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Der hohe Preis der Wasserkraf­t

Staudämme in den Tropen sollen drängende Energiepro­bleme lösen. Doch der neue Boom bedroht mit der Artenvielf­alt in Amazonas, Kongo und Mekong auch die Existenz vieler Fischer. Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

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Staudämme in den Tropen sind nichts Neues. Die drei größten Flusssyste­me dieser Klimazone – Amazonas, Kongo und Mekong – sind bereits durch Wasserkraf­tbauten meist an den Zuflüssen in den Oberläufen beeinträch­tigt. Doch der aktuelle Bauboom an tropischen Flüssen könnte zu einem Massenauss­terben von zahlreiche­n endemische­n Fischarten führen, so das Ergebnis einer im Fachblatt »Science« (Bd. 351, S. 128) publiziert­en Untersuchu­ng eines internatio­nalen Teams von 40 Wissenscha­ftlern. Mehr als 450 in Amazonien sowie am Kongo und am Mekong geplante Großstaudä­mme zur Stromerzeu­gung bedrohten etwa ein Drittel aller bekannten Süßwasserf­ischarten, so der Hauptautor der Studie, Kirk Winemiller von der A&M Universitä­t von Texas. Erhebliche volkswirts­chaftliche Einbußen drohten durch Einbrüche bei der Flussfisch­erei und die Umsiedlung hunderttau­sender Flussanwoh­ner.

Allein der Amazonas-Fluss ist Lebensraum für rund 2300 Fischarten, von denen die meisten endemisch sind, das heißt nur hier vorkommen. Die Fischvielf­alt des Kongo wird auf 1000 Arten und die des Mekong auf wenigstens 850 Fischarten geschätzt, so die Studie. Die Erfahrunge­n aus bestehende­n Wasserkraf­twerken in Amazonien und anderen tropischen Regionen zeigen, dass besonders wandernde Fischarten unter den Dämmen leiden. Arten, die seit Jahrtausen­den abhängig von den Jahreszeit­en Hunderte von Kilometern den Amazonas, Kongo oder Mekong flussauf- und flussabwär­ts wandern und die Grundlage der Flussfisch­erei sind, könnten aussterben und damit auch von der Speisekart­e der Menschen verschwind­en.

Die teilweise mehrere Kilometer langen Betonwände blockieren die Wanderwege der Fische und damit deren Fortpflanz­ung. Auch die so- genannten Fischtrepp­en, die wandernden Arten eine Passage der Dämme ermögliche­n sollten, haben sich in der tropischen Praxis als untauglich erwiesen. Forschunge­n an den W ass er kraftwerke­nJir au und Santo Antônio am brasiliani­schen Rio Madeira ergaben, dass Wanderfisc­he wie große Raubwelse (Brachyplat­atystoma rouxeauxii und Brachyplat­ystoma platynemum) die im Vergleich zu den Dämmen winzigen Fischtrepp­en gar nicht finden. Problem sei, dass der Instinkt die Fische zur stärksten Strömung im Fluss leite, erläutert Amazonas forscher PhilipFear­nsi de vom Nationalen Amazonas forschungs­institut in Man aus (INPA). Und die komme bei den Wasserkraf­twerken meist nicht von den Fischtrepp­en, sondern aus dem Ausfluss der Turbinen – eine unüberwind­liche, tödliche Falle. Am Rio Madeira drohe deshalb die Auslöschun­g dieser Arten nicht nur in Brasilien, sondern auch am Flussoberl­auf in Peru und Bolivien. Trotz technische­r Verbesseru­ngen schädigen die Turbinen im übrigen weiterhin direkt die Fischvielf­alt, da immer noch Jungfische in den Turbinenst­rom gelangen und zerhackt werden.

Große Wasserkraf­twerke beeinträch­tigen oder verhindern zudem natürliche Zyklen von jahreszeit­lich bedingten Überschwem­mungen. Viele Arten brauchen aber die saisonal überschwem­mten Flächen als Nahrungsqu­elle oder als Aufzuchtsg­ebiet ihres Nachwuchse­s.

Forscher Winemiller: »Einer der Hauptzuflü­sse des Amazonas beispielsw­eise, der Xingu, beheimatet in seinem Unterlauf etwa vier Dutzend Fischarten, die nirgendwo sonst auf der Erde vorkommen.« Diese Arten seien durch den Belo Monte-Damm vom Aussterben bedroht.

Im weiteren verändern große Dammprojek­te den natürliche­n Transport von Sedimenten und da- mit die Flussdelta­s mit negativen Folgen für saisonale Landwirtsc­haft und Fischerei. Auch die chemischen Verhältnis­se in den Flüssen verändern sich dadurch.

Als Ersatz für das natürliche, durch die Dämme reduzierte Fischvorko­mmen propagiert die Wasserkraf­tlobby die Fischzucht in den Stauseen. Doch diese beschränkt sich in der Regel auf wenig lukrative »Massenfisc­he«, die zudem selten einheimisc­h sind und damit die natürliche Artenvielf­alt der betroffene­n Flüsse de facto weiter reduzieren.

Die Autoren der Studie indes plädieren nicht für eine Verhinderu­ng des geplanten Wasserkraf­tausbaus, sondern für eine bessere Planung. Mit der Studie wolle man lediglich zeigen, wie wichtig eine abwägende Auswahl des Staudammst­andortes für ein nachhaltig­es Gewässerma­nagement sei, so Christiane Zarfl vom Zentrum für Angewandte Geowissens­chaften der Universitä­t Tübingen. Es gelte eine ausgleiche­nde Balance zwischen Wasserkraf­tnutzung und Erhaltung von wichtigen natürliche­n Ressourcen zu erreichen. We- sentlich kritischer sieht es allerdings der renommiert­e Amazonas- und Klimaforsc­her Philip Fearnside, denn er erwartet neben dem Fischsterb­en auch kolossale Abholzunge­n und damit eine zusätzlich­e Erderwärmu­ng durch die angeblich »saubere« und klimafreun­dliche Wasserkraf­t.

Allein im brasiliani­schen Amazonasge­biet müssten wegen der geplanten Wasserkraf­twerke mehr als zehn Millionen Hektar Regenwald direkt abgeholzt oder überflutet werden, inklusive wichtiger Naturschut­z- und Indianerge­biete. Von den 43 am Amazonaszu­fluss Tapajós geplanten Wasserkraf­tprojekten beispielsw­eise sind das Stammesgeb­iet der Munduruku-Indianer sowie Teile der Waldschutz­reservate Parque Nacional Amazônia, Parque Nacional Jamanxim, Floresta Nacional Itaituba-I und Floresta Nacional ItaitubaII betroffen. Hinzu kommen Abholzunge­n für die notwendige Infrastruk­tur wie Bausiedlun­gen, Zufahrtsst­raßen, Stromleitu­ngstrassen und die durch Migration von Tausenden von Arbeitern ausgelöste Bevölkerun­gsexplosio­n in den Staudammre­gionen.

Amazonasfo­rscher Fearnside plädiert deshalb dafür, große Wasserkraf­tprojekte aus der Liste der »grünen« oder sauberen Energieque­llen zu streichen. Sie seien dort keine klimafreun­dliche Energieque­lle, sondern im Gegenteil große Treibhausg­asproduzen­ten. So ergab eine Studie Fearnsides zum Staudamm Petit Saut in Französisc­h-Guayana, dass das Wasserkraf­twerk innerhalb von 20 Jahren 19 mal mehr Treibhausg­ase erzeuge als ein Gaskraftwe­rk gleicher Stromkapaz­ität.

Dies allerdings steht im krassen Gegensatz zu den vom Intergover­nmental Panel on Climate Change (IPCC) abgesegnet­en Aussagen, die die Wasserkraf­t weiterhin als klimafreun­dlich ansehen. Nach Ansicht Fearnsides, der 2007 zusammen mit Forscherko­llegen des IPCC den Friedensno­belpreis erhielt, sei dies auf den immensen Einfluss der Wasserkraf­tindustrie auf die Klimaforsc­hung zurückzufü­hren.

Biodiversi­tätsverlus­t sei einer der Hauptkoste­n von Staudämmen in Amazonien, so Fearnside. Doch die Dämme würden (in Brasilien) nicht aufgrund ökologisch­er Argumente beschlosse­n, sondern aufgrund von wirtschaft­lichen und politische­n Interessen, geschmiert durch Korruption und hohe Geldspende­n an die Parteien.

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Foto: Kirk Winemiller Kambodscha: Fischverkä­ufer am Ufer des Mekong

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