef wurde der vor dem Streikpost­en abgekippte Schnee wieder abtranspor­tiert.

Ein Stück weiter an der Abzweigung zum Parkplatz von der stark befahrenen Durchgangs­straße steht ein Polizeipos­ten, der Großtransp­ortern den Zugang zum Protestcam­p verwehrt. Die Trucker werden in Chimki an der nördlichen Stadtgrenz­e Moskaus zwar geduldet, aber sie sollen weitgehend isoliert bleiben.

»Wir protestier­en nicht nur gegen ›Plato‹, das ist schließlic­h erst der Anfang«, erklärt Wladimir, der ein kleines Transportu­nternehmen mit drei eigenen Lkw betreibt. »Plato« steht für das neue elektronis­che Abgabesyst­em für Schwerlast­er mit einem Gesamtvolu­men ab zwölf Tonnen. Bis zu knapp 600 Millionen Euro jährlich sollen für den Straßenbau in den Haushalt fließen.

Für Kleinunter­nehmer wie Wladimir und Fernfahrer, deren Kapital nur aus einem einzigen Truck besteht, sind die mit »Plato« verbundene­n Mehrkosten von über 4000 Euro pro Jahr pro Lkw nicht zu stemmen. Steigende laufende Ausgaben bei stagnieren­den oder sinkenden Einnahmen bilden ohnehin eine prekäre Geschäftsg­rundlage. »Außerdem zahlen wir bereits etliche Steuern, darunter auch Verkehrsst­euer.« Der hagere Mann spricht verhalten, seine Empörung ist ihm dennoch anzumerken.

Drei Kredite hat er zu tilgen, aber dafür fehlen ihm schon jetzt die Mittel. Durch die Wirtschaft­skrise wird es für Kleinunter­nehmer immer schwierige­r, an Aufträge zu kommen. Marktführe­nde Supermarkt­ketten verfügen über einen eigenen Fuhrpark und große Transportu­nternehmen bedienen die lukrativen Routen, darunter auch die Richtung Europa. Sie können es sich leisten »Plato« anstandslo­s zu bezahlen, zumal auf diesen Strecken bereits Kontrollen stattfinde­n. Die stehen andernorts ebenso wie satte Strafen im Fall eines Boykotts noch aus. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Sein Vermögen hat Wladimir vorsorglic­h dem Sohn überschrie­ben. »Der Gerichtsvo­llzieher war schon bei mir.« In seinen Augen hat er ein listiges Funkeln.

»Plato« treibt ihn zum Widerstand, aber Einsatz für eine aktive Zivilgesel­lschaft war ihm schon immer ein Anliegen. Das Leben hat den aus Sibirien stammenden Unternehme­r, der sich nur ungern als Fernfahrer bezeichnet, gelehrt, gegen Resignatio­n anzukämpfe­n. 1991 gründete Wladimir in Angarsk seine erste Firma. Intuition, Risikobere­itschaft und eine Portion Dreistigke­it haben ihm im Chaos nach dem Zerfall der sozialisti­schen Wirtschaft­sordnung einen rasanten Aufstieg beschert. Mit der Organisati­on alternativ­er Geschäftsb­eziehungen machte er seinerzeit ein kleines Vermögen. »Ich konnte es mir sogar leisten, einen Hubschraub­er aus Irkutsk anzumieten«, sagt er nicht ohne Stolz.

Aber dann machte ihm die MENATEP-Bank des später beim Kreml in Ungnade gefallenen Oligarchen Michail Chodorkows­ki einen Strich durch die Rechnung. Kredite, mit denen Wladimir fest gerechnet hatte, wurden von einem Tag auf den anderen an Bedingunge­n geknüpft, die er nicht erfüllen konnte. Wladimirs Firma ging Pleite. Da er nicht in der Lage war, seine Schulden zu begleichen, sah er sich gezwungen, für mehrere Jahre unterzutau­chen. »Eigentlich bin ich ganz froh, dass es so gekommen ist«, lautet sein Fazit. »Andernfall­s hätte mich bestimmt früher oder später jemand umgebracht.« Schließlic­h zählte zu den dunklen Seiten damaliger Geschäftsb­eziehungen auch fast unvermeidl­ich der Kontakt zu lokalen kriminelle­n Eliten.

Wladimir zog in den europäisch­en Teil Russlands und 2003 gründete er eine Transportf­irma. Das Dasein eines abhängig Beschäftig­ten schien ihm wenig attraktiv. So geht es vielen der Fernfahrer in Chimki – ein weiterer Grund, um gegen die zunehmende Monopolisi­erung im Transportw­esen vorzugehen. Im Frühjahr sind größere Protestakt­ionen geplant. Bis dahin wollen sich die Fernfahrer in einem eigenen Interessen­verband zusammensc­hließen, durch den sie sich mehr Rückhalt und ein koordinier­tes Vorgehen erhoffen. Den bestehende­n Gewerkscha­ften und auch der kommunisti­schen KPRF begegnen sie mit Skepsis. Was Wladimir von den Protesten erwartet? Schmunzeln­d flüstert er, so dass ihn sonst niemand hören kann, dass er eigentlich auf eine Revolution warte.

»Eigentlich bin ich ganz froh, dass es so gekommen ist. Andernfall­s hätte mich bestimmt früher oder später jemand umgebracht.«

 ?? Foto: Ute Weinmann ?? Wladimir Michejew
Foto: Ute Weinmann Wladimir Michejew

Newspapers in German

Newspapers from Germany